Sozialrecht ist nicht nur trockene Materie. Da geht es um Menschen und Existenzen. Sozialgerichte entscheiden, ob ein Unfall dienstlich oder privat war, wie Asylbewerber ihr Taschengeld bekommen oder welche Krankentransporte Patienten selbst zahlen müssen.

Die Schwarzenbruckerin Petra Hopf, Versichertenberaterin, ehemalige Sozialversicherungsangestellte und zweite Bürgermeisterin ihrer Kommune, bezeichnet das Lesen von Sozialgesetzen sogar als ihr Hobby.

Nun kann die 60-Jährige aus Mittelfranken ihre Kenntnisse als neue ehrenamtliche Richterin am Bundessozialgericht in Kassel anwenden. Dorthin wurde sie auf Vorschlag des Bundesverbands Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen berufen.

"Besonders am Herzen liegen mir die Belange von behinderten Kindern"

Frau Hopf, gibt es ein Gebiet der Sozialrechtsgesetzgebung, das Sie besonders bewegt?

Petra Hopf: Das Thema, das viele am langweiligsten finden: Die Fälle nach Sozialgesetzbuch II (SGB II), bei denen es um Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe geht. Hier bekommt man mit, wie schnell es für Menschen gehen kann, in das Arbeitslosengeld II hineinzurutschen. Es braucht nur eine Krankheit und dann die Arbeitslosigkeit und schon ist es passiert. Ich würde mir bei den Verfahren oft wünschen, dass die Antragsteller einen Rechtsanwalt oder einen anderen Beistand hätten. Aber beim Sozialgericht ist es oft auch so, dass Richter diesen Leuten Hilfestellungen geben, wie man sich artikuliert oder ihnen sagen, welche Unterlagen noch fehlen.

Besonders am Herzen liegen mir aber die Belange von behinderten Kindern. Es macht mich traurig zu sehen, wie Eltern zum Beispiel für eine Brille, die ein Kind vor dem Erblinden bewahren könnte, kämpfen müssen. Die Kassen hätten da schon mehr Spielräume oder könnten Ausnahmen zulassen.

Sehen Sie sich also als ehrenamtliche Richterin am Bundessozialgericht als Volkes Stimme?

Ja. Ich habe am Nürnberger Sozialgericht mit einem anderen Beisitzer sogar schon mal einen Richter überstimmt. Man muss natürlich mit einer guten Begründung die Richter überzeugen können. Die sehen oft nur ihr Sozialgesetzbuch, aber manchmal kann man anregen, einen Fall auch aus einer anderen Perspektive zu sehen. Auch in den Senaten am Bundessozialgericht wirken die ehrenamtlichen Richter an der Urteilsfindung gleichberechtigt mit. Das Bundessozialgericht ist die letzte menschliche Instanz, aber die allerletzte Instanz bleibt für mich Gott. Als evangelische Christin bin ich geprägt vom christlichen Menschenbild und dessen Werten.

"Als wir unsere Prüfungen geschrieben haben und Paragrafen wissen mussten, fand ich das noch schrecklich"

Wie ist denn Ihr Interesse an Gesetzen und der Sozialgesetzgebung geweckt worden?

Ich war 16 Jahre alt, als ich bei einer Versicherung in München meine Ausbildung begonnen habe. Als wir unsere Prüfungen geschrieben haben und Paragrafen wissen mussten, fand ich das noch schrecklich. Aber irgendwann habe ich gemerkt, da steckt ja viel mehr dahinter, nämlich die Rechtsauslegungen und Satzungen. 1999 bin ich ehrenamtliche Versichertenberaterin der Deutschen Rentenversicherung und Behindertenvertreterin geworden. Ich lernte die verschiedenen Sozialgesetzbücher und ihre Zusammenhänge immer besser kennen. Im Nachhinein betrachtet wäre es schön gewesen, wenn ich noch ein Jurastudium hätte draufsetzen können. Aber ich hatte dann drei Kinder und war hauptberuflich bei der Krankenkasse tätig.

Das Bundessozialgericht

Das Bundessozialgericht (BSG) ist als Revisionsgericht für Verfahren in "Angelegenheiten der sozialen Sicherheit" zuständig und die letzte Instanz in der Sozialgerichtsbarkeit. Unter anderem werden hier die Revisionen oder Nichtzulassungsbeschwerden in Fällen behandelt, die die gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz, Elterngeld oder Schwerbehinderten-Angelegenheiten betreffen.

Den 14 Senaten gehören 42 Berufsrichterinnen und -richter an. Es gibt 114 ehrenamtliche Richterinnen und Richter, die von den Verbänden der Versicherten und Arbeitgeber, den Krankenkassen, Vertragsärzten oder den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagen wurden. Jeweils zwei Berufsrichter und drei gleichberechtigte ehrenamtliche Richterinnen und Richter prüfen, ob Entscheidungen der Sozialgerichte und der Landessozialgerichte mit dem Bundesrecht und dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind.

Während sich bei den Sozialgerichten und den Landessozialgerichten die Antragsteller selbst vertreten können, müssen sie in Verfahren am BSG einen Prozessbevollmächtigten haben, also Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte oder Vertreter von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden.

Das Bundessozialgericht hat seinen Sitz seit September 1954 in Kassel, die erste öffentliche Verhandlung fand im März 1955 statt. Das Gericht befindet sich im "Generalkommando", einem ehemaligen Gebäude der Wehrmacht im neoklassizistischen Stil. Zunächst war dort auch das Bundesarbeitsgericht untergebracht, das 1999 nach Erfurt umzog. Präsident des BSG ist seit 2023 Christine Fuchsloch. (epd)

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