Ob rund oder eckig, zum Sprechen über Missbrauch gehört fast überall das Bild eines Tisches, an dem die Beteiligten sich treffen. Seit Juli sitzen nun neun evangelische Kirchenvertreter und acht Betroffene von Missbrauch an einem Tisch - im neuen Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Neue Form der Beteiligung

"Es ist klar: Die beiden Gruppen haben unterschiedliche Interessen. Aber über die verschiedenen Vorstellungen lässt sich jetzt in einem gut organisierten, echten Beteiligungsverfahren reden und Lösungen finden", sagt die Beraterin Birgit Mangels-Voegt, die der EKD im vergangenen Jahr geholfen hat, die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche neu zu organisieren, und die das Beteiligungsforum in den kommenden Jahren als Externe unterstützen soll.

Entstanden ist diese neue Form der Beteiligung, weil im vergangenen Jahr das bisherige Konzept von zwei verschiedenen Gremien, ein kirchlicher Beauftragtenrat und ein Betroffenenbeirat, gescheitert war. Nach internen Streitigkeiten wurde im Mai 2021 der Betroffenenbeirat erst ausgesetzt und später ganz aufgelöst. Kritik an diesem Vorgehen der EKD gab es von vielen Seiten, von Betroffenen und auch aus der Politik.

Im September erste digitale Tagung

Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis das neue Beteiligungsforum gegründet war. Im September hat es das erste Mal online getagt. Auf der Synode der EKD vom 6. bis 9. November in Magdeburg wird das Thema sexualisierte Gewalt ein Schwerpunkt sein.

Das Beteiligungsforum funktioniert wie ein Board. Die 17 Mitglieder entscheiden alles gemeinsam. In mehreren Untergruppen, den sogenannten Themen-AGs, werden Beschlussvorschläge erarbeitet. Für die Abstimmung im Forum ist eine doppelte Mehrheit, sowohl der EKD-Beauftragten als auch der Betroffenen nötig. 200.000 Euro kostet nach EKD-Angaben das Forum jährlich.

Für die Betroffenen sitzt Detlev Zander als einer von zwei Sprechern am Tisch, er war schon Mitglied im aufgelösten Betroffenenbeirat. Er nennt das Forum einen "Meilenstein" und eine nie dagewesene Form der Beteiligung. Die Betroffenen hätten nun "weitreichenden Einfluss".

Kirche hat Deutungshoheit aufgegeben

Zander ist zufrieden mit der Zusammenarbeit, die Kirche habe ihre Deutungshoheit beim Thema Aufklärung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt abgegeben. Aber: "Es gibt keinen Kamillentee", sagt er. Allen müsse klar sein, dass es die allerletzte Chance sei, Aufklärung und Aufarbeitung hinzubekommen. Man stehe gemeinsam hinter dem Projekt. Sein persönliches Ziel sei es, die Einrichtungen der Kirche und der Diakonie zu sicheren Orten für Kinder und Jugendliche zu machen.

Für die EKD sitzen unter anderem der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns und die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst im Beteiligungsforum, die im November das Amt der Sprecherin von Meyns übernehmen wird. Die Diakonie ist ebenfalls vertreten. Man sei noch in der Startphase, mache aber erste gute Erfahrungen mit der Arbeitsstruktur, sagt Wüst.

System der Entschädigungszahlungen muss reformiert werden

Aus Zanders Sicht gehört zu drängendsten Themen, das System der Entschädigungszahlungen zu reformieren. Die Spätfolgen müssten dabei stärker berücksichtigt werden, zudem hätten die 20 Landeskirchen im Gebiet der EKD alle unterschiedliche Vorgehensweisen. Wichtig sei auch, aus dem Dunkelfeld herauszukommen und dafür zu sorgen, dass Betroffene sich melden.

Viele hätten bislang Scheu, sich bei den kirchlichen Anlaufstellen zu melden. Zum Stichtag 31. Dezember 2021 lagen den Anerkennungskommissionen der Landeskirchen laut EKD 757 Anträge auf Anerkennungsleistungen vor. Das spiegele aber nicht die tatsächliche Anzahl von Fällen sexualisierter Gewalt wider, teilt die EKD mit.

Nach Birgit Mangels-Voegts Meinung läuft es bislang gut im neuen Beteiligungsforum. Was auf den Tisch komme, müsse auch bearbeitet werden, betont sie. Im Dezember wird man sich zum zweiten Mal treffen - dieses Mal in Präsenz an einem Tisch.