Manchmal, besonders nachts, da kreisen die Gedanken. Dann sind es die Bilder vom Krieg in der Ukraine, die Catrin H. nicht loslassen. Aber auch die Folgen des Krieges bereiten ihr Kopfschmerzen und schlaflose Stunden: die ständig wachsenden Kosten für Lebensmittel, der exorbitante Anstieg der Preise für Sprit und Gas.

Vor dieser Krise hat sie mit ihrem Mann und drei Söhnen - sechs, acht und neun Jahre alt - den Alltag finanziell ganz gut gewuppt bekommen. Aber jetzt wird es eng. "Ein Eis für alle ist nicht mehr drin", sagt die 44-Jährige.

Wahnsinnig gestiegene Lebenshaltungskosten

Ihr Mann arbeitet Vollzeit als Schlosser, macht berufsbegleitend eine Fortbildung zum Techniker. Sie kümmert sich um die Kinder, managt den Alltag, verdient mit einem Minijob dazu, engagiert sich ehrenamtlich als Elternsprecherin einer diakonischen Kita in Bremerhaven. Die Familie gehört zur Mittelschicht, irgendeine Form von ergänzender Sozialhilfe bekommt sie nicht.

"Durch die wahnsinnig gestiegenen Lebenshaltungskosten fehlen uns jetzt 300 bis 500 Euro", rechnet Catrin H. vor. "Das merken wir besonders bei Freizeitaktivitäten." Kino mit den Jungs beispielsweise? Momentan nicht drin.

"Dafür organisiere ich Kinoabende zu Hause - das macht auch allen Spaß."

Catrin H. ist nicht der Typ, der den Kopf in den Sand steckt. Sie hat einen Plan, geht nur noch streng nach Liste einkaufen. Vorratskäufe sind nicht mehr drin. Sie achtet ganz besonders auf Sonderangebote, macht jetzt viele Leckereien selbst: Schokocrossies zum Beispiel, Popcorn, Süßes aus Bruchschokolade. Die Familie ist oft draußen, schaut, was Spaß macht und nichts kostet.

Weniger Geld bedeutet weniger Sozialkontakte

Und trotzdem: Das fehlende Geld bedeutet auch weniger Sozialkontakte. "Wir können einfach nicht immer mithalten, der Freundeskreis ist kleiner geworden", erzählt Catrin H. Die Kinder, sagt sie, hätten Verständnis.

"Aber in mir drin, da ist ein Kampf. Das macht mich traurig."

Wie ein Booster treiben die Inflation und die massiv steigenden Lebenshaltungskosten eine Entwicklung an, die schon seit einigen Jahren zu sehen ist: Die Mittelschicht in Deutschland schrumpft, ihr Armutsrisiko wächst. Zwischen 2014 und 2017 rutschte in Deutschland laut einer gemeinsamen Studie von Bertelsmann-Stiftung und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jeder Fünfte aus der mittleren in die untere Einkommensschicht.

Das bedeutet laut Studie, dass das verfügbare Einkommen auf weniger als 75 Prozent der rechnerischen Mitte aller Einkommen in Deutschland gesunken ist. Im Jahr 2018 waren das für eine Familie mit zwei Kindern weniger als 3.000 Euro.

Demokratieverdrossenheit nimmt zu

Hinzu kommt, dass ein Aufstieg in die Mittelschicht immer schwieriger wird. Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft sei für viele Menschen nicht mehr glaubhaft, warnt der Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland in Niedersachsen, Bernhard Sackarendt. Er befürchtet, dass dadurch die Politik- und Demokratieverdrossenheit weiter zunimmt:

"Das ist ein großes Risiko für unsere Demokratie."

Die Menschen aus dem Mittelstand, die jetzt finanzielle Probleme bekommen, sind nach Beobachtungen der Schuldnerberatungen noch nicht sichtbar. "Das erreicht uns zeitverzögert, aber wir sind in Hab-Acht-Stellung", sagt Roman Schlag, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Wenn sich die Situation verschärfe, versuchten viele Menschen, das zunächst irgendwie selbst hinzukriegen. Zudem sei der Besuch einer Schuldnerberatung schambehaftet.

"Aber die Krise wird sich verschärfen - bis hinein in besserverdienende Bevölkerungsschichten."

Das werde vermehrt dann der Fall sein, wenn Anfang des kommenden Jahres die Abrechnungen der Energieversorger und damit verbunden massive Nachforderungen auf die Haushalte zukommen, prognostiziert Silke Otten, Schuldnerberaterin beim Diakonischen Werk in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen.

Schuldnerberatung für alle in Not

Um dann reagieren zu können, fordert sie genauso wie Roman Schlag einen gesetzlich und finanziell abgesicherten Anspruch auf Schuldnerberatung, der für alle Menschen gilt, die in Notsituationen geraten. Derzeit ist das in Deutschland nicht einheitlich geregelt. So kann Silke Otten beispielsweise nicht jedem Ratsuchenden kostenlos helfen.

"Viele reden einfach nicht darüber, machen es mit sich aus", hat Catrin H. als Elternsprecherin ihrer Kita erfahren. Sie selbst sei froh, dass ihre Verwandtschaft sie tatkräftig unterstütze: "Ich wüsste nicht, wie wir es sonst packen würden." Aber die Aussicht, dass sie aufgrund der Gaskrise im Winter möglicherweise frieren müssen, "macht mich sprachlos". Vielleicht würde es schon helfen, wenn die Politik die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel senke. Sie selber wolle schauen, ob sie mehr arbeiten könne.

"Und wir überlegen, Wohngeld zu beantragen."