Was würden wir uns wünschen, wenn es für uns auf dieser Welt einen Ort gäbe, an dem unsere Wünsche erfüllt werden könnten? Dieses reizvolle Gedankenspiel hat der russische Regisseur Andreij Tarkowski in seinem Film "Stalker" auf die Leinwand gebracht. Der Stalker ist in dieser Geschichte ein Führer, der einen Schriftsteller und einen Physiker zu einem Raum begleitet, in dem die innersten Wünsche erfüllt werden.

Die beiden kennen den Raum nur aus Erzählungen. Sie wissen, dass der Raum in einem unwegsamen Gebiet liegt, von der Außenwelt abgeriegelt: In der Zone. Der Raum liegt in einer anderen Welt: Ungewöhnliches ist dort geschehen. Der Aufprall eines Meteoriten? Ein Besuch von Bewohnern des unermesslichen Kosmos? Man hat Truppen entsandt, sie sind nicht zurückgekehrt, eine Expedition blieb verschollen. Darauf hat man die Zone zum Sperrgebiet erklärt und mit Polizeikordons umzingelt. Die Zone ist völlig abgeriegelt.

Die drei treffen sich am Rande eines verfallenen Industriereviers. Eine trostlose, verdreckte Betonwüste mit unbefestigten, vom Regen aufgeweichte Straßen, Symbole einer maroden technischen Zivilisation. Im Hintergrund sieht man die noch unzerstörten Blöcke des Kernkraftwerkes von Tschernobyl. Die Zone ist der Inbegriff des Unheimlichen, Ungreifbaren. Jeder der drei hat seine eigenen Motive, zu diesem Raum der Wünsche zu gelangen. Aber nur Stalker können zu diesem Zimmer führen, weil sie die Gesetze der Zone kennen. Der Stalker schleust den Physiker und den Wissenschaftler durch die Grenzanlagen, mit einer Draisine dringen sie tief in die Zone ein. Betonreste, zurückgelassenes Kriegsgerät und umgekippte Strommasten werden von einer wilden Vegetation überwuchert. Ein exterritorialer Raum, eine Gegenwelt.

Kennen wir unsere innersten Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche?

Unterwegs fragen sie sich: Ist der Raum eine Legende? Ein Symbol der Hoffnung inmitten einer untergehenden Zivilisation? Nur die Projektion einer hoffnungslosen Gesellschaft? Als die beiden nach vielen Mühen endlich vor dem Raum stehen, wollen sie nicht hineingehen. Der Schriftsteller sieht in der ganzen Geschichte nur eine religiöse Neurose des Stalkers. Der Wissenschaftler packt aus seinem Rucksack eine Bombe und will den Raum in die Luft sprengen. Er will die Gesellschaft von ihrer letzten Illusion befreien.

Dann erzählt der Stalker die Geschichte von Dikoobras, seinem Vorgänger. Wie den anderen Stalkern war auch ihm verwehrt, selbst durch das Zimmer zu gehen. Er tat es dennoch, um seinen Bruder, den er aus Habgier auf dem Gewissen hatte, wieder zum Leben zu erwecken. Als Dikoobras aus der Zone zurückkehrte, wurde nicht sein Bruder wieder lebendig, aber er wurde unermesslich reich. Er erschrak: nicht das Leben seines Bruders war sein innigster Wunsch, seine Habgier war größer. Er verzweifelte. Hätten wir Gelegenheit, in einen Raum der Wünsche zu treten, vielleicht würde auch uns ein ganz anderer Wusch erfüllt als der, den wir vortragen. Vielleicht bekäme derjenige, der sich eine Million Euro wünscht, etwas ganz anderes. Genauso wie der, der sagt: "Ich will bei Gott sein." Kennen wir unsere innersten Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche?

Die christliche Hoffnung ist eine Zukunftseinstellung, die über das Wünschen hinausgeht

Der Raum der Wünsche ist nur eine Illusion. Wir leben auf eine Zukunft hin, die wir uns in Gedanken stricken, und für dieses Ziel gehen wir mit unseren kleinen und großen Wünschen, unserer persönlichen Mischung aus Motivationen, Täuschungen, kleinen und großen Lebenslügen durch die Welt. Wenn es für Christen etwas Vergleichbares gibt, wie dieses Zimmer der tiefsten Sehnsüchte aus dem russischen Film, dann ist es der Glaube und das Gebet. Die Zone, das ist unser Leben, der Führer zu diesem Raum ist Christus. Was aber ist unser innigster Wunsch? Worauf hoffen wir? Kennen wir unsere tiefsten Sehnsüchte? Was erhoffen Christen von der Zukunft?

Im Neuen Testament redet vor allem Paulus von der Hoffnung. Im Zentrum seiner Theologie steht die Auferstehungshoffnung. Es ist die Hoffnung nach einem Sein mit Gott vor und nach dem Tod: Nicht nur für dieses Leben gilt diese Hoffnung, sondern auch für nach dem Tode (1.Kor 15,19). So sehr die christliche Hoffnung auf die Zukunft gerichtet ist, so sehr ist sie auf das Jetzt und diese Welt bezogen. Sie ist eine Zukunftseinstellung, die über das Wünschen hinausgeht, die nicht in die Zukunft flieht, sondern das Künftige in das Jetzt hereinholt. Das Gegenteil von Hoffnung ist dann nicht Hoffnungslosigkeit, denn Hoffnungslosigkeit, das sind die enttäuschten Wünsche. Das Gegenteil von Hoffnung, das wäre ein Warten ins Leere hinein, oder wenn man Hoffnung als Lebensbewegung sieht, ein Leben ins Leere, Flucht in die Zerstreuung - vielleicht ist das die wirkliche Verzweiflung.

Christen hoffen nicht untätig: Sie leben auf etwas hin

Glaube, Liebe, Hoffnung sind nach Paulus Ansicht die Dinge, die wert sind zu bleiben in dieser Welt. Aber die Hoffnung kann - wie der Glaube und die Liebe - nicht erzwungen werden. Sie wird uns geschenkt, ohne Verdienst. Die Hoffnung kann sich breit machen, wenn wir ihr Raum geben, wenn wir in unserem Inneren aufräumen mit unseren erfolgsorientierten Motivationen und hochgestelzten Erwartungen. Diese Hoffnung ist nicht erzwingbar, sie ist mit Gunst und Gnade verbunden.

Christen hoffen nicht untätig. Sie leben auf etwas hin: auf das Reich Gottes mitten unter uns. Von der Auferstehungshoffnung schlägt Paulus deshalb eine direkte Brücke zur "Hoffnung auf Gerechtigkeit" (Gal 5,5). Wie das Reich Gottes schon jetzt mitten unter uns ist, hat die Auferstehungshoffnung also ein innerweltliches Ziel.

Es gibt ein christliches "Prinzip Hoffnung": nicht, dass wir von dieser Welt erlöst werden, sondern dass wir mit ihr versöhnt werden.