Ich bin mit anderen gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen auf einer Fortbildung. Es geht um Aufbrüche, Umbrüche und Visionen. Und immer wieder um das Gefühl, anders arbeiten zu wollen als bisher. Wir sprechen unter anderem auch darüber, dass unsere Generation unglaublich viel Zeit auf Selbstreflexion verwendet.

Dazu gesellt sich aber auch der Eindruck, dass sich viele Arbeitsbereiche wirklich ändern müssen, wenn unsere Kirche am Leben bleiben soll. Die meisten von uns schwanken zwischen Mut und Resignation, Fantasie und Erschöpfung. Eine sagt: "Ach, vielleicht reicht es auch einfach gute Gottesdienste am Sonntag zu halten, schöne Beerdigungen und intensiven Konfirmationsunterricht. Vielleicht wäre ich damit ja schon zufrieden." Und ein anderer sagt:

"Was ist eigentlich mit dem stillen Dienst? Den Dingen, die keiner sieht. Über die niemand schreibt, die nicht in der Öffentlichkeit stehen? Wenn ich nach der Beerdigung mit zum Essen komme, obwohl ich viel anderes zu tun hätte. Aber ich weiß, die Menschen fühlen sich gesehen."

Der stille Dienst und die lauten Aufbrüche. Seit ein paar Wochen geht mir dieser Gegensatz nicht mehr aus dem Kopf. Mit mir selbst würde man nie das Wort "still" in Verbindung bringen, denke ich. Ich gelte als laut, selbstbewusst und kritisch. Ich schreibe öffentlich über die Kirche, blogge hier und auf Instagram. Ich habe die Möglichkeit, zu beschreiben, was hinter den Kirchenmauern, zwischen den Gräbern, an den Küchentischen passiert. Wenn die Gnade durchbricht und die Tränen fließen. Wenn es still wird am Tisch. Umso lauter wird es dann in mir.

Eine offene Kirche

Ich liege manchmal nachts wird und die Gedanken sind so laut, dass ich nicht mehr einschlafen kann. Sie formen sich zu Ideen, Projekten und Theorien. Manchmal stehen sie dann am nächsten Tag im Internet, so wie heute. Gestern hab ich einen Mann gesehen, der auf eine Kirchentür zuging. Er bleibt kurz stehen, schaut nach oben und zieht an der Tür. Sie ist verschlossen. Ich kenne die Kirche, sie ist immer abgeschlossen. Ich verstehe die Gründe nicht. Mir steigen die Tränen in die Augen, weil ich mich an die Momente erinnere, wo ich selbst nichts mehr als eine offene Kirche und Kerzen zum Anzünden gebraucht hätte. Hinter dem Bahnhof, zwischen den Gleisen in mir. Ich bin still und in mir ist es laut. Eine offene Kirche mit Kerzen, ein Brief zum ersten Geburtstag nach dem Tod der Frau.

Ein stiller Dienst mit lauten Gefühlen. Beim Pfarrer und da, wo der Brief ankommt.

Laute und leise kirchliche Arbeit

Ich glaube, die laute und die leise kirchliche Arbeit finden gleichzeitig statt. Wir Pfarrerinnen und Pfarrer entscheiden, was, ob und wie wir davon erzählen. Möglichkeiten dafür gäbe es genug: Im Gemeindebrief, auf der Website der Kirchengemeinde, in der Predigt am Sonntag, in der Tageszeitung, auf Instagram. Wir können darüber reden und schreiben, dass uns die Arbeit mit den Erzieher*innen im Gemeinde-Kindergarten Spaß macht, aber auch darüber, dass es teilweise 30 % unserer Arbeitszeit ausmacht, den Kindergarten zu verwalten.

Wir können auch über die Gnade Gottes schreiben und wo sie größer ist als unser Verstehen. Oder wo wir an ihr zweifeln. Beides ist wichtig: Selbstreflexion oder Kritik an Strukturen und über das Evangelium im Leben und Sterben reden. Und machen, machen ist wahrscheinlich das Wichtigste. Manchmal auch lassen.

Ein StartUp-Gründer hat mich letztens gefragt, ob es bei uns auch Mitgliederumfragen gäbe, Erhebungen darüber, was sich die Menschen von ihrer Gemeinde vor Ort wünschen. Nicht so richtig, hab ich gesagt. Und warum nicht?, hat er zurückgefragt. Vielleicht weil wir in der Kirche immer denken, wir wüssten schon, was die Leute brauchen. Dass das nicht stimmt, merken wir mehr und mehr.

Wenn unsere Gottesdienste kleiner werden, oder Menschen austreten, sobald sie das erste Mal Kirchensteuer zahlen müssen.

Vielleicht gibt es den Unterschied zwischen "laut und leise" also doch manchmal: Es gibt gesellschaftliche Erwartungen an die Kirche - als gesellschaftliche Institution und vor Ort. Aber manchmal hören wir die anscheinend nicht. Oder wiegeln sie ab mit dem Satz "Was sollen wir denn noch alles machen?" Nachfragen, glaube ich. Auf Wünsche eingehen, wenn sie schonmal laut geäußert werden, was ja selten genug passiert. Die leisen Zeichen nicht überhören.

Ja, das ist viel verlangt, ich weiß. Aber es wird ein bisschen leichter, wenn wir dabei auch auf die leisen Stimmen in uns selbst hören, die nachts immer lauter werden:

"Ich vermisse selbst, dass meine Kirche allen offen steht. Ich würde auch lieber am Abend Gottesdienst feiern. Ich bin erschöpft. Und ich hab so viel Spaß mit den Kita-Kindern. Wenn die Leute am Sonntag leise Brot und Wein teilen, klopft mein Herz laut."

Mir fällt es oft schwer, leise zu bleiben, wenn mich etwas stört. Lieber sag ich es, als daran zu ersticken und nachts nicht schlafen zu können. Was mir leichter fällt: Vor Gott zu schweigen. Der mein Leises und Lautes hört. Und mich irgendwann wieder einschlafen lässt.