All you need is Love
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser, an diesem ersten Tag des Jahres 2024.
Ich habe heute "All you need is love” von den Beatles im Ohr. Sie kennen diese Melodie bestimmt. Ich war 14 und habe gerade meinen ersten Plattenspieler gekauft. Mein Cousin Hans-Otto steht mit mir im Elektronikfachgeschäft in Gräfelfing. Und die Musikwelt liegt mir zu Füßen. Großartig. Ich kaufe meine erste Platte. Das blaue Album von den Beatles. Alle meine Lieblingslieder. Let it be. Lady Madonna. Und eben: All you need is love.
Meine Englischkenntnisse waren damals wie heute ausbaufähig. Der einfache Text der Beatles kam mir da sehr entgegen. Love is all you need. Liebe ist alles, was du brauchst. Genau das war mein Gefühl mit 14 Jahren.
Und mit John Lennon war ich in meinem Jugendzimmer in einer anderen Welt. In einer LiebesWelt. Da war einfach nur Liebe und sonst gar nichts.
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Das ist die Jahreslosung für 2024. Mit diesem Wort gehen wir Christinnen und Christen in das neue Jahr. Alles in Liebe. Ein Jahr lang Liebe. Ein Jahr lang alles rosarot? Überall liebevoll. Ach, das wäre so schön.
Wird es so kommen? Was meinen Sie, wird 2024 ein liebevolles Jahr in Ihrem Leben? Wahrscheinlich kommt es auch im Neuen Jahr wieder stark auf einen selbst an. Was werde ich in den Mittelpunkt rücken? Von welchen Ideen und Menschen werde ich mich im neuen Jahr leiten lassen? Stelle ich mich ganz auf die Seite der Liebe?
Wirklich alles in Liebe ein Jahr lang. Da fallen mir jetzt sofort Punkte ein, warum das natürlich auf gar keinen Fall geht. Große und kleine Widerstände. Einer der zentralen Widerstände ist die Angst. Angst ist eines der wesentlichen menschlichen Themen. Im ganzen Leben muss ich meine Ängste im Zaum halten. Sonst werden sie groß und drohen mich zu überwältigen.
Ängste können lähmen. Ich muss der Angst im Leben immer etwas entgegen stellen. Die Angst will Macht über mich. Sie will Einfluss haben. Es braucht Angstbegrenzung. Liebe ist eine unglaublich starke Kraft gegen die Angst. Liebe hat die Kraft zu befreien. Alles frei zu legen und frei zu machen.
Die Liebe sagt den Ängsten: Jetzt macht mal halblang, jetzt mal schön der Reihe nach. Ihr stellt euch hinten an. Es gibt wesentlich Wichtigeres im Leben als Euch Ängste. Liebe.
Ein Leben ohne Liebe gibt es nicht. Jeder Mensch ist ja irgendwie auf die Welt gekommen. Da war hoffentlich Liebe im Spiel. Manchmal kommt die Liebe später dazu und wächst und wächst. Auf jeden Fall ist sie lebenslang Thema, weil sie fehlt oder weil sie eben da ist. Für mich ist es ein großes Geschenk, dass mich Menschen mögen. Mich lieben. So wie ich bin. Christinnen und Christen glauben, dass Gott die Liebe ist und sie schenkt. Gott verdanken wir, dass wir lieben können. Gott verdanken wir die Liebe.
Vor vielen Jahren habe ich Frau Bauer regelmäßig besucht. Sie wohnte in der Kirchengemeinde, in der ich Pfarrer war. Ich kann mich gut an sie erinnern: Sie war meinungsstark, Chefin in Haus und Familie, als Geschäftsfrau hat sie aus kleinen Anfängen gemeinsam mit ihrem Mann einen großen Betrieb aufgebaut, viel Arbeit war das. Im Alter wurde sie richtig weise:
Mei, Herr Pfarrer, man muss schon länger gelebt haben, damit man es kapiert. Die Liebe ist das Größte. Es passiert alles Mögliche im Leben, aber das eine ist sicher, Herr Pfarrer: Die Liebe ist und bleibt das Größte. Das Einzige, wofür es sich zu leben lohnt.
Ja, davon singt auch Georg Ringsgwandl in seinem "…grausam schönen Lied von der Liebe".
Liebe ist mehr…
Klar, Georg Ringsgwandl singt von der Liebe zwischen zwei Menschen mit allem, was so dazugehört. Natürlich auch Erotik. Ich brauche auch die erotische Liebe. Ich bin so glücklich und dankbar, dass ich meine Frau gefunden habe. Und sie mich. Seit über 35 Jahren küssen wir nun schon richtig gerne und oft.
Liebe ist noch mehr. Es gibt nicht die Liebe. In der Bibel wird klar zwischen der Nächstenliebe als der Grundhaltung und der erotischen Liebe zwischen zwei Personen unterschieden. Zwischen Agape und Eros. Beides brauche ich. Ich brauche die grundsätzliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von Menschen im Alltag. Meine Tage wären sonst nicht so heiter. Nicht so tief. Nicht so angenehm.
Es tut einfach gut, wenn ich freundliche Menschen treffe.
Ich liebe es, wenn jemand im Alltag liebevoll mit mir oder auch einfach mit Dingen umgeht. Zum Beispiel Kai, mein Lieblings-Florist. Er schaut seine Blumen zärtlich an. Immer fragt er sich: Na, wie kann ich euch heute so richtig gut aussehen und glänzen lassen? Und wer bei ihm einen Blumenstrauß kauft, spürt diese Liebe.
Und die Jahreslosung?
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe, schreibt Paulus, und er schreibt es am Schluss eines Briefes. Der Brief geht an Leute in Korinth, wo eine christliche Gemeinde entstanden ist. Dort haben sie es gerade schwer miteinander.
Konflikte, Rechthabereien, naja, das kennt man ja… Paulus schreibt ihnen einen Orientierungsbrief. Klartext - mit ziemlich viel Liebe drin.
Ein paar Zeilen aus diesem Brief sind weltberühmt. Viele Brautpaare haben sich ihren Trauspruch daraus gewählt. Vielleicht auch Frau Bauer. Die Liebe ist und bleibt das Größte, sagt sie. Die Liebe ist das Einzige, wofür es sich zu leben lohnt, singt Georg Ringsgwandl. Und Paulus: Die Liebe hört niemals auf.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf... Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1. Korintherbrief 13 i.A.)
Gegen den Hass
Alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe.
Danke, Paulus, ja, aber wie soll das praktisch gehen? Alles in Liebe. Das ist ein bisschen viel, oder? Leider erleben wir jeden Tag viel Lieblosigkeit – sehen, lesen, hören davon. Hass. Unachtsame Menschen. Böse Menschen. Das betrifft das persönliche Leben und das Weltgeschehen. 2023 war ein Jahr, das uns allen viel abverlangt hat. Der Krieg Russlands in der Ukraine. Der Terrorüberfall der Hamas auf Israel. Wie hier in Deutschland Politiker und Politikerinnen miteinander umgehen.
Hass ist nicht einfach da. Er wird gemacht. Sagt die Journalistin Carolin Emcke.
Auch Gewalt ist nicht einfach da. Sie wird gemacht. Das Beste, was wir gegen den Hass tun können, ist: Lasst euch nicht vereinzeln. Ich finde, Carolin Emckes Buch "Gegen den Hass"[1] ist eine kluge Auslegung für diese Zeit und auch für die Jahreslosung.
Was kann jede und jeder einzelne tun? Wie durchbricht man die Sorge und die Vereinzelung? Immer wieder: LIEBEN.
Nun aber bleibt
Glaube Liebe Hoffnung
diese drei
Aber die Liebe
ist das schwächste
Glied in der Kette
die Stelle
an welcher
der Teufelskreis
bricht[2]
Die Liebe braucht Aufmerksamkeit und Fürsprache. Sie braucht Freundinnen und Förderer. Von alleine bekommt die Welt nicht mehr Liebe. Da müssen schon andere ran. Was hilft: Musik, Worte, Licht... Mir hilft zum Beispiel eine Arie aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. "Erleucht auch meine finstre Sinnen, erleuchte mein Herze…" Die 5. Kantate ist für den Sonntag nach Neujahr bestimmt – wir können das gut schon heute hören, finde ich. Und eigentlich das ganze Jahr über.
Nicht ich schaffe das mit dem Lieben und Gutes-Tun… Ich brauche Licht von oben. Gottes Geist, Gottes Wort. Und Gottes Liebe. So höre ich die Bach-Arie, begleitet von der – wie könnte es anders sein – Oboe d’amore.
Nichts Böses beginnen… Wenn alles, was wir tun, in Liebe geschieht, dann wäre das doch so. Allerdings: Gerade in der Liebe erleben Menschen Grenzverletzungen. Wo Menschen sich sehr nahe kommen, ist schnell eine Grenze erreicht und die Gefahr ist, sie zu verletzen, zu übertreten… Darum kann Liebe auch zu tiefen Verletzungen führen, die schlecht heilen. Da wird manchmal Vertrauen so gründlich zerstört, das danach mühsam wieder aufgebaut werden muss.
Auch die Nächstenliebe, die Agape hat Grenzen. Die Grenze markieren meine eigenen Bedürfnisse. Wo ich Schutz brauche. Es gibt ein Zuviel an Forderungen von Anderen. Manche Menschen sind groß darin und erwarten, was andere für sie tun sollten. Manche Mutter, mancher Vater gehört dazu. Auch manche Nachbarin. Agape hat viel mit Geben und Nehmen zu tun. Es tut nicht gut, wenn du nur gibst. Und selber nichts oder zu wenig bekommst. Es braucht ein gutes Gleichgewicht.
…vollkommen wehrlos lieben…
Im christlichen Glauben ist einer der zentralen Gedanken der von der dreifachen Liebe. Oft wird über Christinnen und Christen gesagt, dass sie Experten in Nächstenliebe sind. Die Liebe zum Nächsten ist ein unverzichtbarer christlicher Gedanke. Ohne Respekt und Achtung vor jedem Leben darf der Mensch nicht leben. Für den gläubigen Menschen ist diese Liebe aber Geschenk der großen Liebe, die Gott uns gibt. Dauernd.
Ich lebe in der Liebe Gottes, die mich umhüllt und mich nie alleinlässt. Weil ich diese Liebe spüre, kann ich respektvoll und umsichtig leben. Die Liebe zu mir und die Achtung vor mir selber sind unverzichtbar und Voraussetzung für gelebte Nächstenliebe.
Ohne die Liebe zu mir selbst, den Respekt und die Achtung vor meinen Haltungen, wird es auch mit der Liebe zu anderen schwierig. Wie lerne ich das? Mich selber annehmen als etwas Wunderbares. Etwas Tolles. Einzigartiges. Erziehung macht da viel aus und kann richtig viel kaputt machen. Es ist aber nie zu spät, hier anzufangen oder weiterzumachen. Wie wäre es, wenn die Jahreslosung auch mir persönlich gilt? Meinem Umgang mit mir selbst. Alles mit mir werde ich 2024 liebevoll machen. Alles in der Liebe. In den Spiegel schauen. Auf meinen Körper.
Liebevoll die Gedanken prüfen, die so jeden Tag in Herz und Kopf vorbei kommen. Und überlegen, was hilft und was hindert mich, liebevoll zu leben.
Ein Handeln voller Liebe ist nicht immer möglich. Manchmal braucht es auch konsequentes klares Handeln, das überhaupt nicht liebevoll ist. Oder erst auf den zweiten Blick. Die Welt wird sehen, wie es mit den Kriegen und kämpferischen Auseinandersetzungen weitergeht. Da hilft Liebe nur wenig. Da verlangt die Gewalt Gegengewalt. Wie wird es werden in der Ukraine, in Israel-Palästina? In den Bürgerkriegen der Welt? In den harten Auseinandersetzungen, die jetzt auch in den Parlamenten geführt werden um Migration und abgehängte Personen?
Dieses Jahr wird das Europaparlament neu gewählt. Welche Parteien werden dann den Ton angeben und mit welcher politischen Richtung? Der Nationalismus erfährt in vielen Ländern der Erde gerade wieder richtig Aufwind, Tag für Tag. Aber Nation ist keine Erfindung Gottes. Die Nationen haben die Menschen erfunden.
Gottes Erfindung ist die Liebe und der Respekt vor jedem Leben, wie auch immer jemand aussieht, wie sie spricht, wie er denkt. Achtung vor jedem Menschen aus Liebe.
Ein neues Jahr beginnt und niemand von uns weiß, was es Dir oder mir bringen wird. Wir wünschen uns Glück und Liebe und Feines, aber was dann letztlich kommen wird, weiß niemand. Liebe ist unendlich zart. Du kannst die Liebe nicht packen und als Geschenkpaket irgendwohin schicken. Liebe lässt sich nicht etikettieren oder verkaufen.
Liebe braucht Zuwendung. Sehnt sich nach Zärtlichkeit. Liebe ist nicht einfach immer da. Liebe ist auch Arbeit. Das wird oft unterschätzt.
Ich muss da an mir arbeiten, mir immer wieder vor Augen führen, wie ich leben will. Ich möchte zärtlich leben. Ich mag aufmerksame Personen, die zart und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Ich finde es großartig, wenn Menschen das auch nach außen tragen und anderen zeigen. Und mit einem zärtlichen Blick durchs Leben gehen.
Immer (noch) Weihnachten
Ein Liebeslied für alle Menschen. So zärtlich singt Herman van Veen, dass es mir beim Hören ganz zart und weich wird.
Was macht ein Liebeslied aus? Ich habe in einer aktuellen Studie gelesen: Menschen erkennen Liebeslieder aus anderen Kulturen und in anderen Sprachen nicht unbedingt als Liebeslieder. Das scheint eher schwierig zu sein. Die Forscher vermuten, dass das an den vielen verschiedenen Seiten der Liebe liegt.
Liebe ist schillernd. Liebe ist immer wieder vollkommen überraschend.
Wiegenlieder allerdings erkennt man sofort. In jeder Kultur werden Kinder in den Schlaf gesungen. Wie von Maria und Josef in Bethlehem. In gewisser Hinsicht sind die Weihnachtslieder Wiegenlieder und Liebeslieder. An Weihnachten begrüßt die Welt das Jesuskind. Und dieses Kind bringt den Frieden und die Versöhnung.
Für mich ist das Weihnachtsfest jedes Jahr ein Fest, an dem ich meine Liebesfähigkeit vertiefe. Ein LiebesLernFest.
Ich denke an so viele Menschen. Und die denken an mich. Schreiben mir eine Karte mit lieben Worten. Ich spüre: Ich bin tief verbunden mit so vielen. Und dazu gehören auch die Menschen, die nicht mehr leben und irgendwie trotzdem da sind. Gerade in dieser Zeit um Weihnachten und -Neujahr. Oder die, die ich jahrelang nicht gesehen habe. -Sie alle gehören zu meinem Leben und haben einen Platz in meinem Herzen. Dieses Zusammensein verbindet mich auch mit Gott. Er ist mit mir verbunden. Es gehört alles zusammen. Seit langer Zeit.
Es ist ein Ros entsprungen. Da wankt die Welt, da wird geschossen - und dann entspringt ein Reis, da keimt etwas auf und wächst und wird groß. Ich will diesem großen Frieden, dieser Weihnachtsliebe trauen. Sie reicht in jedes Neue Jahr hinein und immer weiter.
Lasst alles in Liebe geschehen. Also, nicht mit Liebe oder mit ein bisschen mehr Liebe wie eine Zutat, wie ein Rezept… Nein, in Liebe.
Ich begebe mich da hinein. Wie in ein Machtgebiet, ein Reich, warum nicht, das Reich Gottes. Mitten unter uns. Wie Jesus es gesagt hat. So ist er in die Welt gekommen. Aus Gottes ewgem Rat ist uns ein Kind geboren – und schenkt der ganzen Welt Liebe, die Idee für ein gutes Leben.
Alles in Liebe. Kann das bitte unser Neujahrsvorsatz sein, liebe Leserinnen und Leser?
Wir wissen nicht, was uns blüht, was kommt.
Doch ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Römer 8, 38-39)
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden