Es ist EM. Frauen-EM. Deutschland spielt. Ich sitze auf dem Sofa, Snacks in Reichweite, das Spezi kaltgestellt. Alles wie immer, nur dass dieses Mal nicht Musiala, Kimmich oder Wirtz über den Rasen rennen, sondern Brand, Schüller und Linder. Ich will mich reinziehen lassen. Ich will mitfiebern, aufstehen, schreien, jubeln – und doch ertappe ich mich nach 20 Minuten dabei, wie ich auf dem Handy meinen Insta-Account checke.

Ich fühle mich mies. Warum? Ich meine: Ich liebe Sport. Ich schaue stundenlang Damen-Wintersport, feiere Handballspiele der Frauen, sogar Curling-WM der Damen fand ich mal erstaunlich spannend, naja okay, das war jetzt übertrieben.

Aber trotz allem ich bin keiner dieser Internet-Höhlenbewohner, die bei jeder Frauenfußball-News sofort schreiben: "Die sollen in die Küche gehen!" Gott bewahre. Nein, ich bin wirklich einer von den Guten. Ich like die Posts, ich kenne die Storys von Alexandra Popp, ich finde Jule Brand großartig. Und trotzdem, so richtig packt mich das Turnier nicht.

Verdorben vom Hochglanz-Fußball der Männer?

Liegt’s an mir? Bin ich zu sehr verdorben vom Hochglanzfußball der Männer? Von 40-Meter-Steckpässen, die aussehen, als wären von einem anderen Planeten. Von Dramen à la Champions League, wo ein 0:2 in der 89. Minute noch kein Grund zum Abschalten ist?

Oder liegt’s am fehlenden Nostalgie-Faktor? In meiner Kindheit gab’s keine Panini-Sticker von Steffi Jones. Meine fußballerische Sozialisation bestand aus Rudi Völlers Locken und der Tatsache, dass ich in FIFA immer Zidane genommen habe.

Vielleicht ist es aber auch viel banaler: Leidenschaft lässt sich nicht erzwingen. Die springt einen an, oder sie tut’s nicht. So wie ich auch mit Baseball nie warm geworden bin. Oder mit Rosenkohl.

Das schlechte Gewissen nagt

Und trotzdem ist da dieses kleine, nagende schlechte Gewissen. Weil ich weiß, dass Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit braucht. Dass Einschaltquoten Sponsoren bringen. Dass Sponsoren bessere Strukturen ermöglichen. Und dass bessere Strukturen wiederum spannenderen Fußball erzeugen. Es ist ein Teufelskreis. Ich will helfen, ich will supporten – aber ich will mich auch nicht zwingen, Emotionen zu simulieren.

Vielleicht sollte ich es machen wie bei einer neuen Netflix-Serie: drei Folgen schauen, bevor ich urteile. Denn wer weiß? Vielleicht gibt’s diesen einen Moment – ein unfassbares Tor, ein Elfmeterschießen, bei dem ich meine Chips umwerfe und plötzlich völlig drin bin. Vielleicht braucht es nur den Magic Moment.

Bis dahin sage ich mir: Es ist okay. Es ist okay, Frauenfußball zu respektieren, zu unterstützen und trotzdem (noch) nicht zu lieben. Es ist okay, nicht alles mit derselben Leidenschaft zu feiern. Das macht mich nicht zum Sexisten, sondern zum Menschen.

Frauenfußball ist einfach Fußball

Und wenn mein Fußballer Herz dann doch mal auflodert– umso besser. Aber bis dahin? Werde ich weiter einschalten, aus Neugier, aus Respekt, aber ohne Zwang. Und ich werde aufhören, mich schlecht zu fühlen, weil mein Herz nicht sofort Feuer fängt.

Denn Gleichberechtigung bedeutet auch: Frauenfußball darf einfach Fußball sein. Ohne dass ich mich verpflichtet fühlen muss, ihn mehr zu lieben als meine eigenen Emotionen es gerade hergeben.

Kommentare

Peter Pospiech am Sa, 26.07.2025 - 01:41 Link

Lieber Pfarrer Klenner,
jetzt fühle ich mich auch motiviert, einen Kommentar zu Ihrem Kommentar zu schreiben, der leider zuviel Zeitgeist und zu wenig Heiligen Geist mitschwingen lässt. Zeitgeist weil alles negativ ausgelegt wird, was gerade nicht dem scheinbaren Mainstream entspricht. Warum sind Männer, die keinen Frauenfußball mögen, sofort Machos? Warum stehen Hashtags unter dem Bild von Michael Götz wie "Sexismus" und "Diskriminierung".
Weil Männer, die Frauenfußball nicht mögen, sofort Sexisten sind, die Frauen diskriminieren ? Die dann aber sofort von Ihnen diskriminiert und als Machos bezeichnet werden.
Ich war mal ein großer Fußballfan ("natürlich"Männer), aber das ist deutlich abgekühlt, weil der Vereinsfußball in Deutschland nichts mehr mit dem zu tun hat, wie ich ihn seit meiner Jugend kenne: Es sind in der Mehrzahl nur noch international zusammengewürfelte Mannschaften, die sich nicht mehr mit dem Verein identifizieren, sondern mit ihrer Brieftasche. Bin ich jetzt auch Rassist? Der Frauenfußball wird doch deshalb so propagiert, weil die mächtigen Verbände dahinterstecken, die ihn promoten. Das findet bei anderen Sportarten, wie Frauenhandball, Frauenvolleyball, Frauenbasketball nicht statt. Ich hoffe, Sie persönlich schauen sich auch diese an, denn sonst wären Sie vielleicht auch "Macho"?
Vielleicht sollten wir uns gerade als Christen etwas von dem unseligen Zeitgeist distanzieren, der jedem erst einmal etwas Negatives unterstellt, wenn er seine Meinung sagt. Im Übrigen halte ich es mit Reinhard Fendrich - hören Sie noch einmal rein. ;-)
PS: Meine Tochter spielt Fußball....

Klennfix am So, 20.07.2025 - 07:19 Link

Lieber Herr Götz,

Ihr Artikel zum Frauenfußball hat mich motiviert, einen Kommentar über Machos zu schreiben, die sich das schlechte Gewissen gegenüber Frauenfußball ausreden wollen.

Hier ist er:

Jetzt ist es so weit. Frauen können mittlerweile rückwärts einparken! Oder Fußball spielen. Die EM in der Schweiz hat beste Einschaltquoten. Auch der Bayerische Fußballverband (BFV) jubelt. Mit aktuell 34.820 aktiven Fußballerinnen ist der Anteil an Frauen und Mädchen beim BFV so hoch wie seit gut zehn Jahren nicht mehr,
In den Vereinen bilden sich immer mehr Mädchenmannschaften. Besonders 10 bis 15jährige Mädchen wollen nicht länger bei den Jungs spielen, sondern in eigenen Teams.

Die beste Antwort darauf hat Bundestrainer Julian Nagelsmann: „Frauen heulen viel weniger rum. Die liegen nicht rum. Die stehen auf. Da gibt’s keine Verzögerung. Da gibt’s kein Gejammer.“
Selten wird auch ein gestrecktes Bein mit offener Sohle verabreicht. Human sind sogar die Notbremsen. Die Frauen beißen auch nicht, sie kratzen nicht, sie rotzen noch nicht einmal.

Mit Machos kann man darüber nur mühselig diskutieren. Sie sehen nicht einmal ein, dass Frauen im Stehen nur ungern pinkeln. Machos behaupten: Es heißt nicht „die“ Fußball, sondern „der“ Fußball. Der Anpfiff. Der Pfosten. Der Konter. Der Torschuss. Der Eckball. Der Fallrückzieher. Der Schiedsrichter. Alles männlich. Weiblich? Spontan fällt einem Macho da höchstens eines ein: Die Pfeife.

Es ist das letzte Aufbäumen der Machos im Fußball. Sie haben verloren. Immer mehr Frauen und Mädchen erobern die Männerdomäne „Fußball“. Sie pfeifen auf Vorurteile.

Denn jetzt ist es so weit. Die Leidenschaft, die Technik, die Taktik, die Flanke, die Vorlage, die Grätsche! Mädchen und Frauen spielen ansehnlichen und anständigen Fußball. Nur die Machos stellen noch schräge Fragen…
Herzlichst Ihr Pfarrer Thomas Klenner

Florian Meier am Don, 17.07.2025 - 08:11 Link

Es ist übrigens ziemlich respektlos gegenüber den Spielerinnen da aus Pflichtgefühl (nicht)zuzuschauen um sich irgendwie besser zu fühlen. Wem es gefällt der schaut zu und der Rest darf es mit völlig reinem Gewissen lassen. Das Hauptproblem des Frauenfußballs ist genau solche Verkrampfung. Das Niveau ist niedriger - na und. Manche schauen auch beim Dorfklub ums Eck vorbei, wo auch eher selten Traumpässe geschlagen werden und man in einer abbruchreifen Tribüne mit ein paar verirrten Seelen ausharrt - wegen dem Club und den Leuten ist es halt. Die Mehrheit der Bevölkerung hat Besseres zu tun und auch da ist das völlig OK und der Rumpelfußballclub hat trotzdem seine Berechtigung und soziale Funktion. Das aktuelle Turnier ist gut organisiert und medial betreut und muss sich nicht verstecken und im Vergleich zu früheren Zeiten sind auch die Spielerinnen in vielen Ländern professioneller und technisch besser geworden. Wer es langweilig und doof findet darf das selbstverständlich trotzdem. Ich kenne Leut' die finden Fußball grundsätzlich entbehrlich und die werden auch alt.