Sterbende begleiten oder Sterbenden assistieren? An diesem feinen Unterschied hat sich eine innerkirchliche Debatte über die Frage von Sterbebegleitung und assistiertem Suizid, also Beihilfe zur Selbsttötung, in diakonischen Einrichtungen entzündet.
Während Diakoniepräsident Ulrich Lilie in einem Zeitungsbeitrag für eine "ergebnisoffene, aber wertgebundene Beratung" in Einrichtungen der Diakonie plädiert, lehnt der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm jeden Prozess in kirchlichen Einrichtungen ab, "an dessen Ende der Suizid eines Menschen stehen soll".
Dorothea Bergmann ist Pfarrerin und leitet seit vielen Jahren die Fachstelle "SPES" (Spiritualität - Palliative Care - Ethik - Seelsorge) der Diakonie München und Oberbayern. Die Theologin berät Pflegeheime bei ethischen Fragen und weiß um die Nöte von Bewohnern, Angehörigen und Pflegekräften, wenn am Lebensende der Wunsch zu sterben laut wird. Ein Gespräch über Angst, Achtung und Grenzen.
Frau Bergmann, wie sehen Sie die aktuelle Debatte um Sterbebegleitung und assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen?
Dorothea Bergmann: Grundsätzlich lautet die Position von Diakoniepräsident Lilie und den Co-Autoren ja erst mal: Es müsste doch möglich sein, dass jemand, der sich ums Leben bringen möchte, auch in diakonischen Einrichtungen begleitet werden könnte. Als Theologin würde ich es von mir fordern, auch solche Menschen nicht allein zu lassen. Schwierig wäre es, damit zu werben. Oder wenn Menschen den Eindruck bekämen, die Diakonie fände assistierten Suizid normal.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 entschieden, dass - wegen des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen - geschäftsmäßige Suizidbeihilfe erlaubt sein muss. Können kirchliche Einrichtungen dem denn in der Praxis ausweichen?
Dorothea Bergmann: Die Entscheidung liegt vor, wir müssen uns dazu verhalten. Deshalb müssen wir auf breiter Basis darüber diskutieren, wie wir in unseren Einrichtungen mit Menschen umgehen, die von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen wollen. Sollen wir sie vor die Tür setzen? Ihre Entscheidung ignorieren? Der Wunsch zu sterben entsteht ja immer aus Notsituationen heraus. Ich halte es für unchristlich und nicht seelsorgerlich, die Menschen damit allein zu lassen und ihnen einen Segen zu verwehren.
Was würde denn passieren, wenn Kirche sich dieser Diskussion entzieht?
Dorothea Bergmann: Menschen, die einen assistierten Suizid für sich grundsätzlich nicht ausschließen, würden dann nicht mehr in diakonische Einrichtungen gehen. Das Thema würde indirekt wieder tabuisiert. Und wir könnten in der Seelsorge Suizidpläne nicht mehr erkennen. Eine Beratung, wie Herr Lilie sie vorschlägt, kann ja nie neutral sein. Sie müsste den Menschen bei aller Offenheit immer auch vermitteln: Lieber wäre mir, du bliebest am Leben. Das ist die klare christliche Haltung: Das Leben ist wertvoll, auch wenn jemand alt, siech und leidend ist. Diesen christlichen Grundwert dürfen wir nicht über Bord werfen, denn sonst steigt der Druck auf Alte und Kranke zum "sozialverträglichen Frühableben". Eine Beratung mit hoher seelsorgerlicher Qualität kann diesen Wert des Lebens manchen Menschen erst deutlich machen und andere Optionen als den Suizid aufzeigen. Gerade deshalb kann sich Kirche da nicht wegducken.
In der aktuellen Debatte geht es um die Frage, ob kirchliche Einrichtungen beim Suizid assistieren sollten. Ist das eigentlich der Kern der Forderung?
Dorothea Bergmann: Nein, es geht in erster Linie um Begleitung und Beratung. Ich glaube, das Papier wird missverstanden aus Angst, Kirche könnte mit assistiertem Suizid gleichgesetzt werden. Aus unseren Einrichtungen wissen wir aber, dass es den Sterbewunsch am Lebensende immer wieder gibt. Es gibt Senioren, die sich die Treppe runterstürzen oder Tabletten sammeln und schlucken - und wenn das dann schiefgeht, sind die Folgen wirklich tragisch. Kirche redet sich leicht, wenn sie sagt: "Suizid darf nicht sein!" Denn andererseits hält sie still, wenn es um die Frage von mehr Altenheim-Seelsorge geht. Dieses Feld ist komplett unterbesetzt. Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, welche mögliche Irritation wir unseren Pflegekräften zumuten, wenn wir uns dem Thema des assistierten Suizids öffnen. Für manche Mitarbeitenden ist manchmal schon der Grundgedanke der Palliativversorgung schwierig. Sie sagen: "Dieser Bewohner muss doch ins Krankenhaus, man muss noch was machen, der darf nicht aufhören zu essen oder zu trinken!" Sie arbeiten bewusst bei einem diakonischen Träger, weil sie dessen Grundwert, das Leben zu schützen, teilen. Schon deshalb dürfen wir das Thema nicht zu offensiv angehen. Wir werden in der Diakonie München und Oberbayern in eine Diskussion dieses Themas einsteigen, in die wir alle Betroffenen einbeziehen.