"Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth! Alle Land sind seiner Ehre voll!" Während ich hier Wort für Wort aufschreibe, was wir im Abendmahl am Sonntag singen, wird mir einmal mehr bewusst, in was für einer verrückten Sprachwelt ich mich im Gottesdienst bewege. Wer ist dieser Herr Zebaoth und wie sieht ein Land aus, das voll der Ehre ist?
Das Wort "heilig" verstehen aber alle: Besonders, anbetungswürdig, vielleicht goldglänzend. Das ist Gott – und der ist heilig. Sogar dreimal heilig. Und mit ihm in diesem Moment auch der Wein vor mir, der Traubensaft, die Hostien (Oblaten im Miniaturformat, auf die gar kein schöner Lebkuchen passen würde), mein schwarzes Ringbuch, der Talar. Meine Hände, mein Blick, meine Worte – wirklich auch das alles?
Kann Heiligkeit überspringen?
Geben mir das Licht, das durch die Kirchenfenster fällt, der Klang der Glocken und der kalte Marmorboden wirklich ein Stück von der Sonntags-Heiligkeit ab? Und wenn ja: Wie lange hält das vor? Ist es vorbei mit der Heiligkeit, wenn ich nach dem Gottesdienst den Talar aufknöpfe, in die Sandalen schlüpfe und den Flugmodus am Handy wieder ausschalte? Ja und nein.
Vielleicht sind die paar Minuten in der Sakristei tatsächlich der Moment in meinem Berufsalltag, wo ich am meisten spüre, auf welchem schmalen Grat ich Tag für Tag balanciere. Wenn ich aus der herausgehobenen Rolle der Pfarrerin vor dem Altar gleite, aber den Rest mit nach Hause nehme.
Dieser Rest steigt mit mir aufs Fahrrad und fährt nach Hause. Geht ins Schwimmbad, isst Pommes und verdreht die Augen, weil schon wieder die Wasserflasche in der Badetasche ausgelaufen ist. Meine Heiligkeit bekommt die ersten Kratzer und bis ich abends ins Bett falle, ist es vorbei mit der Heiligkeit.
Nein, so kann es nicht sein und so ist es auch nicht. Ich fühle mich weder am Altar, noch auf dem Fahrrad, noch zu Hause heiliger als andere Menschen. Es ist meine Arbeit.
Ich liebe meinen Beruf und bin trotzdem genauso froh über ein freies Wochenende wie andere Menschen - wobei es hier ja schon wieder hakt: Es stimmt, meine Arbeitszeiten sind manchmal etwas ungewöhnlich: Trauungen am Samstagnachmittag, Gottesdienste am Sonntagvormittag, dafür Montag morgens alleine zum See fahren - allerdings zusammen mit all den anderen Menschen mit Arbeitszeiten, die nicht der Norm entsprechen: Schichtarbeiter*innen, Hebammen, Selbstständige, Skiliftbetreiber.
Wir teilen miteinander die Randzeiten, Nachtschichten, Wochenenddienste - übrigens auch mit den Menschen, die Angehörige pflegen, rund um die Uhr die Kinder betreuen oder die Landwirtschaft am Laufen halten. Allein die Arbeitszeiten machen den Pfarrberuf also auch noch nicht besonders.
Warum der Pfarrberuf etwas Besonderes ist
Trotzdem kann das Pfarrerin-Sein nicht ganz zur Normalität werden, scheint mir. Was auf den Partys im Studium mit den üblichen ungläubigen Rückfragen begann - "Was, Theologie? Katholisch? Ach nee, Du bist ja ne Frau. Und darfst Du dann heiraten?" - setzt sich im Alltag heute fort: Eine Mischung aus Unverständnis, Neugier, Irritation, Vertrauen und Überforderung begegnet mir, wenn ich irgendwo erzähle, was ich beruflich mache.
Und klar, manchmal genieße ich es auch, mit den Erwartungen der Menschen ein bisschen zu spielen - wenn ich bei der Trauung in der kleinen katholischen Seekirche wie selbstverständlich im Sommerkleid in die Sakristei spaziere und die Leute sich fragen, was die junge Frau da macht. Immer noch erwartet man in diesem Amt einen mittelalten Mann mit Bart und gepflegter Langsamkeit. Allein schon eine Frau mit hohen Schuhen und Ohrringen zu sein, reicht da manchmal für etwas Irritation.
Und gleichzeitig: Am meisten mag ich meinen Beruf, wenn all das keine Rolle spielt. Wenn ich bei der trauernden Familie am Tisch sitze, ist schnell vergessen, dass sie beim Pfarrer einen Mann erwartet haben. Wir ehren gemeinsam das Leben, das geliebt wurde, und den Menschen, der fehlt. Der ist jetzt heilig, sogar dreimal heilig.
Und so ist es bei allen Arbeitsfeldern einer Pfarrerin: Mein Berufsthema ist das Leben der Menschen - ihre Hölle, ihr Himmel, ihr Dazwischen.
Das Heilige darin und der Versuch, damit zurechtzukommen, dass Liebe, Schmerz, Leidenschaft und Trauer zwar heilig sind, sich aber nicht immer leicht anfühlen.
Und das ist es auch, was meinen Beruf so heilig macht: Ich bin dem Leben so nah, dass ich das Heilige fast berühren kann, so wie die Hostien auf dem Altar. Ich verliere Worte über das Heilige und den Schmutz an den Rändern und manchmal bleiben meine Worte liegen und andere können mit ihnen weiterleben.
Manchmal wundere ich mich darüber, warum viele Kolleg*innen und auch ich so in diesem Beruf aufgehen, dass wir manchmal vergessen, ihn am Abend abzulegen. Warum wir uns so sehr mit der Kirche identifizieren, dass wir traurig über jeden einzelnen Austritt sind. Viele von uns haben einen hohen Anspruch an sich: Wollen immer erreichbar und ansprechbar sein, niemanden enttäuschen und allen gerecht werden - eigentlich doch verständlich: Das Leben steht auf dem Spiel, das heilige Leben. Und vielleicht nicht nur das Leben, sondern auch Gott selbst - ich trau es mich kaum aufzuschreiben.
Pfarrberuf vereint Heiliges und Normales
Heilig, heilig, heilig bleibt Gott und bleibt das Leben. Dieselbe Mischung aus Unverständnis, Neugier, Irritation, Vertrauen und Überforderung, die mir manchmal begegnet, wenn ich meinen Beruf sage - genau diese Mischung ist es doch, die uns das Leben abverlangt.
Ich liebe meinen Beruf. Das Heilige daran. Das Normale. Das dazwischen. Für den goldenen Glanz der Heiligkeit brauche ich ihn nicht. Das schafft Gott schon ganz allein. Und zwar nicht nur bei mir, sondern bei allen Menschen.
Berufe in Kirche & Diakonie - Themenspecial
Ob Pfarrerin oder Pfarrer, Diakonin oder Diakon, Kirchenmusikerin oder Kirchenmusiker, Pflegekraft, Erzieherin oder Erzieher, Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter: In Kirche und Diakonie gibt es sehr verschiedene Berufe. In unserem Themenspecial stellen wir Berufsbilder vor und berichten über aktuelle Entwicklungen.