Ein Schokocroissant, eine Breze, drei Brezenstangerl, eine Dinkelsemmel und eine Rosinensemmel – mein Mann kommt mit drei Tüten von zwei Bäckereien zurück. Es ist Samstag, halb acht und ich bin halb belustigt, halb beeindruckt davon, mit wie viel Hingabe er für alle Kinder und Erwachsene unserer Familie genau das gesucht hat, was jede*r sich wünscht.
Das Schokocroissant schmeckt bei dem einen Bäcker besser, der andere ist aber der einzige mit genau diesen perfekten Dinkelsemmeln – es ist ja zum Glück nur ein kleiner Umweg. Manchmal geht er auf dem Rückweg noch auf dem Wochenmarkt vorbei und kauft für mich Käse ein. Wenn wir dann endlich frühstücken können, gibt es noch zwei verschiedene Sorten Honig und wehe, jemand verwechselt die. Mit oder ohne Butter, Erdbeer- oder Himbeermarmelade … okay, spätestens jetzt wollt Ihr entweder auch etwas essen oder fragt Euch endgültig, worum es in diesem Text eigentlich gehen soll.
Es geht um Vorlieben. Unwichtige und gleichzeitig unglaublich wichtige Vorlieben. "Das falsche Schokocroissant? Hallo?! Sei doch einfach froh, dass Du überhaupt ein Schokocroissant bekommst?! Du könntest ja auch einfach Schokocreme auf ein normales Croissant streichen! Das wäre auch viel billiger!" Natürlich hab ich das schon zu meinem Naschkatzen-Kind gesagt. Und mich danach geschämt, weil ich meinen Kaffee auch am liebsten aus genau dieser Tasse trinke, einen Lieblingsplatz auf der Couch habe und so weiter.
Kleinste Kleinigkeiten, die die Welt zusammenhalten
Deshalb: Wir können es uns zum Glück leisten, am Wochenende für alle ihr liebstes Frühstück einzukaufen. Also machen wir es. Und ich mag den Gedanken, dass jede*r Mensch genau solche Vorlieben hat: Eine Jacke, die bis über die Hüfte geht, weil das so schön warm am Rücken ist. Eine Zahnbürste, die genau den richtigen Härtegrad hat (keine Ahnung, gibt es solche Leute wirklich?!), immer der gleiche Tee am Sonntagabend … es sind die kleinsten Kleinigkeiten, die unsere Welt zusammenhalten. Mit Liebe und Hingabe, ein bisschen schrullig. Und ein bisschen unvernünftig – es geht doch um nix, könnte man ja auch sagen. Ist doch egal!
Nein, ist es nicht. Es ist nicht egal, was Dein Herz berührt. Es ist nicht egal, was Du am liebsten isst und trinkst und trägst. Es ist nicht egal, ob Du im Zug am liebsten jeden Morgen auf demselben Platz sitzt. Es ist nicht egal, denn es macht Dein Leben besser. Und es tut niemandem weh, wenn Du Deine Schrulligkeiten hegst und pflegst. Im Gegenteil: Du stehst zu Dir. Du nimmst Dich ernst. Auch wenn Dir das sonst vielleicht schwerfällt.
Ich finde ja, dass genau das eine wirkliche gute Freundschaft oder eine tragende Liebesbeziehung ausmacht: Dass wir dem anderen seine Eigenheiten lassen – natürlich nicht, ohne uns ein bisschen darüber lustig zu machen. Aber eben wirklich nur ein bisschen. Denn eigentlich geht es darum, dass wir uns selber vertrauen dürfen: Du selber weißt am besten, was Dir guttut.
Vertrauen und Demut ist genauso wichtig wie das perfekte Schokocroissant
Ich wünsche mir dieses Vertrauen und diese Demut auch für das, was vielleicht genauso wichtig ist wie das perfekte Schokocroissant: Für die Art und Weise, wie Menschen ihren Glauben, ihre Spiritualität ausleben. Wenn sie beten, kniend in der harten Bank, in den Händen den Rosenkranz. Wenn sie singen, ein bisschen schief und voller Leidenschaft, mit den Händen zum Himmel erhoben. Wenn sie mit Gin Tonic Abendmahl feiern. Wenn sie einander in Gottes Namen Heilung zusprechen und dabei ihre Hände auflegen. "Darf man das?", fragen dann manche. Darf man das machen, sagen, glauben?
Ich weiß nicht, ob man das darf, denke ich dann. Aber ich sehe, dass Menschen es tun. Sie holen mit dem Gin die Bar in die Kirche und damit den Freitagabend mit seinem einmaligen Gefühl von Erleichterung, Hochgefühl, Erschöpfung und Vorfreude ins Abendmahl. Was soll daran falsch sein?
Sie legen jemandem die Hand auf. Mit eindeutiger Erlaubnis. Mit Zuwendung. Mit dem festen Vertrauen, dass Gott jetzt da ist. Dass er sieht und spürt, was weh tut. Manchmal ist es lange her, dass jemand Dich so berührt hat. Was soll daran falsch sein? Was soll falsch daran sein, wenn wir satt werden an Gottes Tisch, lange, nachdem die Pommes aufgegessen sind und der Gin ausgetrunken ist?
Zu glauben, zu vertrauen, zu beten und das gemeinsam mit anderen, ist verletzlich und kostbar. Wenn ich wirklich bete, wirklich vertraue, wenn ich wirklich da bin. Mit meiner Angst und meiner Hoffnung, dass der Gott, der in Brot und Wein ist und der heilt und vergibt und segnet, dass es den wirklich gibt für uns. Obwohl wir uns doch vielleicht in Worten niemals auf ihn oder sie einigen könnten. Wenn jemand einen eigenen Ausdruck gefunden hat, für das, was ihm oder ihr heilig ist, dann ist das ein kostbares und zerbrechliches Gut. Und damit auch ein Thema, wo wir zu Recht verletzlich und angreifbar sind.
Ich will die Vielfalt
Es kann so viel falsch sein in der Kirche. Es ist falsch, wenn Du angefasst wirst, obwohl Du das nicht willst. Es ist falsch, wenn Dir nicht geglaubt wird. Wenn Du beschämt wirst und klein gemacht. Es ist falsch, wenn Pfarrer ihre Macht ausnutzen, um zu bestimmen, was in Deinem Leben, Deinem Glauben, Deinem Körper richtig ist und was falsch. Das ist geistiger Missbrauch und sexualisierter Gewalt, das eine ist kaum ohne das andere denkbar. Nichts davon darf jemals wieder in einen ach so heiligen und christlichen Mantel des Schweigens gehüllt werden.
Aber gerade deshalb will ich sehen, was Du glaubst und wie es sich für Dich anfühlt. Was ist Dir kostbar und heilig? Das lange Schweigen. Christliches Yoga, Zen-Praktiken, segnende Hände, Espresso-, Gin- oder Pommes-Gottesdienste. Ich will die Vielfalt unserer Schrulligkeiten, Vorlieben und Sehnsüchte sehen. In unseren Gottesdiensten, in Jugendräumen, auf dem Kirchenvorstandswochenende und was es sonst für verrückte Orte in unseren Kirchengemeinden gibt.
Es ist ein Zeichen von gegenseitigem Vertrauen, wenn wir uns das gegenseitig zumuten. Und damit auch ein Zeichen für eine Kirche ohne gewaltvolles Verschweigen. Und vielleicht auch ein Anfang für eine Kirche, die endlich anfängt, über das zu sprechen, was sie trägt.
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