SPD, Union, Grüne und FDP im Bundestag haben sich auf einen gemeinsamen Antrag gegen Antisemitismus verständigt. Der am Wochenende bekannt gewordene Entwurf hat den Titel "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken". Er soll vom Bundestag am Donnerstag, also einen Tag vor dem 9. November verabschiedet werden. Das Datum ist kein Zufall, schließlich jährt sich an diesem Freitag die Reichspogromnacht.
- Der Antrag sieht unter anderem vor, dass Schulen und Hochschulen "antisemitisches Verhalten" von Schüler*innen und Studierenden mit dem Ausschluss von Unterricht und Studium "bis hin zur Exmatrikulation in besonders schweren Fällen" sanktionieren können sollen.
- Bund, Länder und Kommunen sollen sicherstellen, "dass keine Projekte und Vorhaben mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden". Ebenso lehnen SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP eine finanzielle Förderung für Organisationen und Projekte ab, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, zum Boykott des Staates aufrufen oder die Boykottbewegung BDS "aktiv unterstützen".
- Im Straf-, Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht soll es ebenfalls Verschärfungen geben.
Kritik von Amnesty: Antisemitismus-Resolution verfehlt ihr Ziel
Doch an der Resolution, die rechtlich nicht bindend, aber politisch richtungsweisend sein wird, gibt es massive Kritik. Kritiker*innen befürchten, dass der Bundestag mit einer mehrheitlichen Zustimmung Resolution die Meinungs-, Kunst-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit einschränken könnte. Hauptkritikpunkt ist, dass statt einer wirksamen Bekämpfung des Antisemitismus die Kritik an der Politik Israels begrenzt und teils kriminalisiert würde.
So erklärt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, das Ziel, Maßnahmen gegen Antisemitismus auf den Weg zu bringen, sei "ausdrücklich und uneingeschränkt" zu begrüßen. In ihrer jetzigen Form verfehle die Resolution dieses Ziel jedoch:
"Sie lässt darüber hinaus schwerwiegende Verletzungen von Grund- und Menschenrechten und eine erhebliche Rechtsunsicherheit befürchten."
Hauptpunkt der Kritik ist, dass sich die Verfasser*innen der Resolution bei der Bekämpfung von Antisemitismus auf die sogenannte IHRA-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance stützen. Diese sei jedoch "ziemlich unbestimmt" und berge die Gefahr, dass Kritik an der israelischen Regierungspolitik fälschlicherweise als antisemitisch eingestuft werde:
"Der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und außenpolitische Positionen zum Nahostkonflikt müssen klar getrennt werden."
Auch, dass die Resolution einen Schwerpunkt auf Asyl-, Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht legt, kritisiert Amnesty. "Für die Verfasser*innen kommt Antisemitismus offensichtlich vor allem von außerhalb Deutschlands." Das sei sehr problematisch.
Kritik auch aus Israel – und ein Gegenvorschlag
Amnesty International gehört neben vielen anderen NGOs und Akteur*innen der Zivilgesellschaft zu den Unterstützenden eines Gegenvorschlags, der in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht wurde. Auch medico international, Oxfam und Pax Christi unterstüzen diesen. Er stammt von den Juristen Ralf Michaels, Jerzy Montag und Andreas Paulus, den Soziolog*innen Armin Nassehi und Paula-Irene Villa Braslavsky sowie der Historikerin Miriam Rürup.
Die Autor*innen fordern statt Sanktionen und rechtlicher Verschärfungen positive Maßnahmen zur Unterstützung jüdischen Lebens. Neben den genannten NGOs zählen auch Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, Klima-Aktivistin Luisa Neubauer, Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer, Schriftstellerin Eva Menasse und Philosophin Eva von Redecker zu den über 600 teilweise prominenten Unterstützer*innen:
"Rechtliche und moralische Sanktionierung reichen nicht aus, um Antisemitismus und anderer gruppenbezogener Diskriminierung wirksam zu begegnen",
heißt es in ihrem offenen Brief unter anderem. Dafür brauche es das pluralistische Selbstverständnis und den Einsatz einer "demokratisch gestärkten" Zivilgesellschaft.
Kritik an dem Papier kommt auch aus Israel: So befürchten Menschenrechtsorganisationen eine Zensur jüdischer Stimmen. Und die israelischen Jurist*innen Itamar Mann und Lihi Yona kritisieren im juristischen Fachmedium "Verfassungsblog", dass die Verfasser der Resolution sich anmaßten, zu bestimmen, welche Juden als schutzwürdig gelten und welche nicht. Juden, die die Politik Israels kritisch betrachten, seien durch die Resolution gefährdet.
Zustimmung von DIG, Zentralrat zurückhaltend
Ein bisschen Lob gibt es auch: Für die Deutsch-Israelische Gesellschaft begrüßte deren Präsident Volker Beck den Antrag als "wichtiges Signal", die besondere deutsche Verantwortung für die Sicherheit jüdischen Lebens gemeinsam wahrzunehmen.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußerte sich zurückhaltender: "Wir hören das Signal - es bleibt ein Moment der vorsichtigen Zuversicht." Die Resolution müsse nach ihrer Verabschiedung "mit Leben gefüllt werden, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen."
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