Globaler Temperaturrekord, bereits den zweiten Monat in Folge: Die US-Klimabehörde NOAA hat den wärmsten Juni seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880 verzeichnet. Die Durchschnittstemperatur über den Land- und Meeresflächen des Planeten lag mit 16,22 Grad Celsius fast ein Grad höher als die Juni-Durchschnittstemperatur im vergangenen Jahrhundert. Schon im Mai verzeichneten die Klimaforscher einen Wärmerekord.
Rekord Temperaturen wurden in Grönland, in Teilen von Südamerika, Ost- und Zentralafrika gemessen, in Teilen von Süd- und Südostasien, aber auch in Österreich, Frankreich, Spanien und anderen europäischen Ländern. Weitere Fakten der "Klima-Anomalie": Jeder Monat des Jahres 2014 zählt zu den vier wärmsten Monaten seit Beginn der Aufzeichnungen. Neun der zehn wärmsten Juni-Monate lagen im 21. Jahrhundert. Da liegt es nahe, dass uns die Klimaforscher weitere Rekorde prophezeien.
Dürresommer 1540
Doch weder das global-klimatische Ausnahmejahr 2014 noch der Weinkennern bis heute gut erinnerliche europäische "Jahrhundertsommer" 2003 kommen auch nur näherungsweise heran an ein katastrophales Hitzejahr in der Reformationszeit: den Dürresommer 1540, die größte Dürre der letzten 700 Jahre in Europa. Klimaforscher der Universität Bern haben über 300 Wetterchroniken aus ganz Europa durchforstet und so die Belege einer gewaltigen Naturkatastrophe zusammengetragen. Und sie warnen, dass sich ein vergleichbares Ereignis wiederholen könnte.
Im Sommer 1540 "wart ouch der Rin so klein, dasz man uff dem grien oder boden usz der kleinnen stat ... zur halben brucken trocken gon mocht", heißt es aus Basel am Rhein. Bäche waren längst ausgetrocknet. Und selbst Elbe, Donau oder Seine konnte man vielerorts trockenen Fußes durchqueren.
"Der See war so klein", wunderten sich Chronisten über den Anblick des Bodensees. Lindau war keine Insel mehr.
Dürre von biblischem Ausmaß
Der Dezember 1539 war noch stürmisch und regnerisch gewesen. Doch während es nördlich der Alpen schüttete, erlebte Südeuropa bereits die Vorboten der kommenden Dürre von biblischen Ausmaßen. Trocken und warm "wie im Juli" sei der Winter gewesen, heißt es in einer italienischen Wetterchronik. Dann kam die Dürre auch in den deutschen Landen an: "Es regnete nur mal drei Tage im März", notierte der Winzer Hans Stolz im Elsass. In Franken verzeichneten Landwirte fürs ganze Jahr bis August nur an 19 Tagen Niederschläge. In Zürich registrierte man den ersten Regen gar erst Ende September. Nur ein Drittel des in Mitteleuropa üblichen Niederschlags sei 1540 gefallen, sagt der Berner Klimaforscher Christian Pfister. "Den ersten längeren Guss gab es erst wieder 1541."
Zur Trockenheit kam die Hitze - ein sich selbst verstärkender Effekt durch fehlende Verdunstungskühlung, den Meteorologen immer wieder beobachten. Mindestens dreimal so viele Tage wie üblich waren 1540 mehr als 30 Grad heiß.
Vielerorts wurde das Trinkwasser knapp, Brunnen und Quellen fielen trocken. Die Folge: "Vil Vieh crepierte auch an etlichen Orthen ... des Wassers halben; es giengen auch die Wälder von allzugrosser Hitz an, und verbrannten von Thann bis in Lothringen vil hundert Juchert Wäldt".
An den Bäumen wurden schon im Frühsommer die Blätter gelb. Die Ernte verdorrte. An vielen Mühlen standen die Mühlräder still. Die Mehl- und Brotpreise explodierten. Die Armen hungerten. Die Menschen tranken verunreinigtes Wasser, Tausende erkrankten an der Ruhr.
Dann kam das Feuer. Unzählige Wald- und Weidebrände legten in ganz Europa Rauchschlieren vor eine blassrote Sonne. In den Städten genügte ein Funke zur Katastrophe - wie in Einbeck, jener Stadt am Harzrand, deren Bier Martin Luther so schätzte. Die Stadt brannte am 26. Juli komplett ab. Und ihre Bewohner suchten Sündenböcke. Als "Mord-Brenner" gelyncht wurden Menschen aus der Unterschicht, die man unter der Folter zu Geständnissen gezwungen hatte.
Martin Luthers Hexenwahn
Die Menschen in ganz Europa hatten den Eindruck, von einer biblischen Plage heimgesucht zu werden. Die Dürre brachte Tod und Elend. Soziale Spannungen waren die Folge. Todesopfer forderte die Klimakatastrophe auch in der Heimatstadt des Reformators Martin Luther, in Wittenberg.
Die 50-jährige Prista Frühbottin (nach anderen Quellen Prista Frühbrot) war ein perfekter Sündenbock. Die unter den damaligen Verhältnissen alte Frau gehörte zur untersten Unterschicht. Sie war mit dem Wittenberger Scharfrichter befreundet. Und als Abdeckergehilfen profitierten Prista und ihre Söhne vom Tod des verreckenden Viehs.
Der Rat der Stadt - Bürgermeister war der Maler und Lutherfreund Lucas Cranach - beschuldigte Prista und ihren Sohn Dictus der Weidevergiftung durch Zauberei. Augenzeuge Lucas Cranach d. J. hat in einem Holzstich die Anklage festgehalten:
"das Weib /welches mit dem Teufel gebulet / mit jm zugehalten / etliche jar/ Zauberey getrieben / Wetter gemacht / vnd auffgehalten / vnd zu mercklichen vieler armer Leut schaden vergifft Pulver gemacht / auch dasselbige andere zumachen geleret/ damit allerley Viehweide / durch sie und jre drey mithelffer vergifft / dadurch ein onzeliche menge Viehes von Ochsen / Küen / Schweinen etc. an vielen orten nider gefelt/ welche sie darnach geschunden vnd abgedeckt/ durch jren boshafftigen /verzweiffelten geitz umb eines kleinen nutz willen gesettiget".
Gegen diese tödliche Logik hatte Prista Frühbottin keine Chance. Sie floh nach Belzig, wurde dort aber verhaftet und zurück nach Wittenberg gebracht. Die Akten des dann folgenden Hexenprozesses sind nicht erhalten, doch die Hinrichtung ist in den Kämmereirechnungen der Stadt Wittenberg dokumentiert.
Luther und die Hexen
Lutherbiograf Johannes Mathesius (1504-1585) beschrieb nicht nur die Angst und Verunsicherung, die in dem Dürrejahr herrschten, sondern auch anschaulich das grausige Ende der Klimaopfer am 29. Juni 1540: "Zu Wittenberg schmäuchte man auch vier Personen, die an eichenen Pfählen emporgesetzt, angeschmiedet, und mit Feuer wie Ziegel jämmerlich geschmäucht und abgedörrt wurden".
Martin Luther selbst sei im Juni 1540 nicht in Wittenberg gewesen, sagt Kai Lehmann, Kurator der Ausstellung "Luther und die Hexen", die im vergangenen Jahr in Schmalkalden gezeigt wurde. Der Reformator hat sich auch in keiner Weise zu dem Vorfall geäußert.
Für den Theologen waren Hexen allerdings eine Realität. Luther war fest davon überzeugt, dass Hexen durch ihre Zauberei Schäden an Mensch, Vieh und Ernte anrichten. Zauberei habe Luther als "reales Verbrechen" angesehen, das real bestraft werden musste, so Lehmann. In einer aggressiven Hexenpredigt aus dem Jahr 1526 forderte Luther nicht weniger als fünf Mal zur Hexenverbrennung auf. Begründung? Ein Vers aus dem zweiten Buch Mose: "Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen" (22, 17). Luther: "Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden", und: "Ich will der Erste sein, der Feuer an sie legt".
Trotz seiner generell scharfen Äußerungen gegen Hexen habe sich Luther im Einzelfall stets vorsichtig und milde gezeigt, sagt Lehmann. Und der eigentliche Hexenwahn mit seinen Massenhysterien und Massenmorden in ganz Deutschland setzte erst eine Generation nach Luthers Tod ein.
Hitze machte Jahrtausendwein möglich
Einen einzigen Trost gab es für die Katastrophe von 1540. Die Hitze schuf in ganz Europa einen Jahrtausendwein mit extrem hohem Zuckergehalt. "Er sieht im Glas aus wie Gold", schwärmte ein Chronist. Auch in Unterfranken kelterte man einen sensationellen Tropfen. Die protestantischen Schweden, die fast 100 Jahre später, 1631, Würzburg besetzten, fahndeten vergeblich nach dem Wein - die Fässer waren vorsorglich eingemauert worden.
Das so genannte Schwedenfass im Staatlichen Hofkeller unterhalb der Würzburger Residenz erinnert an die Geschichte. Noch im 19. Jahrhundert erwarb ein englischer Händler einige Fässer des inzwischen "bayerischen" Superweins: König Ludwig II. ließ ihn zur Finanzierung seiner Märchenschlösser versteigern. Zuletzt kosteten in den 1960er-Jahren einige Auserwählte den 1540er-Riesling.