Ein Video der "Tagesschau" hat kürzlich in den sozialen Medien für ungewohnt viel Wirbel gesorgt: Der Clip wurde auf Instagram über 2,3 Millionen Mal aufgerufen, mehr als 30.000 Nutzer*innen klickten auf "Gefällt mir" und über 7.500 kommentierten – so viele wie bei keinem anderen Beitrag des Nachrichtenportals in den letzten Wochen. Das Thema: Religiöse Bekenntnisse im Fußball.
Das Video hat polarisiert – und zeigt exemplarisch, wie aufgeladen das Thema religiöser Ausdruck im Profifußball geworden ist. Zwischen persönlicher Spiritualität, gesellschaftlicher Skepsis und medialer Zuspitzung gibt es offenbar ein Spannungsfeld.
Zwischen Andacht und Agenda
Religiöse Bekenntnisse sind im Fußball nichts Neues. Es ist Teil der Fußball-Folklore, dass sich Spieler*innen neben vielen Formen von Aberglauben auch auf Gott verlassen.
Dass der Fußball eine Projektionsfläche für Sinnsuche ist, sei es als Ersatzreligion oder als Bühne für persönliche Spiritualität, zeigt sich auch an der wachsenden Zahl religiöser Statements. Kirchen und Religionsgemeinschaften sind fester Bestandteil der Fußballkultur: von Seelsorgeangeboten über das Weihnachtssingen bis hin zu Stadiongottesdiensten.
Natürlich ist nicht jedes religiöse Bekenntnis über jeden Verdacht erhaben. Wenn Glaubensüberzeugungen gegen Menschenrechte, etwa die Rechte von LSBTIQ+, ausgespielt werden, braucht es klare Grenzen.
Es gibt unbestreitbar problematische Fälle, in denen persönliche Frömmigkeit und fragwürdige ideologische Weltbilder verschwimmen. Der BVB-Profi Felix Nmecha wurde zu Recht kritisiert, nachdem er einen homophob konnotierten Beitrag mit seinem Glauben gerechtfertigt hatte.
Glaube als Störfaktor in der säkularen Öffentlichkeit?
Dabei ist allerdings zweierlei bemerkenswert. Erstens steckt dahinter offenbar ein tiefer liegendes Unbehagen: Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit offen gelebtem Glauben, ganz gleich, welcher Religion dieser angehört. Religion gilt oft als Privatsache, Glaubensbekenntnisse als nicht zeitgemäß oder sogar als potenziell gefährlich.
Der öffentliche Raum – ob Talkshows, Schulen oder Stadien – ist stark säkularisiert. Wer ihn mit religiösen Symbolen betritt, durchbricht diese Konvention und wird schnell zum Störfaktor.
Dieses Misstrauen hat historische Wurzeln: Nach Jahrhunderten kirchlicher Machtfülle in Europa wurde Religion im öffentlichen Raum zunehmend zurückgedrängt.
Die Konsequenz davon ist jedoch leider auch ein weit verbreitetes Unvermögen, zwischen authentischem Glauben, konservativer Weltsicht und fundamentalistischer Ideologie zu unterscheiden. Der Reflex ist oft, alles über einen Kamm zu scheren, sich zurückzuziehen, skeptisch zu sein und abzuwehren.
Besonders in der medialen Rezeption zeigt sich: Religion ist nur dann willkommen, wenn sie sich anpasst. Wenn sie sich nicht zu laut, nicht zu konservativ und schon gar nicht missionarisch zeigt. Der Preis dafür ist, dass religiöse Ausdrucksformen entweder weichgespült werden – oder gleich ganz stigmatisiert.
Wer darf glauben – und wie sichtbar?
Zweitens trifft öffentliche Kritik nicht alle gleichermaßen. Christliche Bekenntnisse wie ein Kreuzzeichen, ein Jesus-Shirt oder ein Bibelzitat bleiben in der Regel unkommentiert, solange sie sich im Rahmen des gesellschaftlich Erwarteten bewegen.
Anders sieht es bei islamischen Symbolen aus. Als Antonio Rüdiger den sogenannten Tauhid-Finger zeigte, eine Geste, die im Islam für den Glauben an den einen Gott steht, wurde ihm prompt Islamismus unterstellt. Dabei ist diese Geste ein jahrhundertealtes Glaubenssymbol, das allerdings auch von Extremisten vereinnahmt wurde.
Dass ausgerechnet Rüdiger, ein schwarzer deutscher Muslim, mit solcher Vehemenz angegangen wurde, ist vermutlich kein Zufall. Hier zeigt sich: Die gesellschaftliche Toleranz für religiöse Zeichen ist nicht nur inhaltlich, sondern auch ethnisch und kulturell codiert. Während christliche Symbolik meist als harmlos gilt, steht islamische Frömmigkeit schneller unter Extremismusverdacht.
Die Kritik am religiösen Ausdruck wird so zur Projektionsfläche für tiefere gesellschaftliche Spannungen und nicht selten zur Bühne unterschwelliger rassistischer Ressentiments.
Mehr Gelassenheit, mehr Bildung
Was wir brauchen, ist weniger Alarmismus und dafür mehr mediale und gesellschaftliche Differenzierung. Religionsfreiheit gilt auch auf dem Fußballplatz. Wer sich zum Glauben bekennen möchte, soll das tun dürfen – ohne direkt misstrauische Blicke oder reflexhafte Empörung auszulösen.
Gleichzeitig dürfen wir nicht naiv sein gegenüber politischen Strategien hinter religiösen Botschaften. Zwischen authentischer Frömmigkeit und instrumentalisierter Mission verläuft oft nur ein schmaler Grat.
Glaube darf sichtbar sein. Kritik daran auch. Aber sie sollte stets fair bleiben, nicht sofort vom Schlimmsten ausgehen – und sich selbstkritisch fragen, warum manche religiösen Bekenntnisse mehr provozieren als andere.
Kommentare
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Warum darf man nicht über …
Warum darf man nicht über seinen Glauben reden.Warum sollte er das nicht sagen dürfen?
Nur der Prediger in der Kirche darf das ,weil er dafür bezahlt wird?
Diese Diskussion verstehe ich nicht.
Das ist sicherlich ein…
Das ist sicherlich ein schwieriges Thema.
"Natürlich ist nicht jedes religiöse Bekenntnis über jeden Verdacht erhaben. Wenn Glaubensüberzeugungen gegen Menschenrechte ... ausgespielt werden ..."
Schwierig ist hier die Unterscheidung zwischen Menschenrechten und Religionsfreiheit bzw Freiheit der Religionsausübung. Auch die Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht.