Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe." So beginnen Geburtsgeschichten. Die vom heiligen Kind in der Krippe ebenso wie unsere auch. Es ist ein Mädchen! Es ist ein Junge! Die Windeln erwähnen wir vielleicht nicht, da sind andere Details wichtiger: der Geburtsverlauf oder etwas sichtbar Wesenhaftes am Kind, das vom ersten Augenblick an da ist. Es hat Grübchen an einer völlig ungewöhnlichen Stelle an den Oberarmen, seine Augen und Lippenform – ganz die Oma.

Aber Stille liegt über jedem Anfang, viel muss gar nicht gesagt werden. Die Mutter fühlt und sieht zum ersten Mal das kleine Wesen, das sie getragen hat, dem Vater ist es weich ums Herz wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und nun – es sei denn, es herrscht Corona-Ausnahmezustand – reisen sie an, die Großeltern, Tanten und Onkel, die Cousinen und Cousins, stecken ihre Gesichter in die Wiege, nehmen das kleine Wesen auf den Arm, beschnuppern es, streicheln seine zarte Haut, können sich nicht sattsehen und nur schwer wieder verabschieden.

Es ging zu wie bei jeder Geburt in Palästina.

Ein Kind bringt einen neuen Glanz in das Leben derer, zu denen es gehört. Dieser kleine Mensch mit seiner übergroßen konzentrierten Präsenz ist wie eine Kerze, die einen ganzen Raum erhellt.

In der Weihnachtsgeschichte sind die Windeln erwähnenswert.

Aber warum? Warum dieses Detail? Sind sie ein Zeichen des Reichtums der Heiligen Familie? Waren sie gar nicht so arm, wie die kirchliche Auslegung es seit Jahrhunderten will? In Bethlehem jedenfalls ist die Krippe, in die das Kind gelegt wird, bis heute kein besonderes Zeichen von Armut. Eine Krippe stand bis vor 100 Jahren in fast jedem Haus, und da weiß man auch nichts von einem bösen Herbergsvater, der die Heilige Familie abgewiesen hätte.
"Sie hatten keinen Raum in der Herberge" bedeutet dort so viel wie: Das Haus war voller Menschen, die ganze Sippe war anwesend, als das Kind geboren wurde; die Mutter zog sich zurück an einen ruhigen Ort – und das war die Krippe im hinteren Teil des Hauses. Es ging zu wie bei jeder Geburt in Palästina.

Die Menschlichkeit des heiligen Kinds wird hervorgehoben

Und die Windeln sind erwähnenswert, weil sie die Menschlichkeit des heiligen Kinds hervorheben. Kein überirdisches Wesen, kein Scheingott kommt da zur Welt, sondern ein Mensch wie wir, der Windeln braucht und sie auch benutzt.

Ja, ich glaube, wir dürfen unsere familiären Bilder von Geburt – seien sie als Erinnerungen gespeichert oder als Foto im Familienalbum festgehalten – wie Andachtsbilder betrachten. Sie haben etwas zu tun mit der Geburt des Kinds von Bethlehem. Man sieht die Liebe, man sieht den Glanz auf den Gesichtern, wie fast jeder Künstler ihn in seiner Krippendarstellung malt. Man sieht, wie zum Menschsein die Bindung an Menschen gehört – an eine Mutter und einen Vater, Großfamilie vielleicht auch, und manchmal ist ja auch der Haushund dabei; wie die Tiere in der Krippe. Und man sieht das Kind und kann nur staunen.

"Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht sattsehen; und weil ich nun nicht weiterkann, bleib ich anbetend stehen. O, dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel’ ein weites Meer, dass ich dich möge fassen." In seinem Lied "Ich steh an deiner Krippe hier" hat Paul Gerhardt dieses Staunen so ausgedrückt. Im weiteren Sinn meint er nur das Kind in der Krippe; im engeren Sinn würde er vielleicht Dietrich Bonhoeffer zustimmen, der sagt: "Wenn Gott selbst in der Krippe zu Bethlehem auf diese Welt kommen will, so ist das nicht eine idyllische Familienangelegenheit, sondern es ist der Beginn einer völligen Umkehrung, einer Neuordnung der Dinge auf dieser Erde."

Es ist der Beginn einer völligen Umkehrung

Also sollen wir doch nicht über jedes Kind staunen, nicht staunen über unser Geborensein und über das Netz der Liebe, das sich ausspannt für ein neugeborenes Kind und, wenn es gut geht, es trägt ein Leben lang? "Gott wird Mensch" heißt die dogmatische Formel an Weihnachten. Sein Ort ist diese Erde, sein Wohnort aber ist seither der Mensch, jedes Kind, jede Frau, jeder Mann.

Das ist die Neuordnung der Dinge, das ist die gewaltige Umwälzung. Der Dichter Kurt Marti sagt:

damals
als gott
im schrei der geburt
die gottesbilder zerschlug
und zwischen marias schenkeln
runzlig rot
das kind lag

Mit dieser Geburt beginnt die Neuordnung der Dinge auf dieser Erde. Aber das Kind in der Krippe will nicht allein bestaunt werden, es hilft uns, alles mit neuen Augen zu sehen: Gott nicht "oben" und nicht außerhalb von uns zu suchen, sondern in anderen und in uns selbst zu entdecken und zu achten.

Kinder brauchen verlässliche Bindungen

Das Kind in der Krippe kann man nicht getrennt von den Kindern dieser Welt verehren und lieben. Wer sich vor ihm verneigt und es anbetet, wer das Kind in der Krippe mit Freuden ansieht und sich nicht sattsehen kann, wird anderen Kindern ein Behüter und eine Beschützerin – oder seine Anbetung ist nicht glaubwürdig. Auch in diesem Jahr ist uns wieder sehr deutlich vor Augen geführt worden, wie viel Nachholbedarf es da unter uns gibt. Kinder brauchen verlässliche Bindungen, Menschen, die sie beschützen und nähren an Leib und Seele. Das muss tatsächlich keine idyllische Familienangelegenheit bleiben, aber in unseren Familien stellen sich die Weichen, wie behütet ein Kind aufwächst oder nicht, wie stark und gestärkt es ins Leben geht oder ob es aus Hunger nach Zuwendung zum Spielball falscher Tröster wird. Und deswegen ist es gut, wenn wir zu Hause unter unserem Tannenbaum an Weihnachten auch die Krippe mit dem Kind aufstellen.

Da brauchen wir es mit all seinem Glanz und seinem Trost, mit der Liebe, die uns allen gilt.

Martin Luther geht noch weiter: "Ach, mein herzliebes Jesulein, / mach dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhn in meines Herzens Schrein, / dass ich nimmer vergesse dein." Und der Mystiker Angelus Silesius sagt: "Wär’ Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst ewig verloren." Um diese Geburt des Christus in uns selbst geht es eigentlich zu Weihnachten. Eine Geburt, die uns einfacher, weiser, menschlicher – und göttlicher macht. Es ist nicht entscheidend, dass sie sich in uns gerade in den Weihnachtstagen ereignet. Entscheidend ist, dass wir sie zulassen.