Es ist ein ungewöhnliches Bild für eine geschnitzte Weihnachtskrippe: Die Figuren zeigen keine Menschen aus der Zeit vor 2.000 Jahren, sondern die Heilige Familie in der heutigen Zeit: Als Flüchtlinge sind die hochschwangere Maria und Josef im Wartehäuschen einer Karlsruher S-Bahn-Haltestelle gestrandet. Im Hintergrund markante Gebäude der badischen Metropole, wie Rathaus, Evangelische Stadtkirche und Schloss.

Die 50 Zentimeter großen, farbig lasierten Figuren thematisierten eine moderne Stadtgesellschaft, erläutert der Ettlinger Bildhauer Rudi Bannwarth. Seit Mittwoch ist seine zeitgenössische "Citykrippe" in der katholische Kirche St. Stephan in Karlsruhe zu sehen und wird bis 14. Januar gezeigt.

Krankenschwester, Obdachloser und Fußball-Fan

In der sechs Meter breiten Szenerie hasten Passanten vorbei, mit Tüten voller Geschenke. Kinder, eine Krankenschwester, ein Obdachloser und ein Fußball-Fan versammeln sich an der Haltestelle.

Auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit machen sich die drei Könige auf den Weg, sie repräsentieren drei wichtige Institutionen der Fächerstadt: Aus Lindenholz hat der Künstler eine Bundesverfassungsrichterin in roter Robe geschnitzt, einen Wissenschaftler der Universität KIT samt Roboter sowie einen Künstler des Medienmuseums ZKM.

Seine stilisierten, aber plakativ-lebensnah angelegten Figuren, ordnet er szenisch an. Es soll ein "modernes Andachtsbild" sein und Menschen einladen, zur Ruhe zu kommen und Stille bewusst wahrzunehmen, sagt Katholik Bannwarth, der seit 2007 sozialkritische Krippen entwirft. Dabei habe er nichts romantisch verklärt, sondern die Gegenwart abgebildet. Auch die Geburt Jesu vor 2.000 Jahren in einem Stall sei "harte Realität" gewesen.

Krippen bekommen Aufmerksamkeit, aber auch Kritik

Die Krippen des Künstlers sorgen für Aufmerksamkeit, aber gelegentlich auch für Kritik. Es sei unangemessen, Maria mit Jeans und deutlich sichtbarem Babybauch abzubilden, störte sich etwa eine Besucherin. Denn erst an Heiligabend (24. Dezember) wird die Figur ausgetauscht: Dann hält Maria den neugeborenen Jesus im Arm.

Zu den bekanntesten Arbeiten des 61-jährigen Künstlers gehören etwa eine "Baustellen-Krippe", die im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen ist, eine Konsum- sowie eine Knast-Krippe. Seine Krippe "Jesus an der Tankstelle" wurde vom Württembergischen Landesmuseum angekauft.

Initiatoren der Karlsruher Schau sind die katholische Kirche St. Stephan und die ökumenische Citykirchenarbeit "Fächersegen". Die Krippe sei hochaktuell, weil mehr als 2.000 Jahre nach der Geburt Jesu im Stall immer noch Kinder auf der Straße oder in Notunterkünften geboren würden.

"Jetzt ist die Zeit, in der Gott zu uns kommt: in den Heimatlosen, Kranken und Hilfesuchenden",

sagt Pastoralreferent Alexander Ruf. Gerade in Zeiten von Unsicherheit und Kriegen sei die christliche Botschaft von Hoffnung und Frieden wichtig.

Diese Nachricht soll auch der Engel auf dem Dach des Wartehäuschens überbringen - ein weiß gekleideter Reporter mit Mikrofon in der Hand: "Fürchtet euch nicht. Gott ist Mensch geworden".

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