16 Jahre lang war Ernst-Wilhelm Gohl für diese Kirche der Superlative zuständig: Das Ulmer Münster beherrscht mit seinen riesigen Ausmaßen das Stadtbild Ulms, der Turm der gotischen Kirche ist mit 161 Metern und 53 Zentimetern der höchste Kirchturm auf der ganzen Welt.
Kirchturm ist "mächtiger Finger Gottes"
Dieser filigrane Turm, den bei seiner Einweihung 1890 der damalige Münsterpfarrer Christian Ludwig Ernst als "mächtigen Finger Gottes" bezeichnete, ist bis heute ein Besuchermagnet: Jährlich steigen 250.000 Menschen aus vielen Ländern zu dem Aussichtsbalkon auf 143 Metern Höhe und lassen sich auch von den 768 Stufen der engen Wendeltreppe nicht abschrecken.
Während für die Turmbesteigung eine moderate Gebühr verlangt wird, ist der Besuch des 123 Meter langen und 41 Meter hohen Münsters kostenfrei. Denn das Münster soll, so die Überzeugung von Dekan Gohl, kein Museum sein, sondern ein Gotteshaus, eine für alle Menschen offene Kirche.
Diese spirituelle Funktion des Münsters, wie etwa eine Gebetswand und ein Sandbecken für Kerzen, werde auch von den rund eine Million Menschen respektiert, die jedes Jahr die Kirche besichtigen, sagt Silke Reiser, Leiterin des "Besucherbetriebs" am Ulmer Münster.
Die große Kraft des Raumes sei aber auch in jedem Gottesdienst zu spüren, ergänzt Dekan Gohl:
"Die Kirche predigt mit."
Die Besonderheiten dieses sakralen Raumes macht Gohl regelmäßig bei Kirchenführungen deutlich. Dabei leitet er Besuchergruppen auch über das Außendach des Seitenschiffs und in den gewaltigen Dachstuhl mit seinen technischen Innovationen: Denn bei den Baumaßnahmen vor 150 Jahren wurde das im 14. Jahrhundert entstandene Münster nicht nur durch den hohen Turm ergänzt, sondern auch der hölzerne Dachstuhl durch eine Eisenkonstruktion ähnlich des Pariser Eiffelturms ersetzt.
Münster rettete vielen Ulmern im Weltkrieg das Leben
Dieser Konstruktion verdankten im Zweiten Weltkrieg viele Ulmer ihr Leben. Sie flüchteten bei den verheerenden Bombenangriffen, die die Ulmer Altstadt in Schutt und Asche legten, ins Münster, das durch seinen stählernen Dachstuhl nicht in Brand geriet. Ausgelöst von dem Krieg in der Ukraine, berichteten ihm heute, so Dekan Gohl, alte Ulmer mit Tränen in den Augen, welche Bedeutung diese Kirche damals für sie hatte.
Jede Generation sieht der scheidende Ulmer Dekan in der Pflicht, das Münster als einmaligen Ort zu erhalten. Das sei eine herausfordernde Aufgabe, koste doch allein der Unterhalt der Kirche 2,5 Millionen Euro im Jahr. Weil das Münster von Anfang an immer eine Bürger-Kirche gewesen sei, liege die Kirche aber auch der gesamten Stadtgesellschaft über konfessionelle Grenzen hinaus am Herzen, setze sich ein Münsterbauverein tatkräftig für das Gebäude ein.
Auch in seinem neuen Amt als Landesbischof stehen das Münster und seine Kanzel dem ehemaligen Dekan Gohl weiterhin offen. Denn die "Wortverkündigung" in allen Gemeinden seiner Landeskirche gehört zu den Privilegien eines Bischofs.