Isabella T.* hatte nicht mehr damit gerechnet. Da schwor ihr jemand, dass er sie liebe, sie begehre. Zwar forderte dieser jemand auch Geld, aber aus der Not heraus. Isabella T. half immer gerne.

"Sie hatte ein riesiges Herz", sagt Madleen Lörzel aus dem Kreis Aschaffenburg, eine enge Freundin. Als T. kein Geld mehr hatte, wandte sich ihr Internet-Bekannter von ihr ab. Da zerbrach etwas in ihr. Anfang 2022 brachte sich die 78-Jährige um. Sie wurde Opfer von "Love-Scamming".

Opfer war nicht naiv

Es klingt, als wäre T. naiv gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Seniorin galt als "lebensklug". Vor allem war sie juristisch versiert. "Sie hatte Jura studiert, ihr verstorbener Mann war Anwalt", sagt Lörzel. Dennoch überwies T. dem Betrüger 30.000 Euro. Das ist keine Seltenheit, die digitale Form des Heiratsschwindels boomt. Laut Landeskriminalamt wurden 2021 über 600 Anzeigen wegen "Love-Scamming" erstattet - die Liebesbetrüger erbeuteten in Bayern mehr als zwölf Millionen Euro.

Nach dem Zusammensturz, als alle Hoffnungen auf echte Liebe geplatzt waren, sah T. offenbar nur noch den Suizid als Ausweg. "Ihre Scham war wohl zu groß", sagt ihre Freundin Madleen Lörzel. Der 26-jährigen Studentin zufolge hatte die Armutsrentnerin begonnen, in ihrem Umfeld Geld zu erbitten - mit Gründen, die sich rasch als Lüge entpuppt hatten. Wiederholte Warnungen vor der Bekanntschaft schlug die Seniorin in den Wind. Die Frage nach dem Warum beschäftigt Madleen Lörzel bis heute.

Menschen wollen nett, klug und kompetent wirken

In der Öffentlichkeit beaufsichtigen Menschen einander, es findet eine oft auch unbewusste soziale Kontrolle statt. Die meisten Menschen wollen nett, klug und kompetent wirken. Im stillen Kämmerlein sind sie aber oft völlig anders. So war das auch bei T. Nach ihrem Suizid entdeckten ihre Freunde den Chat-Wechsel mit dem Betrüger - und waren geschockt.

"Wir begegneten einer Frau, die uns komplett fremd war", sagt Lörzel. Die intelligente, resolute Seniorin schwelgte in den Chats in Liebesschwüren.

Für Kriminalhauptkommissar Günter Löffler vom bayerischen Landeskriminalamt in München ist die Seniorin aus Unterfranken mit ihren überbordenden Netz-Emotionen kein Einzelfall. Vielfach seien die Opfer von "Love-Scamming" irgendwann emotional so stark abhängig von dem Liebesbetrüger, dass rationales Denken kaum mehr möglich scheine. Die Auswirkungen sind laut LKA immens: "Sie reichen von hohen Kapitalverlusten über existenzbedrohende Vermögensschäden bis hin zum Suizid."

Täter geben sich als Ingenieur, Arzt oder Soldat aus

Manchmal dämmert den Betroffenen, dass da etwas nicht stimmen kann, bevor die erste Zahlung fließt. Von den rund 600 Anzeigen, die bei der bayerischen Polizei 2021 eingingen, war in 120 Fällen noch kein Geld geflossen. Die Täter geben sich im Netz als Ingenieur, Architekt, Arzt oder US-Soldat aus. Über Facebook, Instagram oder Single-Börsen nehmen sie Kontakt zu ihren Opfern auf.

Annette Murmann von der Würzburger Frauenberatungsstelle, einer Einrichtung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), kennt aus ihrer Beratungspraxis ähnliche Verhalten wie das von Isabella T.:

"Es gibt Frauen, bei denen sich über viele Jahre hinweg eine tiefe Sehnsucht nach Nähe angestaut hat."

Kommt dann noch die Neigung hinzu, mit einem anderen Menschen zu "verschmelzen", steige die Gefahr, Opfer von narzisstischen Männern oder von digitalen Heiratsschwindlern zu werden.

Alarmzeichen: Diese Männer tun meistens nicht gut

Normalerweise tasten sich Menschen beim Kennenlernen vorsichtig aneinander heran. Frauen mit "Verschmelzungstendenz" gelinge es, sehr schnell viel Nähe zu einem Mann entstehen zu lassen. "So etwas muss als Alarmzeichen gewertet werden", sagt Murmann. Männer, die von jetzt auf gleich alle Sehnsüchte erfüllen, täten Frauen meist nicht gut, weiß die Expertin aus ihren Beratungsgesprächen:

"In narzisstisch geprägten Partnerschaften lassen sich Frauen demütigen, erniedrigen und abwerten."

Auch Isabella T. erlebte eine Form von Beziehung mit höchst destruktivem Potenzial. "Das große Problem ist, dass sich Frauen wie sie meist nie die Frage gestellt haben, was Beziehung zu einem anderen Menschen, aber auch, was Beziehung zu sich selbst heißt", sagt Murmann. Frauen, die ihre eigenen Wünsche, ihre Bedürfnisse und ihre inneren Nöte kennen, seien eher davor gefeit, Opfer eines narzisstischen Mannes oder eines Liebesbetrügers zu werden, erläutert die Expertin.

(* Name von der Redaktion geändert.)

 

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