Jesus und die Ehebrecherin – einer meiner absoluten Lieblingstexte im Neuen Testament. Auch wenn bei näherer Beschäftigung mit dem Text erstmal eine kleine theologische Enttäuschung auf uns wartet: Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem Text um keinen ursprünglichen Bestandteil des Johannesevangeliums. Die ältesten und bedeutendsten Zeugen des griechischen Textes kennen ihn nicht.

Text hat enorme Wirkungsgeschichte

Als Bibeltext ist dieser erst ab dem vierten Jahrhundert bezeugt, er ist somit sekundär und erst spät ins Johannesevangelium eingetragen worden. Aaaaber: Diese eindrückliche Erzählung steht im Johannesevangelium und hat über Jahrhunderte hinweg eine enorme Wirkungsgeschichte erlangt, wird bis heute wiederkehrend in unseren Gottesdiensten gepredigt, da er Bestandteil der Perikopenordnung ist, welche die Bibeltexte für den jeweiligen Sonntag festschreibt.

Der Kontext, in welchem dieser faszinierende Text entstand, ist aller Wahrscheinlichkeit in der Situation der vorkonstantinischen Kirche des 2. Jahrhunderts zu sehen. Die Kirche steht im Gegenüber zur sündhaften Welt. Und nun kommt es doch vor, dass auch in und außerhalb der Kirche schlimme Verfehlungen passieren, die nicht vorkommen dürften. Das dürfte uns nur allzu bekannt vorkommen. Wie ist damit umzugehen?

Wie geht Jesus mit Menschen um?

Als Jugendliche haben mich insbesondere die Begegnungserzählungen Jesu in den Bann gezogen. Wie geht Jesus mit Menschen um? Speziell mit denen, die ordentlich was auf dem Kerbholz haben? Wie schafft Jesus es, das Wort Gottes hochzuhalten und mit der allermenschlichsten Erfahrung in Verbindung zu bringen, dass Menschen diesem Wort Gottes oft nicht gerecht werden?

In den biblischen Texten müssen die jüdischen "Schriftgelehrten und Pharisäer", die oft als Jesu Gegenspieler dargestellt werden, die Rolle derer übernehmen, die Jesu Rechtschaffenheit im Gegenüber zur Barmherzigkeit auf die Probe stellen. Damit ist in vielen biblischen Geschichten ein judenfeindliches Potential angelegt, was sich bis heute in der Auslegungstradition ausgewirkt hat und auswirkt. Im Umgang mit solchen Erzählungen gilt es diesbezüglich sehr wachsam und sensibel zu sein.

Eine Frau wird beim Ehebruch ertappt. Ob der Mann fliehen konnte, ob es in beiderseitigem Einverständnis geschah, wir erfahren es nicht. Die Sachlage scheint klar, sie ist schuldig und findet sich bereits auf dem Weg zur Vollstreckung ihrer Strafe: Tötung durch Steinigung. Sie wird Jesus nochmals vorgeführt. Recht oder Barmherzigkeit, wie entscheidet Jesus?

Jesus verzögert seine Antwort

Jesus, sobald von der Sachlage in Kenntnis gesetzt, fängt an auf dem Boden in den Sand zu schreiben. Er verzögert seine Antwort. Es ist, als würde er allen Zeit zum Nachdenken geben wollen. Die Frage, die durch den eigentlichen Kontext gegeben ist, lautet: Wie gehen wir mit den Menschen um, die die "Reinheit" der Kirche beflecken? Sollen sie aus der Kirche ausgeschlossen werden, so dass sie für den Rest der Gemeinde wie tot sind?

Erst als Jesus weiter gedrängt wird zu antworten, sagt er: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Welche Kraft von diesem Satz ausgeht. Er spricht die Verurteiler direkt auf die eigenen Verfehlungen an, ohne sie benennen zu müssen. Und auf die Erinnerung, wie leicht es passieren kann, selbst schuldig zu werden.

Jesus bückt sich wieder und schreibt weiter in den Sand. Das erneute Bücken rahmt sein Wort und hebt es damit hervor. Jesus gibt damit aber auch den Umstehenden die Möglichkeit von ihm unbeobachtet weg zu gehen und sich von der Verurteilung zu distanzieren. Jesus bleibt mit der Frau allein. Niemand hat sie verurteilt. Jesus spricht ihr zu:

"Dann verurteile ich dich auch nicht, geh hin und sündige nicht mehr."

Damit nimmt er die Verfehlung ernst, bezeichnet diese auch als Sünde, aber und das ist das Entscheidende daran: Jesus eröffnet eine neue Zukunft im Horizont der Sündenvergebung. Für die Kirche des 2. Jahrhunderts in deren Horizont die Erzählung steht, ist klar: Sünde soll vergeben werden, damit neues, von Sünde befreites und freies Leben möglich wird.

Gegen alle Bestrebungen, Sünder auszuschließen

Die Erzählung von der Ehebrecherin wendet sich gegen alle Bestrebungen, die Sünder aus der Kirche auszuschließen. Sie benennt die Bedeutung der Verfehlung des Ehebruchs, will aber das evangelische Recht und die Pflicht betonen, der Ehebrecherin vergeben zu können. Es handelt sich um eine meisterhafte Erzählung, bei welcher es entscheidend darauf ankommt, sie so auszulegen, dass es nicht auf Kosten des Judentums geschieht.

Wie oft erleben wir in unseren gesellschaftlichen Zusammenhängen, verstärkt durch die schnelle Verbreitung, die durch Soziale Medien möglich wird, wie Verurteilungen über andere verhängt werden. Shitstorms und üble Nachrede werden über andere ausgegossen. Schuld ist Schuld, Sünde ist Sünde. Das benennt Jesus immer wieder. Diese führt letztendlich in den Tod. Dafür ist Jesus bereits gestorben. So weit geht seine Liebe.

Und unsere? Unsere Liebe sollte immer so weit gehen, dass unseren Nächsten eine neue Zukunft und ein freies und befreites Leben möglich wird. Recht bleibt Recht und Liebe führt in ein Leben, in welchem das Recht wieder seine Gültigkeit bekommt.

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