Fast 2.000 Kirchen und Kapellen befinden sich im Besitz der evangelischen Landeskirche in Bayern. Doch angesichts sinkender Mitgliederzahlen und immer weniger Gottesdienstbesucher*innen stellt sich die Frage, ob wirklich so viele gebraucht werden. Die Folge: Immer wieder stehen Kirchen zum Verkauf.
Laut dem "Bayerischen Rundfunk" haben die evangelische und die katholische Kirche in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland über 1.000 Kirchengebäude aufgegeben und für eine anderweitige Nutzung freigegeben. Oft nutzen die Nachfolger*innen die Gebäude für profane, weltliche Zwecke – doch nicht immer. So ging die Epiphaniaskirche in Nürnberg an eine sogenannte Pfingstgemeinde, eine Freikirche.
Bei Kirchenmitgliedern löst so etwas gemischte Gefühle aus. In die Freude darüber, dass das Gotteshaus keine Ferienwohnung wird oder gar ein Waffenhändler sein Lager dort einrichtet, mischt sich oft Wehmut und Sorge über vermeintlichen Bedeutungsverlust und Niedergang.
Wir lassen in unserem Pro und Contra zu diesem teilweise emotional diskutierten Thema beide Seiten zu Wort kommen. Pastor Oliver Fuß von der Freien Christengemeinde München sieht in solchen Verkäufen nichts Schlechtes, im Gegenteil. Martin Backhouse hingegen, Pfarrer im Ruhestand und ehemaliger Schulbeauftragter im Kirchenkreis Nürnberg widerspricht. Für ihn ist der Verkauf von Kirchen ein Symbol des Niedergangs.
Pro: Ein Gotteshaus bleibt Gottes Haus
Ja, es ist okay, wenn ein Kirchengebäude der Evangelischen Landeskirche an eine Freikirche verkauft wird. Warum? Sicher nicht, weil ich der Meinung wäre, das bessere Kirchenmodell habe sich halt durchgesetzt. So, als gebe es auch im Religiösen die freien Kräfte des Marktes, die dafür sorgen, dass der "Bessere gewinnt".
Denn es sind die sinkenden Zahlen ihrer Mitglieder, die Kirchen zwingen den "Rotstift" anzusetzen, Gemeinden zusammenzulegen und Kirchengebäude aufzugeben. Immerhin sind Gotteshäuser spirituelle Orte für die Menschen der Umgebung. Deren Spiritualität drückt sich in einem Frömmigkeitsstil aus, den die Gottesdienstbesucher nicht einfach wechseln werden wie ein Kleidungsstück. Die Entscheidung über die Aufgabe eines Kirchenstandortes fällt immer mit einem schweren Herz.
Deshalb: Nein, so einfach mache ich es mir nicht und behaupte: "Survival of the fittest – so what". Oder etwas frommer ausgedrückt:
Ist doch egal, welche Konfession oder Denomination in der Kirche ihre Gottesdienste feiert – Hauptsache ist, dass es eine Kirche tut.
Mir steht noch deutlich der Besuch einer Buchhandlung in Maastricht vor Augen. Die hatte ihre Räumlichkeiten in einer ehemaligen Kirche bezogen. Das hört sich cool an, war mein erster Gedanke. Doch die gotischen Fenster und Gewölbe empfand ich lediglich als stylischen Hintergrund für einen Geschäftsbetrieb, bei dem Religion nur in der entsprechenden Abteilung vorkam. Inhalt und Form korrespondierten nicht miteinander. Nun lässt sich über Geschmäcker ja bekanntlich streiten.
Es ist für mich aus anderen Gründen richtig, wenn ein Sakralbau von einer anderen Kirche übernommen wird. Zum einen bleibt dann das Gotteshaus Gottes Haus. Der Verkäufer nimmt sich als Kirche ernst. Es ist ihm nicht egal, was mit dem Gebäude geschieht. Nicht, dass Gott im Mauerwerk stecke. Aber die Erbauer haben sich Gedanken gemacht, wie sie Gott ehren können – auch durch Architektur. Es schmerzt, wenn kirchliches Leben zum Erliegen kommt, weil die Menschen fernbleiben. Doch mit dem Einzug einer neuen Gemeinde besteht zumindest die Chance, dass an alter Stätte ein neues Gemeindeleben entstehen kann.
Das zeigt mir weiter: Wir Kirchen nehmen einander wahr und rücken zusammen.
Über theologische Fragen kann man gut diskutieren. Doch "Wenn es ums Geld geht geht, hört der Spaß auf", sagt man. Der Kauf einer Immobilie ist für beide Seiten immer auch eine Frage des Vertrauens. Deshalb bieten solche unkonventionellen Wege die Chance zu zeigen, dass wir "miteinander können". Konfessionelle Grenzen werden nicht zu Scheuklappen. Zu lange waren den großen Kirchen die Freikirchen "suspekt" und zu emotional. Andererseits haben Freikirchen kirchliche Frömmigkeit als oberflächlich abgetan. Sagt Jesus nicht, dass man seine Leute an der Liebe zueinander erkennen soll (Johannes 13, 35)?
Und damit komme ich zum entscheidenden Grund. Wir Kirchen entdecken unseren gemeinsamen Auftrag: Menschen mit der Hoffnung Gottes zu erreichen. Die Verkäufer bündeln ihre Kräfte für die Umsetzung dieses Auftrags. Die Käufer des Gotteshauses können nun ihrer neuen Nachbarschaft zeigen: Hier werden weiterhin Gottesdienste für den drei-einigen Gott gefeiert. Anders als bisher. Schwungvoller, lauter und vermutlich länger.
Doch es wäre klasse, wenn man von Gesprächen über das Gebäude zum Dialog über Jesus Christus kommen würde. Das ist der um den sich – in beiden Kirchen – alles dreht.
Oliver Fuß, Pastor der Freien Christengemeinde München
Contra: Verkauf einer Kirche ist Symbol eines Niedergangs
52 Jahre hat die Epiphanias-Kirche der Gemeinde gedient. Ihr ist das Gebäude zur Heimat geworden. In Ritualen der unterschiedlichen Gottesdienste fanden die Gläubigen Ausdruck ihrer Freude oder Trost in der Trauer. So wurde das Haus Kirche zum Treffpunkt des Lebens. Viele haben für den Bau und die Ausgestaltung gespendet. Manche von ihnen leben noch, zumindest ihre Kinder. Nun wurde es verkauft.
"Die Zahlen geben nichts anderes her! Die Zahlen der Gemeindeglieder, auch die der Gottesdienstbesucher sind zurückgegangen. Wir können uns das nicht mehr leisten. Wir müssen sparen." So höre ich es allenthalben.
Trotzdem werden Sonder-Stellen geschaffen, Arbeitsgruppen ins Leben gerufen und die Verwaltung wird immer größer, die Gemeindepfarrer weniger und deren Sprengel immer größer.
Wie sieht ein Vergleich der Zahl der übergemeindlich aktiven Pfarrer*innen im Dekanat von Heute zu der vor 40 Jahren aus, vom Landeskirchenamt ganz zu schweigen? Da wäre ein großes Potential für Einsparungen oder Verlagerung in die Gemeinden. Beispielsweise wurde den ehrenamtlich geführten Diasporawerken die Unterstützung gekürzt, dafür im Landeskirchenamt zwei Vollzeit-Pfarrstellen plus Büro errichtet.
Es gab ein München-, ein Nürnbergprogramm, ein finanzieller und personeller Aufwand, Ergebnis? Ich habe trotz Skepsis mitgemacht um Innensicht zu bekommen. Eine Verschwendung von Zeit und Geld!
Jetzt ist Profil und Konzentration (PuK) dran. Dann gibt es ein Zusatzstudium für Fundraising für Pfarrer. Das Ziel aller Programme: näher beim Menschen sein. Das ist ja was ganz Neues! Aber Besuche etwa bei Neu-Zugezogenen, so ein Dekan, könne ein Pfarrer nicht mehr machen. Keine Zeit! Ja, wofür dann? Für die Abwicklung von Kostenstellen, von Programmen für Einsparungen? Ein Schema lässt sich abbilden:
Erst kommt die Fusion, dann die Verringerung des hauptamtlichen Personals, dann der Verkauf oder Vernachlässigung bis zum Verfall der Immobilie!
Sollten wir uns nicht mehr als um solche Programme eher um die Nähe zu den Menschen bemühen? Gerade wenn in unser Gemeindegebiet Menschen zuziehen, dann sind sie offen. Wenn wir nicht da sind, wenden sie sich anderen zu. Es gibt doch Beispiele, dass beispielsweise Migranten in unseren Gemeinden eine Heimat finden. Und wie bereichernd ist das dann! Da brauche ich aber auch Platz und Raum, etwa die Epiphanias-Kirche, aber auch Zeit, so etwas wachsen zu lassen. Nein, wir vergeben uns all dieser Chancen, um 500.000 € willen plus den Folgekosten.
Wo ist das Geld vom Verkauf des Pfarr- und Gemeindehauses? Was geschieht mit den Kunstwerken? Gerade so eine moderne Kirche wie Epiphanias trägt in sich so viele Gestaltungsmöglichkeiten, kann zum spirituellen Zentrum des ganzen Viertels werden, indem die Gemeinde zusammenkommt zur Verkündigung des Evangeliums, zum Er-Leben von Gemeinschaft, Brot-Brechen… Aber nein, die Kirche wird verkauft.
Käufer der Kirche in Nürnberg ist eine Pfingstkirche. Meines Erachtens gehört die Trinity Church zu den Neopentekostalen. Diese Kirchen, deren es viele gibt, erleben ein starkes Wachstum, auch bei uns. Sie blicken so hoffnungsvoll und voller Glauben in die Zukunft, dass sich 120 Mitglieder ein solches Gebäude zutrauen. Das heißt, es ist eine stark missionarische Kirche. Da stört es niemanden, dass sie den Zehnten des Einkommens als Beitrag erwarten, dass die Gottesdienste zwei Stunden dauern, die Predigten doppelt so lang sind und einen stark legalistischen Inhalt haben.
Unsere negative Sicht der kirchlichen Zukunft treibt die verunsicherten Glieder unserer Kirche in die Arme der evangelischen Freikirchen, die nichts mit der Lutherischen Kirche zu tun haben. Im Gegenteil, sie freuen sich über unsere Hoffnungslosigkeit, die so ein Verkauf ausdrückt, da dadurch ihre Chancen auf neue Mitglieder wachsen.
Wir sollten uns mehr mit dem Aufbau als dem Abbau der Gemeinden beschäftigen und dadurch Hoffnung ausstrahlen.
Martin Backhouse, Pfarrer im Ruhestand
Was denken Sie über den Verkauf von Kirchen? Schreiben Sie uns eine Mail: redaktion@sonntagsblatt.de