Es ist spätsommerlich warm, als ich im Schlossgarten der Evangelischen Akademie in Tutzing auf die ersten der über 50 Teilnehmenden am See treffe. Unter dem Motto "Klimakrise, Selbstfürsorge und radikales Mitgefühl" haben Engagierte und Aktive aus den Bereichen Ökologie, Frieden und Gerechtigkeit zu einem gemeinsamen Wochenende eingeladen. Es soll darum gehen, eine Balance zwischen politischer Aktivität, Loslassen und Kraftschöpfen zu finden. 

Die Klimakrise ist auch eine innere Krise

Die Tagung will einen Blickwechsel vom Außen ins Innen vermitteln. Ob Yoga, Body-Scan, achtsames Gärtnern Meditieren oder das Proben einer Blockade – die Teilnehmenden sollen ihren Körper spüren und ihrer Gefühle wahrnehmen. Innerhalb von drei Tagen durchlaufen die Teilnehmenden unterschiedliche somatische Workshops, eingefasst in verschiedene Impulsvorträge und Austauschrunden.

Am Seeufer spreche ich mit dem Klimaforscher, Hans Joachim Schellenhuber. "Der Sommer war viel zu trocken und zu heiß – alles ist aus dem Gleichgewicht gefallen: auch wir Engagierten haben den Halt verloren", erklärt er.  Die tiefsitzende Angst vor den Folgen der ökologischen Katastrophe sei hautnah spürbar.

"Handeln ist das Gegenmittel zur Verzweiflung"

Den Orientierungsrahmen für das Tagungsprogramm liefert ein Satz der Ökophilosophin und Gelehrten für Buddhismus, Joanna Macy: "Handeln ist das Gegenmittel gegen Verzweiflung." Und ich beginne, zu verstehen, dass sich hinter dem Ausdruck "Handeln" nicht unmittelbar ein Appel zum politischen Tätigwerden verbürgt, sondern zur Fürsorge für sich selbst und die Menschen um einem herum.

Mona Bricke, Aktivistin in der Menschenrechts- und Klimagerechtigkeitsbewegung, berichtet in ihrem Vortrag unmittelbar aus ihrer Erfahrung: "Wenn alle Kraft ins Wegdrücken der schmerzhaften Gefühle geht, bindet diese Abwehr wertvolle psychische Energie." Insbesondere die Protestantische Ethik habe Bricke stärker zum aktivistischen Handeln motiviert. Schnell wollte sie überall und gleichzeitig aktiv sein. Ich sehe in viele zustimmende und bewegte Gesicht.

Die Gefahr eines kollektiven Burnouts schwebt als latente Gefahr im Raum. Sie kennen es alle, den inneren Motivator, der heißt: "Wir dürfen nicht Haltmachen, weil es so wichtig ist".

Timo Luhmann, Theologe, Autor und Aktivist betont, dass im nachhaltigen Aktivismus die Körperarbeit ein wichtiger Baustein ist. Er stärkt den politisch Engagierten den Rücken und hilft ihnen, mit dem Scheitern umzugehen. Schon lange sei das heilvolle Versprechen, "unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir", ins Gegenteil gekippt. Heute geht es vor allem darum, die Belastungsgrenzen der erwachsen "Kinder" ernst zu nehmen. "Selbstfürsorge ist eine politische Notwendigkeit", sagt Luhmann.

Miteinander-Fürsorge stärken

Ich setze mich mit den anderen in den Schneidersitz und übe mich darin, mich selbst zu spüren. Die Person neben mir atmet schwer aus, ich schaue zu ihr rüber und lege ohne zu zögern meinen Arm um sie herum. Lea Schützle, Promovendin zum Thema "Radikales Mitgefühl" an der Hochschule für Philosophie in München, erklärt am nächsten Tag: Bei der Selbstfürsorge geht es um eine durchlässige "Miteinander-Fürsorge" durch die Perspektivübernahme auf mich selbst und andere.

"Mitgefühl ist kein Gefühl, sondern eine Haltung", betont sie. Die Transformation für eine "lebenswerte Zukunft für alle" muss von Innen kommen.

Dieses Fazit zieht auch Greepeace-Geschäftsführerin Nina Treu in ihrem Abschlussvortrag. Es gebe für den wirtschaftlichen Bereich noch wenig Lösungen. Daher gelte es, neue Ideen auszuprobieren und Kreativwerkstätten mit unterschiedlichen Pionier*innen einzurichten, die gemeinsam tentativ zukunftsweisende Ideen entwickeln.

Genau das fällt vielen Unternehmen schwer, so Treu: "Technik ist immer herrschaftsträchtig und lösungsorientiert." Eine Transformation sei möglich, wenn die ideologischen Mauern in der Gesellschaft abgebaut würden und eine neue Haltung der Partizipation und des radikalen Mitgefühls kultiviert werde.

Persönliches Fazit

Mir wird klar: Es geht weniger um die realen Erfolgschancen im Hier und Jetzt, als um die Absicht, der Klimakrise zu begegnen und auf sie in der Haltung der Miteinander-Fürsorge zu reagieren. Ich habe erlebt, dass Mitgefühls-Meditation diese Haltung schult, innere Kraft verleiht und ich ohne weiterem Zutun in Resonanz trete mit den anderen Teilnehmenden.

Ich habe noch nie nach einer Veranstaltung so viele neue Handynummern gesammelt, wie auf dieser Tagung. 

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