Als "Weihnachts-Christentum" hat der Münchner evangelische Theologe und Journalist Matthias Morgenroth treffend bezeichnet, wie sich in Deutschland und anderen westlich-säkularen Ländern "die aktuelle Gestalt der christlichen Religion offenbart". Dass für Protestanten jedoch in Wahrheit der Karfreitag und für Katholiken der Ostersonntag der höchste kirchliche Feiertag sei - dieses Gerücht hält sich hartnäckig bis heute. Richtig daran ist, dass der mit dem Gründonnerstag beginnende Osterzyklus eigentlicher Höhepunkt im christlichen Festkreis ist.
Das Weihnachtsdatum? Ziemlich wahrscheinlich der Lichtsymbolik zur Wintersonnenwende zu verdanken und in jedem Fall nachträglich konstruiert. Jesu Geburt im Stall zu Bethlehem? Eine fromme Legende. Ostern dagegen ist ein wahrhaft "historisches" christliches Fest. Zu den wenigen harten Fakten aus dem Leben Jesu gehört sein Tod: Als geschichtlich gesichert gilt, dass der Mann aus Nazareth an einem Pessachfest in Jerusalem gekreuzigt wurde. Ob er bei dem letzten gemeinsamen Mahl mit seinen Jüngern, an das die Christen an Gründonnerstag erinnern, ein Pessach-Sedermahl feierte, ist schon weniger sicher.
Ob Dänisch (Påske), Türkisch (Paskalya), Französisch (Pâques), Italienisch (Pasqua), Niederländisch (Pasen) oder Finnisch (Pääsiäinen) - die meisten europäischen Sprachen tragen die Erinnerung an das jüdische Pessach- oder Passahfest noch in sich. Das deutsche "Ostern" haben wir vermutlich missionierenden iro-schottischen Mönchen zu verdanken. Wie im englischen "Easter" steckt in dem Wort entweder ein altgermanisches Wort für Morgenröte (das mit Eos, der griechischen Göttin verwandt sein könnte) oder der Name einer angelsächsischen Lichtgöttin ("Ostara").
Lichtsymbolik also, aber nichts Gewisses weiß man nicht - ebenso wenig wie sicher ist, warum der Gründonnerstag so heißt, wie er heißt. Dass dessen "Grün" vom Grienen oder Greinen der Büßer kommen soll, ist wenig plausibel, da der Tag schon seit dem 4. Jahrhundert ein kirchlicher Freudentag war, an dem die zuvor Exkommunizierten nach Buße und Vergebung wieder zum Abendmahl zugelassen waren.
Kreuzigung an einem Feiertag?
Wenn die Wurzeln des Osterfests im Pessachfest liegen - warum feiern dann Christen und Juden nur selten gleichzeitig? Selten ist der Fall, dass - wie zuletzt im Jahr 2019 - der Pessach-Vorabend (der 14. Nisan oder Erew Pessach) mit dem Karfreitag zusammenfällt - ganz so, wie es der Evangelist Johannes beschreibt.
Pessach erinnert an den Auszug aus Ägypten, die Befreiung Israels aus der ägyptischen Sklaverei. Nach der biblischen Einsetzung (2. Mose 12, 1-27) ist das Fest im jüdischen Frühlingsmonat Nisan zu feiern, der in biblischer Zeit als erster Monat des Jahres galt.
Heute beginnt das jüdische Jahr im Herbst mit dem Tischri (und zwar stets 163 Tage nach dem ersten Tag des Pessachfests), weil das nach jüdischer Auffassung derjenige Monat ist, in dem die Menschheit erschaffen wurde: Fast parallel zum Osterfest 2020 feiern die Juden das Pessach im Jahr 5780 nach Erschaffung der Welt. Am 8. April (14. Nisan) beginnen die Festtage mit dem "Erew Pessach", dem Pessach-Vorabend, und dem traditionellen Sedermahl, das in der Familie gefeiert wird.
Unterschiedliche Kalendertypen
Anders als unser Sonnenkalender, bei dem die Monate nur noch eine vage Erinnerung an die Mondzyklen sind, folgt der jüdische Kalender als "Lunisolarkalender" (oder "gebundener Mondkalender") sehr präzise den Mondmonaten. Zugleich richtet er sich aber auch nach den Jahreszeiten, also nach dem Sonnenjahr.
Weil zwölf Mondmonate durchschnittlich nur 354,37 Tagen entsprechen, ein Sonnenjahr aber durchschnittlich 365,24 Tage dauert, muss der jüdische Kalender regelmäßig Schaltmonate einfügen, damit die Jahreszeiten und die ihnen zugeordneten Monate nicht auseinanderfallen. Denn wann das Frühjahr beginnt, hängt von der Sonne ab, die an einem Tag zwischen dem 19. und dem 21. März genauso lange scheint, wie es Nacht ist. Diese Tagundnachtgleiche markiert den Frühlingsanfang.
Damit ist auch klar, dass der Frühjahrsvollmond - und damit Pessach - auf jeden beliebigen Wochentag fallen kann. Die Christenheit hat beim Konzil von Nicäa im Jahr 325 jedoch einen seit der Zeit der Urchristen andauernden Streit ums Osterdatum entschieden und festgelegt, dass Ostern an einem Sonntag zu feiern ist.
Die Überlieferung der Evangelienschriften zum genauen Todesdatum Jesu ist nämlich widersprüchlich. Die Synoptiker - die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas - verstehen das Abendmahl als rituelles Sedermahl am Vorabend von Pessach - also am 14. Nisan. Die Kreuzigung hätte demnach am Nachmittag des jüdischen Hauptfeiertags Pessach (15. Nisan) stattgefunden - was als eher unwahrscheinlich gilt.
Plausibler sind die Angaben von Johannes, der das Pessachfest im Todesjahr Jesu auf einen Sabbat fallen lässt. Damit wäre zwar das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern kein Pessach-Sedermahl gewesen, aber eine Hinrichtung hätte am Vortag des Festes durchaus stattfinden können. Moderne Historiker favorisieren deshalb die Angaben von Johannes.
Vom Computus zum Computer
Eigentlich erscheint es seit Nicäa recht simpel, den Ostertermin zu bestimmen: Es ist schlicht der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche. Nur: Will man das Osterdatum im Voraus berechnen, tun sich - jedenfalls ohne Computer - höchst komplexe Schwierigkeiten auf.
Bevor die Mathematik zu einer freien Wissenschaft wurde, arbeitete sie sich im Mittelalter fast ausschließlich am "Computus paschalis", der Berechnung des Osterdatums, ab. Erst dem mathematischen Genius Carl Friedrich Gauß (1777-1855) gelang es im Jahr 1800, das Problem in einen komplexen, aber übersichtlichen Satz algebraischer Formeln zu verpacken.
Genau genommen handelt es sich um zwei unterschiedliche Formelsätze, die Gauß entwickeln musste. Denn als wäre die Sache nicht schon schwierig genug, gibt es seit der Kalenderreform von Papst Gregor zwei unterschiedliche Osterfesttermine in der Christenheit, weil die orthodoxen Kirchen (außer in Finnland) zur Berechnung des Ostertermins am Julianischen Kalender festgehalten haben.
Dabei beziehen sich die Orthodoxen in ihrer Terminfindung durchaus auf das jüdische Pessach - allerdings in negativer Weise, so wie es das Konzil von Nicäa wollte: Ostern muss stets nach dem jüdischen Pessach stattfinden.
Dossier
Fastenzeit, Passion, Ostern und Auferstehung - was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? In unserem Themen-Dossier "Ostern" finden Sie spannende Artikel, Informationen und Tipps zu den christlichen Fest- und Feiertagen.
Gespaltene Christenheit
Wie die lateinischen Kirchen des Westens Ostern genau dann zu feiern, wenn auch die Juden Pessach feiern (wie es in diesem Jahr der Fall war) - das ist in den orthodoxen Kirchen also ausgeschlossen. Im Extremfall kann es deshalb sogar sein, dass die Orthodoxen fünf Wochen später feiern als die Kirchen des Westens. Gemeinsame Ostertermine wie im Jahr 2017 sind möglich, aber die Ausnahme.
Ein neues Konzil, das zu einem gemeinsamen Ostertermin der ganzen Christenheit verhülfe, ist nicht in Sicht. 2023 feiern die Orthodoxen in der Woche nach uns - wenn die jüdische Pessachzeit bereits zu Ende ist.
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