Gleiche Rechte und mehr Eigenverantwortung für geflüchtete Menschen in Bayern hat der Schongauer Pfarrer Jost Herrmann gefordert. Als Asylkoordinator der Diakonie Weilheim hatte der Theologe ab 2013 Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan begleitet. Er gründete den oberbayerischen Asylgipfel, der mit seinen Ablegern in Franken, Schwaben und Ostbayern dafür sorgte, dass die Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Behörden verbessert wurde. Vieles davon hilft jetzt bei der Ankunft der ukrainischen Geflüchteten, denn in München - und damit auch in Oberbayern - kommen besonders viele von ihnen an. Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt spricht Herrmann über alte Strukturen und neue Herausforderungen.
Herr Herrmann, können die bayerischen Kommunen bei der Versorgung der Menschen die Strukturen aus 2015 nutzen?
Jost Herrmann: Die Strukturen sind da: Im Ausländeramt im Landkreis Weilheim-Schongau gab es 2013, als der Flüchtlingszustrom aus Syrien zunahm, gerade mal 2,5 Mitarbeiter - jetzt sind dort 35 tätig. Auch Diakonie und Caritas beschäftigen heute viel mehr Migrationsberater. Gemeinschaftsunterkünfte haben Geschäfts- und Hausordnungen, es ist geklärt, wie Deutschkurse organisiert und Sachspenden verteilt werden. Noch stärker als 2013 kümmern sich die Bürgermeister und Landräte sehr, denn alle sehen ein, dass Integration nötig ist. Auch die ehrenamtlichen Helferstrukturen sind vorhanden oder können reaktiviert werden. Allerdings ist es noch immer schwierig, Wohnungen zu finden.
"Die finanziellen Leistungen müssen für alle gleich sein."
Ukrainische Geflüchtete können bis zu drei Jahre ohne Aufnahmeverfahren in Deutschland bleiben, ihren Wohnort selbst wählen und theoretisch sofort arbeiten - das war für Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan und afrikanischen Ländern bislang nicht möglich. Sorgt das für Spannungen zwischen Geflüchteten?
Herrmann: Es gibt bislang kaum Berührungspunkte zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten. Bei "Asyl im Oberland" sehen wir aber schon die Gefahr, dass die Politik jetzt andere Kriegsregionen übersieht. Uns ist wichtig, dass Helfer Geflüchtete aus verschiedenen Kriegsländern nicht unterschiedlich behandeln. Die finanziellen Leistungen müssen für alle gleich sein, und es sollten jetzt auch alle ihren Wohnort frei wählen können.
Die Städte kommen mit den Flüchtlingszahlen derzeit an ihr Limit. Wie wichtig ist eine dezentrale Unterbringung für die Versorgung und Integration Geflüchteter?
Herrmann: Für den Landkreis Weilheim kann ich sagen, dass die dezentrale Unterbringung ab 2013 ein Erfolgsrezept war. Es gibt in kleineren Kommunen mehr Kontaktmöglichkeiten. Das "Helfer-Gen", das jeder Mensch in sich trägt, wird eher geweckt, wenn ich jemanden regelmäßig beim Bäcker sehe. Allerdings haben wir aus 2013 gelernt, dass wir die Betroffenen viel früher ins Boot holen und sie nach ihren Bedürfnissen fragen müssen, sonst bleiben die Menschen zu lange unmündig und abhängig. Sie sollen früh selbst Verantwortung für sich übernehmen können - dabei unterstützen wir bei Bedarf.