Hebamme Ruth Sichermann geht durch die bunten Gänge des Ansbacher Geburtshauses. An der Wand hängt ein Schild mit Namen und Uhrzeiten von Neugeborenen, die hier in den letzten Wochen zur Welt kamen. "Eine Geburt ist nicht planbar. Das läuft hier nicht ab wie am Fließband in der Fabrik", sagt die Geburtshaus-Geschäftsführerin und lacht. Auch ihr Haus ist vom sich seit Jahren verschärfenden Fachkräftemangel der Branche betroffen.

Nur noch wenige Großfamilien

Den zwölf Hebammen im Ansbacher Geburtshaus fehlen gleich mehrere Kolleginnen, wollten sie allen Anfragen von werdenden Müttern gerecht werden. "Wir wollen Familien in ihrer Eigenkompetenz stärken", sagt Sichermann, die selbst seit 45 Jahren als Hebamme arbeitet.

Weil die wenigsten heute als Großfamilie unter einem Dach leben "und viele Frauen nach der Geburt mit Geburtsverletzungen, Bindungsstörungen und Wochenbettdepressionen zu kämpfen haben, wäre eine gute Betreuung in den ersten Wochen nach der Geburt umso wichtiger", sagt die 63-Jährige.

Hebammen-Beruf wurde akademisiert

Um dem Hebammenmangel entgegenzuwirken, wurde der Beruf in den vergangenen Jahren auch in Deutschland akademisiert - später als in den meisten anderen EU-Ländern. Seit dem Jahr 2020 bieten Hochschulen das Fach "Hebammenkunde" an, in Bayern kann man es an acht Orten studieren. Die Vorsitzende des Bayerischen Hebammen-Landesverbands, Mechthild Hofner, findet die Entwicklung gut:

"Die Anforderungen an den Hebammenberuf sind komplexer und anspruchsvoller geworden."

Die Überführung der Ausbildung an die Hochschulen sei richtig gewesen.

Hebammenforschung dringend notwendig

Zusätzlich zu einer soliden berufspraktischen Ausbildung bedarf es der Befähigung zum analytischen Denken, sagt Hofner: "Es ist dringend notwendig, dass Hebammen auch wissenschaftlich arbeiten. Wir brauchen 'Hebammenforschung' zur Physiologie des Gebärens."

Diese Ausbildung geschieht durch Einsätze in der Klinik und in hebammengeleiteten Einrichtungen wie Geburtshäusern. Die gezielte Instruktion der Studierenden durch eine Hebamme in einer Eins-zu-Eins-Anleitung der wichtigsten Prozesse rund um die Geburt sei nach wie vor unersetzlich.

Hofner fordert ein anderes Vergütungssystem der Geburtshilfe:

"Die Betreuungszeit einer normalen, physiologischen Geburt durch eine Hebamme muss entsprechend entlohnt werden. Höher als medizinische Interventionen, höher als ein Kaiserschnitt."

Nicht nur geringe Bezahlung

Auch Sichermann sieht neben den unregelmäßigen Arbeitszeiten die geringe Bezahlung als Hauptursache für den Personalmangel. Für einen einstündigen Wochenbettbesuch bekommt eine Hebamme 38 Euro brutto. "Eigentlich werden genug Hebammen ausgebildet, aber nur die wenigsten bleiben", sagt sie.

Für knapp die Hälfte der 336 Frauen, die im Geburtshaus Ansbach vergangenes Jahr betreut wurden, war es die erste Schwangerschaft. Eine aufwühlende Zeit, in der eine umfassende, intensive Betreuung umso wichtiger ist, sagt Sichermann. Eine der Geburtshaus-Hebammen ist Dana Mardus. Durch den Personalmangel steht sie unter Druck:

"Ich komme oft an meine Grenzen, habe wenig Zeit für meinen Freund und meine Familie."

Dennoch schätzt sie den zwischenmenschlichen Kontakt mit den jungen Müttern. "Im Kreissaal hat man diese intensive Betreuung nicht", sagt die 24-Jährige.

Hälfte der Anfragen abgelehnt

Mardus und ihre Kolleginnen geben alles, um Eltern auf dem Weg, eine Familie zu werden, die größtmögliche Unterstützung zu bieten. Auch wenn sie wegen Personalmangels vielen werdenden Müttern absagen müssen. "Gestern hatte ich zehn Anfragen, die Hälfte davon musste ich ablehnen", sagt die 24-Jährige. Besonders eine Frau sei ihr dabei in Erinnerung geblieben.

"Sie erzählte mir von ihrer ersten Geburt, bei der sie starke Wochenbettdepressionen erlitt. Umso wichtiger war es ihr, für die zweite Geburt die Unterstützung einer Hebamme während der ersten Monate zu haben. So jemanden ablehnen zu müssen - da blutet mir das Herz."