Regenbogenfahnen sind bunt, harmlos und machen sich gerade im Sommerwind gut. Doch ausgerechnet auf dem Bundestag soll in diesem Jahr zum Christopher Street Day in Berlin keine wehen – so hat es Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) entschieden.
Die Begründung? Es gebe schließlich schon eine Fahne, die alles sage, was zu sagen sei: Schwarz-Rot-Gold. Die stehe für Freiheit, Menschenwürde – und "auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung". Also: Warum zusätzlich Farbe bekennen, wenn das Grundgesetz doch alles abdeckt?
Nun ja, vielleicht weil es im wahren Leben einen Unterschied macht, ob etwas in einem Gesetzbuch steht – oder sichtbar gelebt wird. Denn wenn Menschen auf der Straße angegriffen werden, weil sie queer sind, hilft ihnen kein Grundgesetzartikel in der Tasche. Ein Symbol öffentlicher Solidarität hingegen vielleicht schon.
Christenverfolgung als Begründung: Vatikanflagge hissen?
Klöckner sieht das anders. Sie führt an, dass auch andere Gruppen verfolgt werden – und nennt als Beispiel Christ*innen, laut Klöckner die "meist verfolgte Gruppe weltweit". Von dieser Behauptung ausgehend leitet sie ab, dann müsse sie ja auch einmal im Jahr die Vatikanflagge aufziehen.
Eine merkwürdige Argumentation. Denn zum einen hat der CSD keinen Antrag darauf gestellt, Staatsreligion zu werden. Alles, was man sich wünscht, ist ein Zeichen der Solidarität mit einer gesellschaftlichen Gruppe, die auch im Jahr 2025 noch regelmäßig ein erhebliches Maß an Diskriminierung, Beschimpfungen und Gewalt erfährt.
Zum anderen ist die Aussage, Christ*innen seien "die am meisten verfolgte Gruppe weltweit", nicht nur in ihrer pauschalen Absolutheit fragwürdig, sondern auch sachlich höchst zweifelhaft. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – keine queere Lobby, sondern ein konservativ geprägter Verein – weist explizit darauf hin, dass sich seriös gar nicht sagen lässt, welche Religionsgruppe weltweit am meisten verfolgt ist.
Denn weder über die Gesamtzahl aller wegen ihres Glaubens verfolgten Menschen, noch über die exakte Zahl der verfolgten Christ*innen, Muslim*innen, Jüd*innen oder anderer Gruppen gebe es belastbare Daten. Die oft zitierte Behauptung, 80 Prozent aller Glaubensverfolgung treffe Christ*innen, sei "völlig ungesichert und vermutlich frei erfunden".
Nebelkerze statt Regenbogenfahne
Doch was soll's – wenn schon keine Regenbogenfahne, dann wenigstens eine Nebelkerze. Klöckner versucht, eine klare Geste für queere Menschen zu relativieren, indem sie eine abstrakte Gleichbehandlung ins Feld führt: Wenn alle sichtbar sein wollen, kann niemand sichtbar sein. Klingt oberflächlich betrachtet gerecht – ist aber tatsächlich nur bequem und unehrlich.
Der Berliner CSD-Vorstand Thomas Hoffmann bringt es nüchtern auf den Punkt: "Es tut doch niemandem weh, die Regenbogenflagge zu hissen." Richtig. Es sei denn, man empfindet Sichtbarkeit schon als Zumutung. Dann wird die Fahne schnell zur Provokation – und Schwarz-Rot-Gold zur Ausrede, sich nicht festlegen zu müssen.
Queere Menschen unter Druck
Hoffmann berichtet auch, welchen Schwierigkeiten sich der CSD und queere Menschen insgesamt angesichts der politischen Großwetterlage (kurz gesagt: Trump) ausgesetzt sehen.
Und wir brauchen gar nicht unbedingt in die USA zu blicken: Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht angesichts des Erstarkens rechtsextremistischer Jugendgruppen eine Gefahr für Leib und Leben von queeren Menschen (neben Mitgliedern der linken Szene und als "Ausländer" gelesenen Menschen). Das ergibt sich aus einer schriftlichen Antwort des Inlandsgeheimdienstes auf eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND).
Vielleicht sollte sich das Parlament beziehungsweise dessen Präsidentin gar nicht fragen, welche Fahne über oder unter welcher steht. Sondern, welche Botschaft damit ausgesendet wird. Oder eben auch nicht ausgesendet wird.
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Das Reichstagsgebäude…
Das Reichstagsgebäude repräsentiert ebenso wie bspw. das Schloß Bellevue den gesamten Staat und ausnahmslos alle Deutschen. Dafür gibt es nur eine Farbkombination, schwarz-rot-gold. Die Regenbogenflagge mag für vieles und viele stehen, aber nicht für alle. Daher kann sie gerne zum CSD neben dem Reichstag wehen, aber nicht obendrauf.
Die Argumentation der Frau Klöckner ist wirklich nicht überzeugend.
Natürlich ist das einerseits…
Natürlich ist das einerseits ein populistischer Move, aber andererseits könnte es den Betroffenen am Ende sogar dienen. Es ist nämlich einerseits so, dass bis weit in konservative Kreise hinein, die Aversion gegen nicht klassische Familienmodelle eher abgenommen hat. Andererseits suggeriert die Omnipräsenz der Beflaggung eine völlige Überrepräsentanz, denn auch bei den üblichen Unsicherheiten aufgrund immer noch vorhandener Tabus handelt es sich um eine letztlich ziemlich überschaubare Minderheit (quantitativ ähnlich der, der regelmäßigen Kirchgänger). Da heizt ein "Flaggenzwang" eher Angst und Neid an als er hilft. Gefühlt kann man ja ohne Regenbogen weder zur Schule, in die katholische Messe noch den ESC gewinnen oder zum Fußballspiel. Das kann im konkreten Anlaßfall einmal sinnvoll sein, ist aber als "Dauereinrichtung" eher etwas viel. Natürlich wird das von der Gegenseite noch übertrieben dargestellt, so dass die fragenden oder negativen Emotionen weiter angeheizt werden und Extremisten und Gewalttäter sich bestätigt fühlen und sicher reitet hier auch die CDU im Wissen der Klientel etwas auf dieser Welle. Das ist für Betroffene nicht schön, bedeutet aber keineswegs, dass in der breiten Gesellschaft die Akzeptanz völlig flöten geht. Im Gegenteil kann man sich leichter wieder dem Individuum zuwenden, wenn nicht der Eindruck einer übermächtigen stark ideologischen Lobby entsteht, die einen direkten Draht zur politischen Elite hat. Flaggen sind Symbole mit einer gewissen Strahlkraft (in Deutschland eher mit einer zweideutigen), aber am Ende sind sie keine konkrete Politik. Auf die wird es aber ankommen und da sind als Bremser theoretisch noch die Sozialdemokraten in der Regierung, die sicher zu keiner offenen Diskriminierung aufrufen werden. Wenn es am Ende äußerlich auf die Mütze gibt, die rechtliche Situation aber vielleicht sogar leicht verbessert wird, so ist das im internationalen Vergleich nicht so schlecht. Gerade die CDU ist durch solche widersprüchliche Politik gekennzeichnet. Selbst Merkel hat sich ja bei der Ehe für alle enthalten und galt trotzdem als progressiv. Das wird halt gerne verdrängt. Die Sache mit der Christenverfolgung wird zwar für europäische Verhältnisse populistisch etwas hoch gehangen (auch da hofft man wohl auf Nicken der vom Islamismus erschrockenen oder durch Bedeutungsschwund verunsicherten Klientel). Es stimmt aber andererseits international sehr wohl, dass Christenverfolgung ein Thema ist und das ist mehr als ein Gerücht. Syrien, Boko Haram in Westafrika, staatliche Verfolgung in China oder anderen islamischen Ländern sind oft genug tödlich und sollten nicht verharmlost werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Quantität und Qualität der Verfolgung zu unterscheiden ist und Christen diesbezüglich auch nicht immer Kinder von Traurigkeit sind.