Als die Magd Anna Maria Schwägelin auf dem Feld arbeitet, kommt aus dem Wald ein Fremder auf sie zu. Sie solle sich zu ihm setzen, mit ihm "kurzweilen", lädt er sie ein. Schwägelin lehnt ab. Der Fremde sagt, er sei der Teufel, und sie würden schon noch zusammenkommen. Dann verabschiedet er sich.
So erzählt es Schwägelin dem Landrichter Franz Wilhelm Treuchtlinger des Stifts Kempten im Allgäu. Der kommt zu dem Schluss, dass Schwägelin mit dem Teufel im Bunde und folglich eine Hexe sei.
Sein Urteil, ausgestellt vor 250 Jahren am 30. März 1775, lautet, "dass die Inquisitin durch das Schwerdt vom Leben zum Todt hinzurichten, der Cadaver hingegen nach guter Gewohnheit zu verbrennen seye". Anfang April bestätigt der Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein das Verdikt.
Hexenverfolgung in Deutschland
Schwägelin, in manchen Quellen auch Schwegelin genannt, ist die letzte zum Tod verurteilte "Hexe" im Heiligen Römischen Reich. Über ihren Fall war lange nur wenig bekannt, weil die Originalakten verschollen waren. Aber 1998 tauchten diese Akten im Besitz eines Privatmanns aus Kempten auf.
Ein Landrichter hatte nämlich Anfang des 19. Jahrhunderts, als das Kloster Kempten säkularisiert worden war, Akten mit nach Hause genommen. Dort hatten sie die Zeit überdauert.
Terror gegen vermeintliche Hexen und Zauberer
Anders als viele glauben, gab es im Mittelalter kaum Hexenverfolgungen. Zum Massenphänomen wurden sie erst in der Frühen Neuzeit ab etwa 1500. Dabei standen sich Protestanten und Katholiken in nichts nach. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ebbte der Terror ab, einzelne Urteile gab es noch bis ins 18. Jahrhundert hinein.
Grundlage der Anklage war ein angeblicher Pakt mit dem Teufel, von dem vermeintliche Hexen und Zauberer ihre Macht bekämen. Daher galten sie nicht als Häretiker (Ketzer), sondern - viel schlimmer - als Angehörige einer Teufelssekte, als von Gott Abgefallene.
An dieser vorgeblichen Sünde orientierte sich die Art der Bestrafung. Typisch für die Frühe Neuzeit waren spiegelnde Strafen, die sich aus der Tat herleiteten: Feuer oder Wasser sollten die Seelen von der Sünde reinigen. Daher wurden angebliche Hexen und Hexer oft verbrannt oder ertränkt.
Der Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg im thüringischen Schmalkalden, Kai Lehmann, leitet ein Forschungsprojekt zu Hexenverfolgungen. Im Rahmen dieses Projekts entsteht eine Datenbank über alle Fälle im Reich. Im Frühjahr soll eine Publikation darüber erscheinen. Die Zahl der Opfer in Deutschland schätzt Lehmann insgesamt auf 60.000 bis 80.000. Doch auch wer überlebte, war ein Opfer. Denn in aller Regel musste er oder sie die Prozesskosten tragen. Damit war die wirtschaftliche Existenz und auch die der Angehörigen zumeist zerstört.
Nach einer Missernte oder dem Ausbruch einer Seuche dauerte es oft nicht lange, bis die Scheiterhaufen loderten. Dabei ging die Initiative meist nicht von Behörden, sondern von der Bevölkerung aus, die nach jemandem suchte, dem sie die Schuld geben konnte. Oft waren die Opfer Menschen, die sich als Sündenböcke eigneten - Arme, Schwache, Frauen, Angehörige sozialer Randgruppen. Nahezu immer wurden die Opfer von anderen Menschen aus der Dorfgemeinschaft angeschwärzt. Es kam regelmäßig vor, dass Nachbarn mit einer Denunziation offene Rechnungen beglichen.
Wichtig für den Prozess war das Geständnis, das zumeist durch Folter erpresst wurde. Unter der Folter gestanden die Beschuldigten oft nicht nur alles, was ihnen vorgeworfen wurde, sondern nannten auch die Namen weiterer vermeintlicher Hexen oder Zauberer. So kam es zu ganzen Prozessketten mit vielen Opfern.
Arme Witwen hatten ein besonders hohes Risiko, in die Mühlen der Justiz zu geraten. Wenn die Verfolgungswelle aber auf die Initiative von Landesherren zurückging, waren bevorzugt reiche Menschen unter den Opfern - weil die Behörden stets das Vermögen der Verurteilten einzogen.
Krisenphänomen und die Suche nach Sündenböcken
Hexenverfolgungen sind vor allem ein Krisenphänomen. Während der Frühen Neuzeit kühlt das Klima ab, was für wiederkehrende Missernten sorgt. Reformation und Gegenreformation erschüttern das Weltbild der Zeitgenossen, der Dreißigjährige Krieg bringt unendliche Not.
Die Forschung sieht in den Verfolgungswellen vor allem eine Ventilfunktion. Mit der Suche nach Sündenböcken reagiert die Gesellschaft ihre Aggressionen ab.
Macht der Medien
Der Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg im thüringischen Schmalkalden, Kai Lehmann, betont einen weiteren Aspekt: "Hexenverfolgung ist auch ein Medienphänomen." Die Berichterstattung über Hexenprozesse durch Flugblätter, möglich geworden durch den Buchdruck, trug dazu bei, dass Menschen überall Hexen und Zauberer sahen.
Ende des 18. Jahrhunderts aber sind Hexenprozesse ungewöhnlich geworden. Denn immerhin ist das die Zeit der Aufklärung. Der Kemptener Historiker Wolfgang Petz hat den Fall der Magd Anna Maria Schwägelin aus den Prozessakten erforscht und dazu veröffentlicht. Für ihn hat er viel mit der Person des Richters Treuchtlinger zu tun. Der sei "ein konservatives Relikt" gewesen, erläutert Petz: "Wenn es ein jüngerer, der Aufklärung zugewandter Richter gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht zu diesem Prozess gekommen."
Wobei er den Treuchtlinger nicht als zwanghaften Hexenverfolger abqualifizieren wolle, sagt Petz. Der Richter habe nicht aktiv nach vermeintlichen Hexen gesucht: "Aber dieser Fall ist ihm vor die Füße gefallen."
Das Leben von Anna Maria Schwägelin
Schwägelin wurde 1729 in bitterarmen Verhältnissen in der Nähe von Memmingen geboren. Früh verwaist, schlug sie sich als Magd durch. Ab 1769 lebte sie in Armenhäusern, weil sie zu krank zum Arbeiten war.
Ein Ausweg aus prekären Verhältnissen war damals in der Regel nur durch Heirat möglich. Auch für Schwägelin schien dieser Weg offen, als ihr 1751 ein Kutscher die Ehe versprach - wenn sie zum lutherischen Glauben konvertiere. Das tat sie auch, der Kutscher ließ sie dann aber für eine andere sitzen.
Einlassen mit dem Teufel
Kurz nach ihrem Übertritt zum Protestantismus, so berichtet sie später, habe der Teufel sie auf dem Feld angesprochen. Mehrfach habe er sie danach aufgesucht, dabei hätten sie Sex gehabt, was ihr "alleweil eine Freud und eine Wohllust" gewesen sei. Die sogenannte Teufelsbuhlschaft ist einer der zentralen Anklagepunkte in Hexenprozessen.
Ob Schwägelin tatsächlich konvertiert ist, geht aus den Akten nicht hervor. Aber sie scheint davon überzeugt zu sein, und offenbar peinigt das ihr Gewissen. Historiker Petz hat bei diesen Gewissensqualen den geschichtlichen Kontext im Blick. Das Thema sei damals "von einer Tragweite gewesen, die wir uns heute kaum noch vorstellen können", erklärt er. "Ein Abfall vom Glauben wird da schnell als Abfall von Gott interpretiert." Zum vermeintlichen Teufelspakt sei es da nicht weit.
Mehrfach erzählt Schwägelin anderen von ihrem Kontakt zum Teufel, aber jahrelang geschieht nichts. Offenbar findet niemand das alles besonders strafwürdig. Erst als eine Mitbewohnerin des Armenhauses Schwägelin beim Stiftsgericht anzeigt, kommt es zum Prozess.
Existenz des Teufels
Heute könnte man den Glauben, mit dem Teufel zu verkehren, als Symptom einer psychischen Krankheit werten. Historiker Petz aber erklärt: "Die Bewertung als krank oder gesund ist eine Frage gesellschaftlicher Maßstäbe, und die ändern sich." Im 18. Jahrhundert sei ein erheblicher Teil der Menschen von der leibhaftigen Existenz des Teufels überzeugt gewesen.
Lange glaubte man, dass Schwägelin die letzte hingerichtete vermeintliche Hexe auf deutschem Boden sei. In einem Kemptener Kirchenbuch aber fand Petz den Hinweis, dass sie erst sechs Jahre nach dem Prozess im Gefängnis gestorben sei, und dass sie zuvor gar die Sterbesakramente erhalten habe.
Der Fürstabt sei der Aufklärung nicht abgeneigt gewesen, beschreibt Petz: "Der Fürstenhof in Kempten war kein Hort der Finsternis." Obwohl der Abt das Urteil zunächst unterzeichnet hatte, ließ er es nicht vollstrecken. Ins Armenhaus habe Schwägelin aber nicht zurückkönnen, weil der Abt schon zuvor geplant hatte, es aufzulösen. Wahrscheinlich sei es die einfachste Lösung gewesen, Schwägelin stillschweigend im Gefängnis zu belassen.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden