Ist der Sonntagsgottesdienst noch zeitgemäß? Oder sollte die Kirche dieses Ritual abschaffen?

Letzteres, also die Abschaffung der Sonntagsgottesdienste, forderte kürzlich die evangelische Pfarrerin Hanna Jacobs in der "Zeit"-Beilage "Christ Welt". Der Münchner Pfarrer Steve Kennedy Henkel hielt in einem Instagram-Beitrag dagegen.  

Der Leiter des Gottesdienstinstituts, Stefan Gehrig, betont in seinem Gastbeitrag, dass es nicht die eine richtige Form des Gottesdienstes gibt. Ihr könnt ihn hier im folgenden lesen.

Menschen feiern sehr unterschiedlich: Ein Freund feierte seinen Geburtstag mit weißen Tischdecken, Kerzen, alles festlich geschmückt, auf dem Tisch Coq au vin und frisches Baguette. Ein feierlich-festlicher Abend. Ein anderer Freund feierte komplett anders: Er liebt Musik und Tanzen und mietete für diesen Abend eine Bar im Herzen der Studentenstadt, in der er lebt. Es wurde getanzt bis spät in die Nacht. Ein ausgelassener Abend. Eine Freundin mag keine großen Menschenansammlungen und feiert lieber klein. Mit drei oder vier Freundinnen abends zusammensitzen und die Gespräche genießen. Ein persönlich-wertvoller Abend. Und wenn sie mit mehr Menschen feiern möchte? Dann gibt es eben mehrere solcher Abende …

Menschen feiern sehr unterschiedlich, aber sie feiern – und genießen das Feiern.

"Wir feiern Gottesdienst." So hört man es sonntags in der Kirche und weiß, es gibt genug Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Gottesdienst nicht als Feier erleben. Die Zahl der Mitfeiernden schwindet und regelmäßig kommt die Frage auf, ob es sich überhaupt noch lohne, Gottesdienst zu feiern.

"Schafft den Gottesdienst am Sonntag ab!" titelte vergangene Woche die Hildesheimer Pfarrerin Hanna Jacobs ihren Artikel in der "Zeit". Lohnt es sich noch, Zeit und Kraft in einen Sonntagsgottesdienst zu investieren? Für sie ist die Antwort klar: Für 50 und mehr Personen lohne sich das wohl, für ein trauriges Dutzend allerdings nicht. Hannah Jacobs benennt schonungslos die Probleme, die viele Kirchengemeinden erleben: Leere Kirchen am Sonntagmorgen und häufig ist Gottesdienst nicht mehr Aushängeschild, sondern Spartenveranstaltung und Auslaufmodell. All das kennen wohl viele Gemeinden.

Es ist wichtig, dass diese Diskussion angestoßen wurde. Ob aber das Abschaffen des Sonntagsgottesdienstes die richtige Reaktion auf diese Problematik ist, muss hinterfragt werden. Dabei wird es nicht gelingen, dem bestehenden klassischen Gottesdienst einfach nur mehr Aufmerksamkeit zu schenken und ihn dadurch für die Mehrheit der Gemeindeglieder wieder attraktiver zu gestalten, wie manchmal vorgeschlagen. Doch Streichen ist keine Alternative, denn damit streichen wir auch ein entscheidendes Stück Seele der Kirche.

Gottesdienste finden nicht statt, sie werden gefeiert

In der gegenwärtigen Debatte nennt Hannah Jacobs den Gottesdienst nicht im Zusammenhang mit "feiern". Gottesdienste finden "statt", an ihnen "wird teilgenommen", man kann für sie "Werbung machen", an ihnen "festhalten" und sogar mit ihnen "zufrieden sein". Der Gottesdienst wird offenbar nicht als Feier wahrgenommen – weder sprachlich noch emotional.

In der Bibel ist dagegen regelmäßig von "Gottesdienst feiern" die Rede. Gottesdienste und Freudenfeste werden gefeiert, aber auch Gedenktage. Es geht nicht nur um ausgelassene Fröhlichkeit, sondern um eine Zeit – so auch die ursprüngliche Bedeutung des deutschen Wortes "Feiern" – in der keine Alltagsgeschäfte vorgenommen werden und Menschen Zeit haben.

Menschen feiern mit und aus Freude und Fröhlichkeit, sie können aber auch feiern, weil sie erfahren, dass sie in ihren Sorgen oder ihrer Trauer nicht allein sind. Menschen feiern gerne, auch kirchlich: Kirchweih, Konfirmation oder Hochzeit sind nur einige Beispiele. Der Sonntagsausflug wird begonnen mit einem Radl- oder Motorradgottesdienst.

Gottesdienst ist nicht immer Party

Gottesdienste mit Zeiten der Segnung oder Raum für Sorgen werden als Feier erlebt – bis hin zu Trauerfeiern, bei denen man Abschied von einem lieben Menschen nehmen kann. Feiern können auch tröstlich sein. "Gottesdienst feiern" ist nicht immer Party, Gottesdienstfeiern bewegen etwas in der Seele.

Nicht abschaffen sollte deshalb der Weg sein, sondern wieder mehr Gottesdienste feiern. Dabei liegt die Betonung auf "mehr" und auf "feiern".

"Mehr Gottesdienste" meint dabei eine größere Gottesdienstvielfalt. So wie Menschen unterschiedlich feiern – festlich oder ausgelassen, in großer oder kleiner Runde, in fröhlichen und in traurigen Situationen –, so braucht es eine Vielfalt an gottesdienstlichen Feiern. Nicht Orgel oder Band, nicht Gemeindewiese oder Kirche, nicht klassische Liturgie oder freie Moderation, sondern und.

Damit das nicht zur Mehrbelastung und falschem Überangebot wird, braucht es gute Absprachen und ein Miteinander verschiedener Gemeinden, sodass qualitativ vielfältig und nicht quantitativ "mehr" Gottesdienste gefeiert werden. Gottesdienstformen im kleinen Kreis können auch mit einem Dutzend Mitfeiernden eine echte Feier sein – mit neuen Formen, an neuen Orten, auf neuen Wegen. Wir müssen den Mut haben zu experimentieren – und gegebenenfalls auch wieder sein zu lassen. Wir müssen den Mut haben, einander von diesen Experimenten zu erzählen – von den gelungenen und den nicht gelungenen.

Gottesdienste sollten wieder mehr gefeiert werden. Feiern hat etwas mit einer inneren Haltung zu tun. Es geht um Zeit in Gemeinschaft und Zeit mit Gott. Was macht den Gottesdienst zur Feier? Darüber wird zu reden sein. Am Ende ist es vielleicht eine Vielfalt an verschiedenen Gottesdienstformen, dass Gott nicht weiß, wo er als erstes hingehen soll – und wir auch nicht.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden