In der Debatte über die Rechtfertigung militärischer Mittel in Konflikten hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, den Schutz vor Gewalt als oberste Maxime definiert. Es gehe um den gerechten Frieden, "der dem Schutz vor Gewalt als elementarstem Schutz des Lebens einen Vorrang einräumt", sagte die Hamburger Bischöfin am Mittwochabend beim EKD-Johannisempfang in Berlin.

Dieser Vorrang ist Fehrs zufolge "eine entscheidende Weiterentwicklung" der EKD-Position gegenüber der Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007, deren Überarbeitung aktuell in den letzten Zügen ist. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine diskutiert die evangelische Kirche kontrovers über die Legitimität von Waffengewalt und Rüstungslieferungen.

Frieden und Sicherheit strikter zusammendenken

Die Friedensdenkschrift der EKD hatte den "gerechten Frieden" in Form von vier gleichrangigen Dimensionen definiert: den Schutz vor Gewalt, die Förderung der Freiheit, den Abbau von Not und die Anerkennung kultureller Verschiedenheit. Die Erfahrungen seitdem führten nun zu der These, "dass der Schutz vor Gewalt unabdingbare Voraussetzung für umfassende Friedensprozesse ist - und damit ein relatives Prä gewinnt gegenüber den anderen drei Dimensionen", erläuterte Fehrs.

Konkret bedeute dies, friedens- und sicherheitsethische Aspekte strikter als bisher zusammenzudenken, sagte die Theologin. Sie erklärte auch, der in den 1990er Jahren von vielen für erledigt gehaltene Gedanke der Abschreckung habe sich als Option "eben gerade nicht erledigt", wenn sie zur Verhinderung von Gewalt beitrage.

Die Situation in Europa habe sich "empfindlich" verändert. Es werde bewusst, dass es nicht nur Waffenarsenale gebe, "sondern dass wir sie womöglich auch einsetzen müssen", sagte Fehrs.

Vielschichtigkeit statt Schwarz-Weiß-Denken

Die oberste Repräsentantin der deutschen Protestantinnen und Protestanten forderte zudem in den verteidigungspolitischen Debatten mehr Differenzierung und Respekt gegenüber anderen Meinungen. Es liege ihr daran, die Vielschichtigkeit im Blick zu haben:

"Eben nicht hier die vermeintlich naiven Pazifisten und dort die angeblich waffenliebenden Kriegstreiber."

Benötigt werde "ethisches Feinjustieren, damit politisch Verantwortliche in Auseinandersetzung damit Handlungsoptionen entwickeln können".

Der traditionelle Empfang findet jedes Jahr rund um den Johannistag (24. Juni) in Berlin statt. Ausgerichtet wird er von der EKD-Bevollmächtigten in Berlin, Anne Gidion. Unter den Gästen waren unter anderem Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD) und der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Thomas Rachel (CDU). Erwartet wurden auch religionspolitische Sprecher der Fraktionen, darunter der am Dienstagabend für das Thema neu benannte Beauftragte der SPD im Bundestag, der frühere Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

(om/epd)

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Florian Meier am Sa, 28.06.2025 - 11:06 Link

Das scheint mir doch eher eine Anbiederung an den Zeitgeist und die oberen 10000 als eine Weiterentwicklung einer Friedensethik zu sein. Hier wird ein "prä" definiert um sich nicht mit Unangenehmen Fragen wie der Ressourcenaufwendung für Hochrüstung, die woanders dann wegfällt, befassen zu müssen, mit der Frage inwieweit denn Schutz vor Gewalt von Aggression auf staatlicher Ebene zu unterscheiden ist: Bekanntlich führen immer alle Abwehrkämpfe gegen die bösen anderen, die angreifen. Außerdem fehlt es an innerer Logik: Eine unfreie Gesellschaft ist immer gewaltvoll sonst wäre sie frei, eine Gesellschaft, die Pluralität ablehnt ist gewaltvoll und antifreiheitlich. Eine unsolidarische Gesellschaft, die Not ignoriert ist enorm gewalttätig. Es braucht kein prä, denn das gehört alles eng zusammen. Wenn die Politik suggeriert wir müssten erst einmal alle bösen Buben bedrohen oder mit Bomben bewerfen und dann kehrt schon der Frieden ein oder man könne sich dann mit den nachrangigen Dingen wie Freiheit, Not und individuelen Lebenszielen befassen, so irrt sie. Es braucht immer eine umfassende Perspektive, die natürlich Leben schützt, Freiheit gibt, gerecht und plural ist - ein Zustand der ohne Hilfe von oben kaum zu erreichen ist und wohl zu unseren Lebzeiten auch nur partiell erreicht werden kann. Das Sicherheitsgefühl ist elementar für eine freie angstarme Gesellschaft und das kostet etwas. Wir werden aber gerade von Menschen regiert, die dafür die anderen Dimensionen sehr leichtfertig opfern wollen und mit viel Angstmache, Freiheitsbeschränkung und sozialer Härte ihre Ziele zu erreichen suchen. Zurecht wird diesen tief mißtraut.