Die frühen Jahrhunderte des Christentums waren eine Zeit intensiver theologischer Auseinandersetzungen. Inmitten entstehender Kirchenstrukturen und politischer Umbrüche entbrannte ein Streit um das Verständnis der Person Jesu und der göttlichen Dreieinigkeit.

Im Zentrum dieses Konflikts rund um das Konzil von Nicäa (325 n. Chr.) stand der Presbyter Arius (260-336).

Ägyptischer Theologe Arius setzt seine Existenz aufs Spiel

Jesus Christus kann ohne Zweifel als prägendste Gestalt der Weltgeschichte gesehen werden. Doch wer war Jesus genau? Gottes Sohn, Menschensohn, der Wanderprediger aus Nazareth, der am Kreuz scheiterte? Sozialrevolutionär, erster Feminist oder doch vor allem Heiler und Exorzist?

Jesus selbst erforschte auf dem Weg nach Golgatha seine Jünger mit der Frage "Wer sagen die Leute, dass ich sei?" Petrus antwortete: "Du bist der Christus!" Doch was hieß das damals, was heißt es für uns heute?

Der ägyptische Theologe Arius setzte im 4. Jahrhundert seine gesamt Existenz aufs Spiel für die Antwort auf diese Frage, wer Christus sei. Arius war beliebt, ein hochgewachsener Afrikaner in der geistigen Metropole Alexandria, von vornehmem Äußeren, ein gelehrter Theologe mit einem großen Kreis von Schülern.

Die Einzigartigkeit Gottes war Arius wichtig

Arius war Presbyter an der Baukaliskirche in Alexandria, gebildet, charismatisch, wortgewandt. Um das Jahr 318 stellte er öffentlich infrage, was andere in der Kirche als unverzichtbaren Glaubenssatz betrachteten: die Wesensgleichheit von Gott Vater und Jesus Christus. Für Arius war Christus nicht wesensgleich mit Gott, sondern untergeordnet – ein Geschöpf, erhaben, aber geschaffen. Der Sohn sei "nicht von Ewigkeit her", sondern habe einen Anfang. Die Einzigartigkeit Gottes war Arius wichtig.

Einen Beleg sah Arius in der Passion Jesu: Nur ein Mensch habe leidend am Kreuz sterben können, kein Gott. Trotzdem kann Arius den Sohn auch "Gott" nennen. Aber diese Gottheit ist nicht wesensmäßig zum Vater, sondern wurde ihm nur durch Gott-Vaters Gnade beigelegt. Gott soll einzigartig bleiben. In einem Glaubensbekenntnis des Arius heißt es: "Wir bekennen einen Gott, der allein ungezeugt ist, allein ewig, allein ohne Anfang, allein wahr, allein unsterblich, allein weise, allein gut, allein Herr, allein Richter aller."

Mit seinen Thesen geriet Arius in Konflikt mit seinem Bischof Alexander von Alexandria. Er warf Arius vor, die Göttlichkeit Christi zu leugnen und das Heil in Frage zu stellen. Der Streit verbreitete sich bald im gesamten Osten des Römischen Reichs – auch deshalb, weil der begabte Rhetoriker zahlreiche Anhänger fand – und Gegner.

 Erste Ökumenische Konzil von Nicäa
Ikone aus dem Mégalo Metéoro Kloster in Griechenland, die das Erste Ökumenische Konzil von Nicäa 325 n. Chr. darstellt. Am unteren Rand der Ikone krümmt sich der verurteilte und verbannte Arius.

Arius’ Position war keine bloße Spitzfindigkeit, sondern eine theologische Provokation. Gleichzeitig traf seine Lehre in vielen Gemeinden auf Zustimmung – sie war rational nachvollziehbar und theologisch attraktiv, gerade in einer Zeit, in der das Christentum sich zunehmend gegenüber dem griechischen Denken profilieren musste. Die nizänische Formel der vollen Gottheit des Sohns brachte vielen Gläubigen Probleme: Wie passt die Gottheit Jesu Christi zum ganz und gar menschlichen Jesusbild, das die Evangelien zeichnen?

Die Reaktion auf den Konflikt ließ nicht lange auf sich warten. Der alexandrinische Bischof Athanasius (300-373) verleumdete Arius als hochmütig, betrügerisch, wolllüstig, als Inbegriff des Irrlehrers und Antichristen. Unter dem Einfluss des machtbewussten Bischofs und durch das Eingreifen Kaiser Konstantins wurde 325 das Erste Konzil von Nicäa einberufen. Es sollte nicht nur über Arius’ Lehre befinden, sondern auch die Einheit des nun christlichen Römischen Reichs sichern. Die christliche Dogmatik wurde dabei zum politischen Machtinstrument.

Das Ergebnis des Konzils war eindeutig: Arius wurde als Häretiker verurteilt

Der Kaiser höchstselbst diktierte die Einigungsformel. Das berühmte Bekenntnis von Nicäa betont, dass der Sohn "gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater" sei – homoousios. Das Ergebnis des Konzils war eindeutig: Arius wurde als Häretiker verurteilt, seine Lehre verworfen, seine Schriften wurden öffentlich verbrannt. Wer seine Lehre besaß oder verbreitete, riskierte Strafen, Arius selbst wurde aus Alexandria verbannt.

Doch damit war der Streit nicht beigelegt. Im Gegenteil: Der arianische Streit zog sich über Jahrzehnte hinweg, mit wechselnden Allianzen. Mal war der "nizänische" Glaube in der Defensive, mal die arianische Position. Ebenso wie die "nizänischen Trinitarier" beriefen sich die "Arianer" auf die Bibel. Problematisch war, dass das Neue Testament keine eindeutigen Aussagen zur Natur Jesu enthält. Manche sahen in der nizänischen Formel einen faulen Kompromiss, andere klagten, dass das Bekenntnis den christlichen Laien in seiner Widersprüchlichkeit nicht einfach zu vermitteln sei. Eine Mehrheit der Christen forderte eine Neubesinnung – und das Gespräch mit Arius. Der Kaiser – inzwischen unter dem Einfluss von arianischen Beratern – gab dem nach und schickte nun Athanasius in die Verbannung.

Arius Anfragen an Christologie und Trinitätslehre prägten die Zeit bis ins 6. Jahrhundert

Im Jahr 328 wurde gnädig verfügt, dass Arius, inzwischen alt und krank, in Konstantinopel in aller Form wieder in die Kirche aufgenommen werden sollte. Doch dazu kam es nicht, auf dem Weg dorthin starb Arius.

Athansius war das nicht genug. Er setzte die dramtische Geschichte in Umlauf, dass in Erhörung der Gebete des Ortsbischofs, er möge von der Befleckung verschont bleiben, Arius am Vorabend seiner Wiederaufnahme plötzlich den Tod des Judas Ischariot gestorben sei. Der Ketzer habe auf einem Spaziergang, von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, eine öffentliche Bedürfnisanstalt aufgesucht, sei dort wie Judas mitten auseinandergeborsten und habe Leber, Herz und viel Blut nach unten abgestoßen, sodass er – dünner und dünner – schließlich durch den Abfluss in die Kloake gerutscht und von ihr verschlungen worden sei.

Aber so rasch war Arius nicht auszutilgen. Seine Anfragen an Christologie und Trinitätslehre prägten die Zeit bis ins 6. Jahrhundert. Arius fand Anhänger insbesondere in gebildeten hellenistischen Kreisen, da sein Trinitätsverständnis vom Platonismus mitgeprägt war.

Der heilige Nikolaus ohrfeigt Arius auf dem Konzil von Nicäa
Der heilige Nikolaus ohrfeigt Arius auf dem Konzil von Nicäa. Griechisch-orthodoxe Ikone aus dem Spätmittelalter. Unten sieht man den Tod des Arius, wie ihn Athanasius kommuniziert hat.

Die Blütezeit des Arianismus im 4. und 5. Jahrhundert war eine überraschend kraftvolle und weitreichende Phase innerhalb der Geschichte des frühen Christentums. Auch nach seiner Verurteilung in Nicäa erlebte er eine theologisch, politisch und kulturell äußerst bedeutende Hochphase – teilweise sogar als dominierende Spielart des Christentums, vor allem im östlichen Reichsteil und unter den germanischen Völkern. Viele einflussreiche Bischöfe (etwa Eusebius von Nikomedia) unterstützten weiterhin arianisch geprägte Positionen. Besonders unter Kaiser Konstantius II. (reg. 337–361), einem Sohn Konstantins, wurde der Arianismus zur de facto Staatsreligion im Osten des Römischen Reichs. Athanasius von Alexandria, einer der schärfsten Gegner des Arianismus, wurde mehrfach ins Exil geschickt – ein Zeichen, wie dominant die arianische Partei zwischenzeitlich war.

Ein besonders wirkmächtiges Kapitel war die arianische Missionierung der germanischen Völker, besonders durch Wulfila (um 311-383), Bischof und Missionar der Westgoten. Er übersetzte die Bibel ins Gotische und verbreitete eine arianische Version des Christentums. Das Gottesbild war monotheistisch, aber mit einem "zweiten, göttlichen Mittler", Christus. Diese Konzeption passte gut zur Weltvorstellung der Goten, die Hierarchie und Befehlsketten kannten.

Für die germanischen Völker war der Arianismus oft identitätsstiftend

Die arianische Thologie wurde in den gotischen Reichen staatlich gestützt. Danach übernahmen viele germanische Herrscherhäuser das arianische Christentum: die Westgoten in Spanien und Südfrankreich, die Ostgoten in Italien unter Theoderich, die Langobarden in Norditalien und die Vandalen in Nordafrika. Diese Völker lebten und glaubten oft in religiöser Spannung zu ihren katholisch-nizänischen Untertanen – insbesondere in den ehemaligen römischen Gebieten, die sie übernommen hatten.

Für die germanischen Völker war der Arianismus oft identitätsstiftend: Er half, sich vom römisch-katholischen Mehrheitschristentum abzugrenzen und gleichzeitig an einer universellen Religion teilzuhaben. Teilweise diente er auch zur politischen Stabilisierung der Herrschaft.

Der Arianismus endete mit der Konversion der germanischen Herrscher zum Katholizismus: Der Westgotenkönig Reccared I. trat 589 öffentlich zum katholischen Glauben über, die Langobarden folgten später. Nach dem Untergang der Vandalen und Ostgoten endete auch dort die arianische Tradition.

Heute ist der Arianismus verschwunden

Sein Untergang war nicht nur Folge theologischer Argumente, sondern vor allem machtpolitischer Entscheidungen und der Fähigkeit der katholischen Kirche, sich dogmatisch und institutionell durchzusetzen.

Heute ist der Arianismus verschwunden – aber seine Geschichte erinnert daran, dass das Christentum im ersten Jahrtausend weitaus vielfältiger war, als es die spätere Konsens-Theologie erkennen lässt. Und wenn heute das 1700 Jahre alte nicänische Bekenntnis als Klammer der Ökumene von orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen gefeiert wird, sollte Arius nicht verdrängt und vergessen werden. Der Erzketzer hat eine Rehabilitierung verdient.

Gott selbst ist Mensch geworden

Jesus als einfacher Mensch? Heute stellt sich die Frage: Wäre eine arianische Theologie mit einem entmythologisierten Christus nicht anschlussfähiger in der säkularen Gesellschaft? Mit Gott, dem Vater als alleinigen, ewigen Schöpfergott? Mit Christus als Gottes Sohn aus Gnade, nicht aus Wesensgleichheit? Modernen Jesusdeutungen der liberalen Theologie käme dies entgegen. Aber: Im Arianismus bleibt Gott unberührt, jenseitig, distanziert. Im Grunde: ein ferner Gott. Es fehlt etwas, was vielen Gläubigen wertvoll ist – die tiefe Verflochtenheit von Gott und Mensch, von Geist und Leben, von Christus und Ewigkeit.

Die klassisch-dogmatische Trinitätslehre bietet nicht nur den Vorteil einer 1700-jährigen Tradition. Sie erlaubt zu sagen: Gott selbst ist Mensch geworden. Gott selbst hat gelitten. Gott selbst begegnet im Geist. Die Herausforderung wäre, eine trinitarische Sprache zu finden, die das Christentum anschlussfähig macht – ohne sein Herz zu verlieren. Der Arianismus kann hier nicht das Ziel, aber ein Wegweiser sein.

Kommentare

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PeterG am So, 15.06.2025 - 08:29 Link

Rehabilitiert? Durch wen, aufgrund was?
Wenn ich mir kirchliche Verlautbarungen anschaue, fehlen oft die Hinweise auf den göttlichen (auferstandenen, erhöhten, richtenden ...) Christus. Ich würde bei vielen kirchlichen Vertretern eher von einem gelebten Arianismus sprechen.