Die evangelische Theologin Anna-Katharina Lienau hat Gebete im Internet erforscht. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Münster beschäftigt sie sich mit mediatisierten Kommunikationsformen.

Im Sonntagsblatt-Interview erläutert sie, warum Beten auch im Netz gut funktioniert.

Kurz und knapp: Was ist Beten eigentlich?

Lienau: Ich würde sagen, es ist erst mal ein Dialog mit Gott. Wenn man das christlich betrachtet, dann ist es der dreieinige Gott, mit dem ein Dialog, eine Kommunikation stattfindet. Aber ganz wichtig beim Beten ist auch, dass man in Kommunikation mit anderen Menschen tritt.

Beten Sie selbst?

Lienau: Ich bete auch, aber eher mit meinen Kindern.

Findet der Dialog zwischen Mensch und Gott auch im digitalen Gebet statt?

Lienau: Auf jeden Fall. Dieser Dialog findet sowohl im analogen Bereich statt, also im Gebet, das ich in meiner Kammer oder in der Kirche spreche; aber natürlich auch im Digitalen. Manche Dinge verändern sich beim digitalen Beten oder beim Beten in internetbasierten Kommunikationen. Aber viele Dinge bleiben gleich.

Woher kommt das Bedürfnis vieler Menschen, gemeinsam zu beten?

Lienau: In meiner Untersuchung habe ich festgestellt, dass es beim Beten auch um Gebetserhörung geht. In dem Moment, wo ich in Gemeinschaft bete, anderen von meinem Gebet erzähle oder für andere bete, erfolgt auch in gewisser Weise schon eine Gebetserhörung durch die anderen Menschen.

Ich glaube, dass das ein ganz wesentlicher Aspekt beim Beten ist. Und das Interessante für die Leute, die Online beten oder Gemeinschaft suchen für ihr Gebet: dass sie nicht alleine sind mit ihren Sorgen, die sie vor Gott bringen, und dass man diese Sorgen mit anderen Menschen geteilt hat.

Was verändert sich beim digitalen Gebet?

Lienau: Ort und Zeit können differieren. Es gibt synchrone und asynchrone Formen des Gebets. Der Ort ist different, also ich muss nicht an einem Ort sein, kann aber trotzdem Gemeinschaft spüren. Durch die Smartphones kommt auch noch eine gewisse Mobilität und Portabilität dazu. Heute kann das (digitale) Gebet überall erfolgen.

Welche Formen des digitalen Gebetes haben Sie denn entdeckt?

Lienau: Viele Menschen orientieren sich im Internet an Gebeten, die sie irgendwo gelernt haben. Die haben eine gewisse Abfolge und orientieren sich an traditionellen Formen, wo Dank und Bitte und die Anrede an Gott vorkommen. Interessant war bei meiner Untersuchung, dass die Gebete häufig nicht mit "Amen" beendet wurden, sondern mit "Danke".

Das weist darauf hin, dass diese Kommunikation einerseits mit Gott stattfindet, aber auch mit den Menschen. Im Internet hieße es zum Beispiel: "Danke, dass ihr mir zugehört habt" oder "danke, dass ihr mitgebetet habt" oder "danke, dass ihr mein Gebet in eure Fürbitte aufnehmt".

Gibt es im Netz neue Möglichkeiten des Gebets?

Lienau: Wir können beten lernen, indem wir andere beobachten, und zwar erst mal sehr distanziert. Ich muss nicht mehr in eine Kirche gehen oder in eine Gebetsgemeinschaft oder in einen Hauskreis.

Sondern ich kann mir erst mal ein YouTube-Video anschauen oder bei Instagram jemandem folgen, der betet, und dann schauen, wie ich damit klarkomme. Vielleicht will ich das Gebet erst mal nur anhören, mitdenken und dann selber ausprobieren. Ich glaube, dieses Beten lernen ist ein ganz wichtiger Aspekt.

Wie unterscheidet sich das Online-Beten bei den verschiedenen Religionsgemeinschaften?

Lienau: Im Bereich des muslimischen Glaubens hat das Gebet noch mal einen anderen Stellenwert durch das ritualisierte tägliche Gebet. Das finde ich übrigens auch spannend, was das Beten lernen angeht. Ich kann mir als Christ christliche Gebete angucken, aber ich kann mir auch ein jüdisches oder muslimisches Gebet anschauen, da ist die Freiheit ganz groß.

Können wir lernen, vor dem Bildschirm zu beten?

Lienau: Ich glaube schon. Einer meiner Interviewpartner sagte mir, er würde tippend beten. Er hätte keine Gebetsgeste mit gefalteten Händen, sondern er hätte eine tippende Geste. Vielleicht verändern sich künftig unsere Gesten. Erst mal würde man vielleicht sagen, ich brauche gefaltete Hände zum Beten oder eine ruhende Geste. Vielleicht kann es aber auch eine leicht aktive Geste sein, die zu einer gewissen Meditation führen kann.

Viele Menschen falten ihre Hände, um zur Ruhe zu finden oder die Aufmerksamkeit auf Gott zu richten. Gib es besondere Rituale im digitalen Raum?

Lienau: Es gibt Menschen, die – obwohl sie am Smartphone sitzen und vielleicht aktiv sind – das aber trotzdem als meditativ, oder ruhende Situation empfinden können. Manche lassen sich auch erinnern oder so, das hat auch was Ritualisiertes. Möglicherweise müssen wir uns ein Zeitfenster nehmen, um zur Ruhe zu kommen.

Welche Schwierigkeiten gibt es beim digitalen Gebet?

Lienau: Wie bei jeder mediatisierten Kommunikation sind natürlich Hasspostings schwierig. Die gibt es auch im Bereich des Gebets. Aber das ist ja nicht nur Problem des Betens oder der religiösen Kommunikation, sondern überhaupt ein grundsätzliches Problem.

Welche Möglichkeiten des digitalen Gebets könnten sich in Zukunft noch etablieren?

Lienau: Ich glaube, dass alle kommunikativen Neuerungen irgendwann für das Beten genutzt werden. Das hat sich zumindest in den letzten zehn Jahren gezeigt. Alles, was möglich war, wurde relativ zügig auch für das digitale Gebet genutzt. Das Gebet ist offenbar eine Kommunikationsform die transferierbar ist.

Die Kommunikation zu Gott und zwischen den Menschen ist so universell, dass sie auch diesen ganzen technischen Fortschritt mitmacht. Und was auch interessant ist, dass das Gebet nicht obsolet wird. Es ist nicht egal, man braucht es schon noch.

 

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars mit dem Titel: "Online-Journalismus in der Praxis: Wie Religionen in Zeiten von Corona den digitalen Raum nutzen & innovative Ideen entwickeln" im Rahmen des Masterstudiengangs "Medien - Ethik - Religion" an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.

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