Herr Gänsicke, wie nah sind die Model United Nations an einer tatsächlichen Generalversammlung der UN?

Felix Gänsicke: Das ist ziemlich wirklichkeitsgetreu. Als Organisatoren halten wir uns an die formelle Geschäftsordnung der Generalversammlung. Bei uns repräsentieren meist zwei Delegierte ein Land und haben die Aufgabe, dessen politische und wirtschaftliche Positionen gewissenhaft zu vertreten. Von den Delegierten werden Vorträge von 30 Sekunden bis zu einer Minute vorbereitet, mit denen sie die anderen Delegationen überzeugen wollen.

Danach geht es in eine informelle Phase, in der sich die Delegierten treffen und miteinander diskutieren. Sie bilden dann Allianzen, wie bei der echten UN, um ihre Themen in einem Dokument unterzubringen. Diese Dokumente werden von Arbeitsgruppen erarbeitet. Das Ziel ist, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der am Ende der Konferenz präsentiert wird.

"In den USA darf das FBI durch sogenannte nationale Sicherheitsbriefe immer wieder höchstpersönliche Daten abrufen."

Auf der Tagesordnung stehen in diesem Jahr die Themen "Auswirkungen von Terrorismus und Anti-Terrorismus-Maßnahmen auf Menschenrechte" und "Bekämpfung von Kinderehen, von Ehen zwischen Minderjährigen und Zwangsehen". Warum haben Sie sich für diese Themen entschieden?

Letztes Jahr hatten wir ein Flüchtlingsthema. Dieses Jahr, in dem das deutsche Grundgesetz 75 Jahre alt wird, wollen wir einzelne Grundrechte beleuchten. Dazu gehört auch die Meinungsfreiheit. In Verbindung mit Maßnahmen gegen Terrorismus stellt sich zum Beispiel die Frage, was erlaubt ist bei der Überwachung von Menschen. 2021 hat Amnesty International Deutschland für den Einsatz des Staatstrojaners kritisiert.

In den USA darf das FBI durch sogenannte nationale Sicherheitsbriefe immer wieder höchstpersönliche Daten abrufen - eine mögliche Gefahr für die zivile Freiheit. Das Thema Kinderehen hat in unserem Verein bei einer Umfrage eine überwältigende Mehrheit bekommen. Deutschland gehört seit 2017 zu einem der nur vier Länder in der EU, die Ausnahmen beim Ehemündigkeitsalter abgeschafft haben. Hier darf also erst mit 18 Jahren geheiratet werden. Aber wir haben auch internationale Teilnehmende, zum Beispiel aus Nigeria, Bulgarien und anderen Ländern, in denen das anders gehandhabt wird.

Im März werden 162 Teilnehmende aus mehr als 20 Nationen erwartet. Sie kommen vor allem von Hochschulen, an denen man Kurse dazu belegen oder in entsprechenden Clubs aktiv sein kann. Auch schulische Teams können sich anmelden. Was nehmen die Teilnehmenden von der BayernMUN mit?

Erst einmal ist es uns wichtig, dass möglichst viele internationale Teilnehmende kommen können. Das ist auch eine Kostenfrage, deshalb regen wir immer an, sich Sponsoren zu suchen. Wir selbst haben eine Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung, der Stiftung Nürnberg Stadt des Friedens und der Menschenrechte und mit der Freimaurer-Loge in Erlangen. Die Teilnehmenden können im Vorfeld drei Wunschländer nennen, die sie vertreten wollen.

Tatsächlich haben wir da eine ziemlich gute Verteilung, es werden also nicht nur westliche Länder genannt. Das kann aus einem Interesse kommen, die Positionen anderer Länder kennenzulernen, dazu gehört auch etwas Mut. Indem sie zum Beispiel Länder vertreten, die bei Kinderehen einen anderen Kurs fahren als europäische Länder, lernen sie auch, wie die UN funktioniert und wie es sein kann, dass eine Resolution scheitert.

Es öffnet ganz stark den Horizont und die interkulturellen Kompetenzen. Genauso, wie vor mehr als 150 Leuten zu sprechen und seine Postion zu vertreten. Die Teilnehmenden werden dadurch auch stabiler in der englischen Sprache und lernen zu verhandeln, auch in einem wirtschaftlichen oder politischen Setting.

"Durch unser Rahmenprogramm mit prominenten Gästen wie dem Oberbürgermeister, mit Interviews und Fototerminen und auch durch den Dresscode wird die Konferenz sehr ernst genommen."

Wie ist die Stimmung bei einer BayernMUN vor Ort und mit welcher Motivation kommen die Teilnehmenden?

Bei ihrer ersten Teilnahme fühlen sich viele erst einmal eingeschüchtert, vor der versammelten Konferenz zu reden. Das versuchen wir ihnen als Organisationsteam etwas zu nehmen. Dann haben wir aber auch universitäre Gruppen, die schon Erfahrung haben und die Konferenz sehr aktiv mitgestalten. Jede und jeder will ja Gehör finden und die eigene Position vertreten. Es gibt da ganz unterschiedliche Taktiken.

Durch unser Rahmenprogramm mit prominenten Gästen wie dem Oberbürgermeister, mit Interviews und Fototerminen und auch durch den Dresscode wird die Konferenz sehr ernst genommen. Man erwartet voneinander, dass man sich vorbereitet hat und sich professionell verhält. Wir haben aber auch ein Abendprogramm, wo es eher darum geht, sich kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen.

Sie haben selbst bereits achtmal an Model United Nations-Konferenzen teilgenommen. Warum begeistert Sie das so?

Allein in unserem Verein haben alle sicher schon an mindestens drei oder vier Konferenzen teilgenommen, einige auch deutlich öfter. Für mich geht es darum, dass man etwas über ein anderes Land erfährt. Das geht, indem man dieses Land repräsentiert, aber auch indem man zu internationalen Konferenzen fährt und vor Ort viel mehr mitbekommt, als wenn man in den Urlaub fährt. Es gibt kleinere Konferenzen, zum Beispiel in Bamberg oder Erlangen. Wenn man da mal war, schaut man sich nach größeren Konferenzen um, und da gehört Nürnberg schon dazu.

Dann geht es weiter zu nationalen Konferenzen oder man besucht mal eine in New York oder Istanbul. Wir sind da international gut vernetzt, auch zu uns kommen zum Beispiel Leute aus Asien oder Südamerika. Ich wollte für mich auch herausfinden, ob ich es mir vorstellen kann, international zu arbeiten. Ansonsten denke ich, dass jeder Mensch, der da mitmacht, auch dafür brennt, dass die Menschenrechte umgesetzt werden.

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