Vor 25 Jahren erschütterte ein spektakulärer Kriminalfall die Bundesrepublik. Der 56-jährige evangelische Pastor Klaus Geyer soll seine Frau Veronika Geyer-Iwand am 25. Juli 1997 an einem Waldrand bei Wolfenbüttel erschlagen haben.

"Am Anfang gab es sehr viele Zweifel, dass dieser rundum überzeugende und gebildete Mensch der Täter gewesen sein soll", erinnert sich der damalige psychiatrische Gutachter Ulrich Sachsse. Doch schon bald nachdem ein Jäger am 28. Juli die Leiche Geyer-Iwands gefunden hat, fällt der Verdacht auf den Ehemann. Nach 20 Prozesstagen wird er wegen Totschlags verurteilt.

Pastor Geyer beteuert seine Unschuld

Der Indizienprozess vor dem Braunschweiger Landgericht erregt großes Aufsehen. Klaus Geyer beteuert bis zum Schluss seine Unschuld. Sein Anwalt Bertram Börner erinnert sich vor allem an das außergewöhnliche Medieninteresse. "Eine Verhandlung in stillen Tönen war nicht möglich", sagt der Jurist. Auf dem Titel eines Boulevard-Blatts ist bald vom "Todes-Pastor" die Rede.

Anwalt Börner lernt seinen Mandanten während der Besuche in der Haft besser kennen. Er habe den Pastor jenseits des Vorwurfs gemocht, sagt der Jurist.

"Ich habe meinen Mandanten als intelligent, feinfühlig und hoch musikalisch erlebt."

Unter den Zuschauern sind neben den Medienvertretern auch viele Menschen aus dem 500 Einwohner zählenden Wohnort des Ehepaars im Gerichtssaal dabei. Die 53-jährige Veronika Geyer-Iwand, die aus einer berühmten Theologen-Familie stammte, war als ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin und Religionslehrerin hoch angesehen. Auch der Angeklagte genoss als früherer Vorsitzender der bundesweiten Friedensorganisation "Aktion Sühnezeichen" einen guten Ruf. Gemeinsam leitete das Ehepaar ein Altenheim, das "Haus der helfenden Hände" in Beienrode, einem Ortsteil von Königslutter.

Kolleg*innen waren fassungslos

"Das Ganze war ein großer Schock", erinnert sich der frühere Wolfsburger Superintendent Herbert Koch. Die Kolleg*innen seien fassungslos gewesen, besonders Geyers von der Studentenbewegung geprägten langjährigen Weggefährten. Nach dem Haftbefehl gegen Geyer suspendiert die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers ihn zunächst vorläufig.

Ist der Pastor in der Lage zu töten? An 20 Verhandlungstagen werden 80 Zeugen und zahlreiche Sachverständige befragt. Der Kriminalbiologe Mark Benecke wird eigens aus New York eingeflogen. Er hat anhand von Maden und der Umgebungstemperatur bestimmt, wie lange die Leiche Geyer-Iwands im Wald gelegen hat. Sein Gutachten bestätigt eine Tatzeit, für die der Ehemann Geyer kein Alibi hat.

Für den Prozess sei ein auffallend großer Aufwand betrieben worden, erinnert sich Benecke. Da er zu der Zeit einer der wenigen Experten war, der über Maden an Leichen forschte, waren die Insekten für seine Analyse mit einer eigenen Maschine in die Vereinigten Staaten geflogen worden.

Geyer hatte außereheliche Affären

Vor Gericht kommt auch heraus, dass Geyer zahlreiche außereheliche Liebesbeziehungen hatte, sogar noch in der Nacht des Verschwindens seiner Ehefrau mit einer anderen Frau im Ehebett schlief. Die Geliebten des Pfarrers werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt. Auch ein paar Gummistiefel aus dem Auto des Angeklagten werden unter die Lupe genommen. Eine am Stiefel gefundene schwarzglänzende Holzameise gibt schließlich einen entscheidenden Hinweis: Ein Experte bestätigt, dass das Insekt nur vom Fundort der Leiche stammen kann.

Der Fernsehregisseur Björn Platz hat 20 Jahre nach der Tat eine Dokumentation für das NDR-Fernsehen gedreht und Zeitzeugen, Ermittler und auch einige der vier Kinder des Ehepaars befragt. Platz hält es für plausibel, dass der Pastor seine Frau während eines Streits im Affekt erschlagen hat.

Bei der Urteilsverkündung zu acht Jahren Haft wegen Totschlags vergräbt Geyer sein Gesicht in seinen Händen. Anwalt Börner sitzt neben seinem Mandanten. Er sagt rückblickend:

"Man erlebt buchstäblich hautnah, wie es ihm den Boden unter den Füßen weggerissen hat."

Eine Revision des Falls wird vom Bundesgerichtshof abgelehnt.

Tat bis zum Tod bestritten

Rund fünf Jahre verbringt Geyer im Gefängnis. Im November 2002 wird der an Krebs erkrankte Mann aus der Haft entlassen. Kurz vor der geplanten Hochzeit mit einer Pastorin aus Hannover stirbt Geyer im Jahr 2003. Bis zu seinem Tod hat er die Tat bestritten.