"Ma nischtanah ha lailah haseh mi kol ha leiloth?" -
"... worin unterscheidet diese Nacht sich von all den anderen Nächten?" Seit Jahrhunderten singen jüdische Kinder diese Frage zu Pessach, und der Vater erzählt - getreu der Haggadah, der überlieferten Geschichte - vom Auszug aus Ägypten, vom Weg durch die Wüste Sinai, als hätte er alles selbst erlebt.
"Gründungsakt" des jüdischen Volks
Rund 15 Millionen Juden in Israel und der Diaspora gedenken zu Pessach an den Exodus, den Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Eine Erfahrung der Befreiung war der "Gründungsakt" des jüdischen Volks. Angeführt von Moses und unter Gottes Schutz schloss sich für die Israeliten nach der dramatischen Flucht durchs Schilfmeer allerdings auch eine 40-jährige Wüstenwanderung ins gelobte Land Kanaan an.
Der abgebildete Pessach-Sederteller hat seinen Namen vom hebräischen Wort für "Ordnung" und besteht aus "Maror", "Karpas", "Chaseret", "Seroa", "Charosset", und "Beitzah" (im Uhrzeigersinn oben rechts beginnend). Alle Speisen erinnern an den Exodus.
Maror ist ein Bitterkraut - zum Beispiel Meerrettich -, das an die Bitterkeit der Knechtschaft in Ägypten erinnern soll. Auf dem Foto oben abgebildet ist Römersalat (Romana-Salat), der ebenfalls als Maror zulässig und verbreitet ist. Römersalat wurde bereits vor 4000 Jahren in Ägypten angebaut. Maror wird im Verlauf eines Sederabends zweimal gegessen.
Karpas - Sellerie, Radieschen, Petersilie oder Kartoffeln - symbolisiert als Frucht der Erde die harte Sklavenarbeit in Ägypten. Diese Erdfrucht wird während des Mahls in das Salzwasser getaucht und gegessen.
Chaseret, ein zweites Bitterkraut, kann (muss aber nicht) aus derselben Gemüseart wie Maror sein und wird zusammen mit dem Charosset gegessen. Meistens ist Chaseret Meerrettich.
Seroa ist eigentlich eine angebratene Lammkeule mit wenig Fleisch, die an die biblische Vorschrift der Opferung eines Pessach-Lamms im Jerusalemer Tempel erinnert. Da der Tempel nicht mehr steht, essen aschkenasische Juden (also Juden aus Mittel- und Osteuropa) heute keinen Lammbraten mehr. Der Seroa bleibt zudem während des Seders auf dem Teller liegen.
Charosset ist eine Mischung aus Apfel- oder auch Feigenstückchen mit Datteln, Nüssen oder Mandeln, die mit etwas Rotwein zusammengeknetet und mit Zimt oder Ingwer bestreut werden. Die Paste symbolisiert den Lehm, aus dem die Israeliten in den Zeiten der Knechtschaft Ziegel herstellen mussten.
Beitzah schließlich ist ein gekochtes Ei und steht für die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens und für die Trauer um den zerstörten Jerusalemer Tempel. In erster Linie steht das Ei aber für "Chagiga", das Festopfer, dass jeder Jerusalempilger an jedem der drei Wallfahrtsfeste (Pessach, Schawuot, Sukkot) im Tempel darbringen musste. Einen Großteil des Opfertiers, das auch ein Kalb oder Rind sein konnte, erhielt der Pilger zurück, um es mit seiner Familie zu essen. Es bildete quasi das Hauptgericht – auch am Sederabend, an dem sich alle Teilnehmer gründlich satt essen sollten.
Nicht im Bild oben zu sehen ist, was ebenfalls unbedingt zu einem Sederteller gehört: ein Becher Wein nämlich, der für den Propheten Elia bestimmt ist.
Drei Pilgerfeste
Pessach war - neben Schawuot und Sukkot - zu Zeiten des Tempels das erste der drei Pilgerfeste, zu denen die Juden aus dem ganzen Land nach Jerusalem pilgerten. Es fällt in den jüdischen Frühlingsmonat Nissan, die Zeit der ersten Gerstenernte in Israel.
Die genaue Herkunft des Wortes "Pessach" ist umstritten. Das Wort ist abgeleitet vom hebräischen Verbalstamm פסח, der eigentlich "hinken" oder "verrenkt tanzen" bedeutet, im 2. Buch Mose (Exodus 12, 13) aber als "überspringen", "hinwegschreiten" oder "verschonen" übersetzt wird. Das Wort erinnert also daran, wie Gott die Hebräer verschonte, als er während der letzten der zehn Plagen die ägyptischen Erstgeborenen sterben ließ.
Das Fest mündet in einer Trauerzeit
Während der acht Festtage wird nur ungesäuertes Brot (Matze) gegessen, um daran zu erinnern, dass der plötzliche Aufbruch aus Ägypten es nicht gestattete, den Brotteig vor dem Backen säuern und aufgehen zu lassen. Die Matzen sind dünne knusprige Fladenbrote, die unter strenger rabbinischer Aufsicht hergestellt werden. In einem jüdischen Haushalt darf sich zu Pessach kein Krümel gesäuertes Brot befinden. In einer Art Frühjahrsputz wird vor dem Fest jeder Winkel des Hauses gesäubert.
Pessachreim "Kadesch Urchatz"
Im Mittelpunkt des ersten Pessach-Tags steht nach dem Abendgottesdienst in den jüdischen Familien das große Seder-Festmahl. Nachdem die den einzelnen Speisen entsprechenden Stellen aus der Pessach-Haggada (= Pessach-Erzählung) vorgelesen und erklärt wurden, werden sie gemeinsam gegessen. Dazu werden in bestimmten Abständen vier Becher Wein getrunken. Sie symbolisieren die vier Versprechungen Gottes, der die Kinder Israels aus Ägypten herausführen, sie erretten, sie erlösen und als sein eigenes Volk annehmen will.
Um sich den komplizierten Ablauf des Sederabends merken zu können, helfen Pessachreime wie dieser:
»Kadesch (קדש), Urchatz (ורחצ) /
Karpas (כרפס), Jachatz ('חצ) /
Magid (מג'ד), Rachtza (רחצה) /
Motzie (מוצ'א), Matzah (מצה) /
Maror (מרור), Korech (כורך) /
Schulchan Orech (שלחן עורך) /
Tzafun (צפון), Barech (ברך) /
Hallel (הלל), Nirzah (נרצה)«
Was passiert bei den einzelnen Begriffen?
Kadesch = Kidduschgebet und der erste Becher Wein
Urchatz = Waschen der Hände;
Karpas = salzige Tränen = Vorspeise in Salzwasser getaucht
Jachatz = Brechen der Matze und Verstecken des "Afikomans" (ein Teil Matze wird als Nachtisch beiseitegelegt und versteckt, auch um als Kinderspiel während des langen Sederabends die Kinder wach zu halten);
Magid = Geschichte = Nacherzählung der Geschichte des Auszugs aus Ägypten; die Kinder fragen: "Weshalb ist dieser Abend anders als alle anderen?", die vier Fragen: "Weshalb das Eintauchen? Warum nur Matze? Wozu die bitteren Kräuter? Warum entspannen wir uns und essen auf der linken Seite wie die Könige?"; der zweite Becher Wein
Rachtza = Waschen der Hände;
Motzie = Segen über das Brot
Matzah = Verzehr der Matze;
Maror = Bitterkraut
Korech = einwickeln = Matze werden mit Maror und Charosset als "Sandwich" gegessen;
Schulchan Orech = Festmahl;
Tzafun = Nachtisch = der Afikoman wird von den Kindern aus dem Versteck zurückgebracht und gegessen
Barech = Tischgebet = der dritte Becher Wein als Dank nach dem Mahl; Öffnen der Haustür und Rezitieren der Passage, die Elias einlädt in Vorwegnahme der bevorstehenden Erlösung zu erscheinen und der Becher Elias;
Hallel = Lobpreis und der vierte Becher Wein
Nirzah = Abschluss mit Gedichten und Liedern
Der Gedanke an die Befreiung und das Lob Gottes stehen im Mittelpunkt des Sedermahls. Im zweiten Teil des langen Abends werden vor allem Lieder gemeinsam gesungen. Am achten und letzten Tag des Fests findet in der Synagoge eine Feier zum Gedenken an die Verstorbenen statt.
Für wertvolle Hinweise und Verbesserungen dieses Texts danken wir Jael Brämer.
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