Der Gesellschaftswissenschaftler Stefan Selke fordert angesichts des starken Zulaufs zu den Lebensmitteltafeln in Deutschland eine Debatte über die Versorgung armutsbetroffener Menschen.

"Dass die Tafeln so am Anschlag sind, zeigt doch, wie dringend sich etwas ändern muss",

sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Freiwilligensystem könne nicht Grundversorgung und Existenzsicherung leisten.

Tafeln honorieren, aber auch grundsätzliche Debatte führen

"Die Tafeln werden sowieso weitermachen und ihr Bestes geben. Es muss auch honoriert werden, wie die Menschen sich jeweils vor Ort engagieren. Aber auf einer anderen Ebene ist es jetzt Zeit für eine grundsätzliche Debatte darüber, was uns das Soziale noch wert ist", sagte Selke, Professor für Gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen.

Die Frage dürfe nicht sein, wie der Staat die Tafeln unterstützen kann, sondern wie man armen Menschen genug zum Leben geben könne, ohne dass sie fremdbestimmt werden. "Wir leben in einer Konsumgesellschaft und wer nicht am Konsum teilnehmen kann - egal auf welchem Niveau -, verliert ein Stück weit seine Bürgerrechte. Und damit bekommen wir früher oder später ein Demokratieproblem", befürchtet der Wissenschaftler.

"In Almosensystemen sind die Menschen fremdbestimmt. So kann es keine soziale Gerechtigkeit geben."

Es gehe ihm nicht darum, die Tafeln zu kritisieren, sondern zu hinterfragen, welche Rolle sie in unserer Gesellschaft spielen. "Tafeln tragen seit 30 Jahren zur Stabilisierung einer 'kalten' Gesellschaft bei, weil die Armut mehr und mehr in dieses System delegiert wird", sagte Selke.

Menschen retten, nicht Lebensmittel

Der Wissenschaftler forderte,

"die Ursachen für Armut in einem der reichsten Länder der Welt zu bekämpfen und den Fokus darauf zu legen, dass Menschen genug von dem haben, was sie brauchen. Man sollte Menschen retten, nicht Lebensmittel."

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