Keine 24 Stunden vergingen ach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien, bis CDU-Politiker Jens Spahn in einer Fernsehsendung von "n-tv" vorschlug, allen nach Deutschland geflüchteten Syrer*innen 1.000 Euro in die Hand zu drücken, sie in ein Flugzeug zu stecken und abzuschieben.
In ein Land, das sich noch bis Sonntag 13 Jahre lang im Bürgerkrieg mit Machthaber Baschar al-Assad befand. In ein Land, in dem 16,7 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, Millionen hungern.
In ein Land, das erst vor 1,5 Jahren von dem verheerenden Erdbeben getroffen wurde, das fast 400.000 Syrer*innen obdachlos machte.
In ein Land, dessen öffentliche Infrastruktur katastrophal ist, genauso wie die wirtschaftliche Lage, die medizinische Versorgung und überhaupt die Versorgung mit grundlegenden Dingen. Lebensmittelkrise, Energiekrise, Gewaltkrise – das Land hat alles erlebt.
Vor allem CDU und FDP wollen die Syrer*innen loswerden
Währenddessen hieß die Schlagzeile in Deutschland am Tag nach der Machtübernahme: "BAMF stoppt vorerst Asyl-Entscheidungen von Syrern". Marco Buschmann, ehemaliger Justizminister von der FDP, forderte eine internationale Syrien-Konferenz, gerne in Deutschland, um "die Chancen zu erhöhen, dass nach endlos langen Jahren des Bürgerkriegs wieder Frieden und Sicherheit nach Syrien zurückkehren" – aber eben auch, weil es "unser Interesse ist, dass Menschen, die im Moment von unserer Solidarität hier leben, dann auch wieder zügig in ihre Heimat zurückkehren können."
Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei (CDU), sah schnell keinen Grund mehr, syrischen Flüchtlingen in Deutschland Schutz zu gewähren. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster habe schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass es nicht uneingeschränkt für alle Syrer*innen Schutz geben dürfe, weil "es nicht für alle Syrer oder für Zivilisten in allen Teilen des Landes letztlich Lebensgefahr gibt." Nach dem Sturz Assads gelte das "eben zweimal nicht", sagte Frei.
Abschiebung von Syrer*innen: Unmenschlich und widerlich
Ach so, na, wenn Lebensgefahr nur noch in manchen Teilen Syriens herrscht, macht es das natürlich zum attraktiven Reiseziel. Ich werde gleich mal meinen nächsten Urlaub dort buchen.
Aber im Ernst: An diesem Tag wurde die brutale Herrschaft Assads beendet, Unschuldige aus Gefängnisse entlassen, Syrer*innen fielen sich weltweit in Tränen aufgelöst in die Arme und noch niemand hat so richtig realisiert , was da soeben passiert ist. An so einem Tag öffentlich darüber zu sprechen, Syrer*innen, die größtenteils schon vor zehn Jahren nach Deutschland kamen und heute hier arbeiten, vor die Tür zu setzen, ist nicht nur unmenschlich, sondern auch widerlich.
Unmenschlich, weil die Zukunft Syriens völlig ungewiss ist. Das Land ist nicht nur von den vergangenen Jahrzehnten massiv geschwächt, auch wie tolerant und friedlich sich die islamistische Miliz HTS rund um Abu Mohammed al-Dschulani nun verhalten wird, die Assad stürzte, muss sich erst zeigen. Es ist zu früh, um festzustellen, ob einer Person in Syrien künftig Gefahr oder Verfolgung droht, die nicht in das sunnitisch-islamistische Weltbild passt – syrischen Christ*innen, Kurd*innen oder Schiit*innen zum Beispiel.
Widerlich, weil es wirkt, als wären besagte Politiker nicht glücklich und erleichtert über den Umbruch in Syrien, sondern darüber, endlich Menschen wieder loswerden zu können, die seit Jahren in Deutschland leben. Widerlich, weil hier Wahlkampf mit rechten Buzzwords betrieben wird.
Syrien ist nicht sicher
Die Vorsitzende des Verbands Deutsch-Syrischer Hilfsvereine und Rüsselsheimer Rechtsanwältin Nahla Osman sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Ausreiseforderungen von CDU- und AfD-Politikern lösten Angst unter Syrer*innen in Deutschland aus. Sie wüssten nicht, ob ein Aufenthalt in Syrien derzeit sicher ist oder ob Exilanten als Verräter gelten. Im Augenblick gelte: "Syrien ist eindeutig nicht sicher."
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel postete am Sonntag auf Twitter: "Wer in Deutschland das freie Syrien feiert, bei dem liegt augenscheinlich kein Fluchtgrund mehr vor. Er sollte umgehend nach Syrien zurückkehren". Die Tatsache, dass insbesondere Teile der CDU sich mit ihren Äußerungen denen der Rechtsaußen-Partei annähern, ist kaum zu übersehen. Und das, obwohl es Anfang des Jahres noch Massenproteste gegen die AfD gab – wegen deren publik gewordenen Plänen für die massenhafte Ausweisung von Ausländer*innen und Deutschen mit Migrationshintergrund.
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Dem kann man im Wesentlichen…
Dem kann man im Wesentlichen nur zustimmen. Es ist schäbig und auch wenig intelligent. Man tut so als ginge es um eine anonyme Masse, die nur Mühe bedeutet, dabei sind Flüchtlinge in 10 Jahren längst Schulfreunde, Kollegen oder auch nur der Verkäufer um die Ecke, den man gelegentlich grüßt, geworden. Die schafft man nicht einfach fort. Natürlich werden einige auch zurückkehren, denn Syrien braucht Leute für den Wiederaufbau, aber das werden weder alle sein noch ist es in der aktuellen völlig diffusen Sicherheitslage überhaupt realistisch. Noch immer sind fremde Armeen im Land, Radikale, traumatisierte, es ist Winter und vieles ist so zerstört, dass man hoffen muss, dass die Leute vor Ort ohne Hunger und unter einem Dach leben können. Bei neuer Eskalation ist sogar weitere Flucht denkbar. Schließlich suggeriert man mit solchen Pseudovorschlaegen auch eine Rückkehr zum Status quo Ante, aber sowohl die wilden Zeiten der Massezuwanderung als auch danach haben viele Spuren hinterlassen. Neue Bekanntschaften, Initiativen, unvergessliche Tage, neue Kulinarik und Sprache haben das Land verändert und auch die Welt um uns. Bei weitem nicht alles war negativ oder ist verzichtbar. Der Nahe Osten wird nahe bleiben egal wie es hier und da weitergeht.