Frau Hoerschelmann, können Sie das Treffen kurz zusammenfassen?

Den ÖRK kann man sich so ähnlich vorstellen wie die Vereinten Nationen, nur auf kirchlicher Ebene. Es kommen Menschen unterschiedlicher Kirchen aus der ganzen Welt zusammen. Bei dem Treffen in Karlsruhe wurden unter den gut 4.000 Teilnehmenden Fragen besprochen, die die aktuell Kirchen beschäftigen.

Die Klimakrise war dabei natürlich ein großes Thema. Es waren ja auch Kirchen aus dem Pazifik und aus Nordskandinavien da, die als erste und unmittelbar von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind. Und auch wir waren da, die Kirchen aus den Ländern, die Verursacher der Klimakrise sind.

Ein weiteres Schwerpunktthema waren die kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Welt, am Beispiel der Ukraine. An diesen beiden Themen wurde deutlich, wie unmittelbar die Kirchen weltweit von aktuellen Krisen und Spannungen betroffen sind.

Was haben Sie persönlich mitgenommen?

Die Vollversammlung hat gezeigt, dass eine ungeheure Energie dahinter steckt, wenn wir als Kirchen weltweit unsere Probleme und Themen gemeinsam angehen. Man kann die Kirche mit einem Riesen vergleichen, der aufsteht und tatsächlich eine Veränderung bewirken kann. Die Delegierten riefen zum Beispiel die Kirchen auf, konkret die Regierungen ihrer Länder aufzufordern den Klimawandel einzudämmen.

Bei dieser Vollversammlung ist auch sehr deutlich geworden, dass in Bezug auf die Klimakrise alle Fakten auf dem Tisch liegen. Es gibt nichts mehr, worüber wir noch nachdenken müssten. Das kann man sich auch gar nicht mehr leisten, denn die Zeit läuft uns davon. Es ist sogar in einem Statement gesagt worden: "Dies ist die letzte Vollversammlung, die in der Lage ist, noch etwas in Bewegung zu bringen. Wir müssen ins Handeln kommen."

Einen Impuls aus der Jugenddelegation, den ich auch gerne mitnehme, ist: "Denkt bei allen euren Entscheidungen darüber nach, welche Konsequenzen sie für das Klima haben."

Was ich ebenfalls aus der ökumenischen Bewegung mitnehme, ist das Thema Partizipation. Es ist ein selbstverständliches Bedürfnis aller Gruppen, gehört und einbezogen zu werden, egal ob Frauen oder Männer, Jüngere oder Ältere. Gerade die Jugend-Delegierten haben auf dieser Vollversammlung besonders eingeklagt, dass sie mehr eingebunden werden möchten. Auf diese gleichberechtigte Beteiligung muss weiterhin, gerade bei Wahlen, in Gremien und bei der Besetzung von Leitungsämtern, sehr sorgfältig geachtet werden.

Außerdem sind für mich die Gottesdienste, die auf der Vollversammlung gefeiert werden, Ausdruck eines großen spirituellen Reichtums. Da werden schwungvolle Lieder aus Jamaika genauso gesungen wie meditative Gesänge aus der orthodoxen Tradition. Man fühlt sich getragen von einem gemeinsamen Gebet und der gemeinsam gesungenen Musik.

Es entsteht ein großes, emotionales Gefühl des Miteinanders und Verbunden-seins. Das gibt mir persönlich sehr viel Kraft und auch Schwung, die nächsten Schritte zu gehen.

 

Wie kommt der Input der Vollversammlung zurück in die bayerischen Gemeinden?

Dadurch, dass das Treffen in Deutschland stattgefunden hat, gab es eine große Beteiligung von deutscher Seite, weil viele einfach als Tagesgäste nach Karlsruhe reisen konnten. Der nächste Schritt wird sein, sowohl in der Landessynode als auch in der EKD Synode von der Vollversammlung zu berichten und weiterzuverarbeiten, was ihre Ergebnisse für uns bedeuten.

Wir von Mission EineWelt werden die Themen mit unseren internationalen Partnern besprechen. Wir werden zum Beispiel in Zukunft Veranstaltungen zu Themen, die die Vollversammlung ausgelöst hat anbieten und Kampagnen initiieren.

 

Über Dr. Gabriele Hoerschelmann

Dr. Gabriele Hoerschelmann ist Direktorin von Mission EineWelt. Das Partnerschaftsnetzwerk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat 22 Partnerkirchen. Es ist außerdem zuständig für Projektarbeit, Entwicklungsfragen und Personalentsendungen. Hoerschelmann hat bereits seit Mitte der 1990er mit dem Weltkirchenrat zu tun. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über den Lutherischen Weltbund und war elf Jahre lang Auslandspfarrerin in Hongkong. 2022 war sie Teil der bayerischen Delegation auf der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe.

Wie vermittelt man Menschen, die nicht viele Berührungspunkte mit Kirchenpolitik haben, die Bedeutung des Weltkirchenrats?

Wir hatten eine große Multiplikatorengruppe vor Ort. Das sind zum Beispiel Ökumenebeauftragte der Dekanate oder Mitglieder des Ökumene-Fachausschusses. Diese Menschen sind in den Gemeinden verwurzelt, weil sie dort Pfarrerinnen oder Pfarrer, Gemeindemitglieder, Religionspädagoginnen oder Dekane und Dekaninnen sind.

Es wird interessant sein herauszufinden, an welchem Thema die Gemeinden in Zukunft besonders interessiert sein werden. Auf der Vollversammlung war ja ein wichtiger Punkt zum Beispiel die Jugendbeteiligung. Da gab es im Europaforum einen interessanten Dialog: Auf den Appell eines orthodoxen Geistlichen an die Jugend, dass sie das Erbe der Kirche weiterbewahren mögen, stand eine junge Frau auf und antwortete:

"Ehrlich gesagt, es geht uns nicht um das Erbe, sondern uns geht es darum: 'Was bewegt Gott in meinem Leben?'"

Das fand ich eine ganz starke Aussage. Hier geht es um ein spirituelle Kraft, die aus der ökumenischen Bewegung in die Gemeinden hineinfließen kann.

Sie waren als Beobachterin auf der Vollversammlung. Können Sie einen typischen Tag in Karlsruhe beschreiben?

Der Tag begann um 8.30 Uhr mit einem gemeinsamen Gottesdienst, der die Basis für den Tag gelegt hat. Danach fand ein großes thematisches Plenum statt. Für die Delegierten ging es dann in die unterschiedlichen Kommissionen und wir als Beobachter besuchten eine Bibelarbeit zum Tagesthema.

Am Nachmittag waren wir zusammen in einem großen Geschäftsplenum. Danach gab es thematische Workshops. An den Abenden gab es zum Beispiel Treffen der einzelnen Kirchenfamilien, also der Lutheraner, Methodisten, Orthodoxen oder Anglikaner. Oder man traf sich in Gruppen der Regionen wie Asien, Europa, Südamerika, Afrika, Nordamerika und Pazifik.

Viele der Themen, die besprochen wurden, hatten mit Krisen zu tun: der Krieg in der Ukraine, in Israel und Palästina oder die Klimakatastrophe. Würden Sie sagen, es kam zu einer Veränderung im Vergleich zu der Vollversammlung zuvor?

Vergleicht man die zurückliegenden Vollversammlung, so lässt sich sagen, dass durch den jahrzehntelangen Dialog der Kirchen schon durchaus viel an gegenseitigem Verständnis gewachsen ist.

Durch die persönliche Begegnung in den Plenarsitzungen, in kleinen Gruppen oder einfach beim gemeinsamen Essen hört man sich gegenseitig zu und verändert sich. Nicht alles ist in Texten oder Dokumenten zu greifen, das ist nur ein Ausschnitt aus dem, was tatsächlich an Veränderung und Dialog passiert.

Die Tatsache zum Beispiel, dass sowohl die russische Delegation als auch Vertreter der ukrainisch-orthodoxen Kirche anwesend waren, hatte zumindest das Potential für Gespräche und Veränderungen. Vieles wird sich aber auch erst in den nächsten Wochen und Jahren zeigen. Zumindest aus meiner Erfahrung führen solche Begegnungen schon zu einem erhöhten Maß an Verständnis.

Welches Erlebnis von der diesjährigen Vollversammlung bleibt Ihnen im Gedächtnis?

Für mich ist bei solchen Veranstaltungen immer besonders die Spiritualität der Gottesdienste wichtig. Wenn es uns gelänge, davon etwas in unsere Landeskirche hineinzutragen, wäre das für uns bereichernd.

Ein besonderes Erlebnis, das ich sehr bewegend fand, war der Moment, als eine Delegierte der Jugend ans Mikrofon getreten ist. Normalerweise bekommt immer nur eine Person das Rederecht und erhält dann ein bis zwei Minuten Redezeit. In diesem besonderen Augenblick jedoch haben sich nach und nach bis zu zehn oder zwölf Jugenddelegierte hinter die junge Frau gestellt und ihr bestärkend die Hand auf die Schulter gelegt. Diese Aktion demonstrierte sehr bewegend, wie die jungen Delegierten buchstäblich zusammenstehen und erwarten, dass ihre Stimme gehört wird.