Der Paritätische Wohlfahrtsverband lehnt die Steuerentlastungspläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als sozial ungerecht ab. "Von einem höheren Grundfreibetrag profitieren Reiche deutlich stärker als Niedrigeinkommensbezieher", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Das würde die Einkommensungleichheit in Deutschland noch vergrößern.

Kindergelderhöhung reicht nicht aus

Die von Lindner angekündigte Erhöhung des Kindergelds sei hingegen richtig, reiche aber nicht aus, kritisierte der Paritätische. Statt der geplanten 8 auf dann 227 Euro halte der Verband eine Erhöhung um mindestens zehn Prozent für notwendig, also um 22 Euro.

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisierte Lindners Pläne gegenüber der "Rheinischen Post":

"Eine Reform, bei der nominal die Besserverdienenden mehr gewinnen, kommt einfach zum falschen Zeitpunkt."

Die Diakonie-Vorständin Sozialpolitik Maria Loheide kritisierte, der Vorschlag wirke bei den Ärmsten am schlechtesten. Wer keine Einkommenssteuer zahle, profitiere kaum von steuerlichen Instrumenten. Die Diakonie schlage einen Sofortzuschlag von 100 Euro im Monat für ein halbes Jahr für jene Menschen vor, die Transferleistungen erhalten.

Lindner: Es drohen sonst Steuererhöhungen

Bundesfinanzminister Lindner hat seine Steuerpläne indes gegen Kritik verteidigt. Wenn der Bund nicht handele, "droht 48 Millionen Deutschen eine massive Steuererhöhung", sagte der FDP-Politiker, als er die Vorschläge der Öffentlichkeit vorstellte. Das sei in den gegenwärtigen Zeiten "nicht fair". Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und einer unsicheren Wirtschaftslage gehe es ihm um die Vermeidung einer weiteren Belastung der Bürger.

Lindner will mit einem "Inflationsausgleichsgesetz" die sogenannte kalte Progression ausgleichen und den Grundfreibetrag sowie das Kindergeld und den Kinderfreibetrag erhöhen. Medien hatten vorab über Details berichtet, was zu Kritik auch aus der Ampel-Koalition führte. Der Minister erklärte hingegen, für die Bedürftigen werde bereits viel getan. Er verwies auf die Entlastungspakete wegen der steigenden Energiekosten und die geplanten Verbesserungen beim Wohngeld sowie die Einführung des Bürgergelds im kommenden Jahr.

Staat verzichtet auf zehn Milliarden Einnahmen

Seinen Plänen zufolge würde der Staat im kommenden Jahr auf rund zehn Milliarden Steuereinnahmen verzichten. Der FDP-Politiker betonte, dass die Anpassung des Einkommenssteuertarifs nur bis zum Anderthalbfachen des Durchschnittseinkommens erfolgen solle. Damit steige die Entlastung ab einem Einkommen von rund 62.000 Euro im Jahr nicht weiter an. Es profitierten vor allem Beschäftigte und Selbstständige sowie Rentnerinnen und Rentner in der ganzen Breite der Gesellschaft. Im Durchschnitt beträgt die Steuerentlastung Lindner zufolge 192 Euro.

Die unteren Einkommen profitieren prozentual stärker, die höheren durch höhere Summen. Ab 70.000 Euro Jahreseinkommen beträgt die Entlastung nach Angaben des Bundesfinanzministeriums 479 Euro. Bei niedrigen Einkommen, beispielsweise 20.000 oder 30.000 Euro im Jahr, liegt sie bei 115 Euro beziehungsweise 172 Euro.

Die sogenannte kalte Progression führt dazu, dass Lohnerhöhungen die Kaufkraft der Menschen nicht erhöhen oder sogar verringern. Das ist dann der Fall, wenn für das steigende Einkommen höhere Steuern fällig werden und dadurch der Zuwachs die Inflationsrate nicht ausgleicht. Der Effekt kann durch eine Anpassung des Einkommenssteuertarifs gemildert oder vermieden werden.

Spitzensteuersatz soll später greifen

Außerdem soll der Grundfreibetrag, der das Existenzminimum eines Erwachsenen steuerfrei stellt, weiter erhöht werden: im kommenden Jahr auf 10.633 Euro und im übernächsten Jahr auf 10.933. Der Grundfreibetrag war bereits in diesem Jahr um 363 Euro auf 10.347 Euro erhöht worden. Den Plänen zufolge gilt 2023 außerdem der Spitzensteuersatz erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 61.972 Euro. Aktuell sind es 58.597 Euro, im Jahr 2024 sollen es 63.521 Euro sein.

Das Kindergeld für die beiden ersten Kinder soll nach Informationen des Nachrichtenmagazins 2023 um acht Euro auf dann 227 Euro steigen. Für das dritte Kind erhielten Eltern zwei Euro mehr, dann ebenfalls 227 Euro. Für das vierte Kind bleibe es bei 250 Euro. 2024 steige das Kindergeld für die ersten drei Kinder noch einmal um sechs Euro.

Nicht angepasst werden solle die Einkommensgrenze, ab der der sogenannte Reichensteuersatz von 45 Prozent gilt. Damit würden Einkommensbestandteile, die 277.826 Euro überstiegen, nicht entlastet. Für dieses Jahr unterstellt Lindner eine Inflationsrate von knapp sechs Prozent, fürs nächste Jahr eine von 2,5 Prozent.

Bundesregierung schnürte bereits zwei Entlastungspakete

In Reaktion auf stark steigende Preise vor allem für Energie und Lebensmittel hat die Bundesregierung in diesem Jahr bereits zwei sogenannte Entlastungspakete geschnürt: Zu den Maßnahmen gehören etwa Hilfen für Sozialleistungsempfänger, ein Kinderbonus, Heizkostenzuschüsse, der Tankrabatt, die vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage und das 9-Euro-Ticket.

Ein Nachfolgeangebot für das 9-Euro-Ticket als weitere Entlastungsmaßnahme lehnt Lindner bislang ab. Der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Steffen Hebestreit, sagte dazu in Berlin, der Finanzminister weise zu Recht darauf hin, dass eine weitere Finanzierung aus dem laufenden Haushalt nicht so einfach zu machen sei. Das 9-Euro-Ticket würde in einem Jahr zehn Milliarden Euro kosten, betonte er.

Es gebe trotzdem mit den Bundesländern weiter Diskussionen darüber, ob es Anschlussregelungen geben könnte. "Und wenn man das politische Ziel hat, das fortsetzen zu wollen - sowohl im Bund als auch zwischen den Ländern - dann muss man sich um die Finanzierungsfragen" kümmern. Noch bis Ende des Monats können Bahnreisende für neun Euro im Monat den Nahverkehr in der 2. Klasse in ganz Deutschland nutzen.