"Wir kehren zurück nach Telskuf." Weiß auf grün steht es in schwungvollem Arabisch an einer Hauswand des Dorfs in der Ninive-Ebene bei Mossul. Im Sommer 2014 mussten die Bewohner Telskuf verlassen, 1450 christliche Familien waren auf der Flucht vor dem "Islamischen Staat" (IS).

Doch das Blatt hat sich gewendet. Vor wenigen Tagen sind Afra und ihr Mann Aziz in ihr Haus zurückgekehrt. Mit den Söhnen Andi (10) und Even (5) stellen sie sich unter dem Kreuz vor der Haustüre für ein Foto auf.

Oder sollte es sich bei dem Schriftzug doch nicht um die Freude der zurückkehrenden Christen, sondern eine Drohung des IS handeln? Wenige Tage nur waren die Truppen des Kalifats im Sommer 2014 hier, bis sie von kurdischen Truppen zurückgeschlagen wurden. Im Mai vergangenen Jahres kehrte der IS noch einmal zurück, um den strategisch wichtigen Ort mit vielen sprengstoffbestückten Wagen und Attentätern einzunehmen. Doch die kurdischen Peschmerga und christliche Milizen schlugen mit Unterstützung der US-Luftwaffe auch diesen Angriff zurück.

Mehr als zwei Jahre lang diente der Ort an der Frontlinie kurdischen Soldaten als Hauptquartier und verfügt deshalb noch über eine Infrastruktur, die es ermöglicht, dort zu leben.

Doch von den Konflikten der letzten Jahre will Afra nun nichts mehr wissen: Ihr Haus wurde zwar geplündert und steht deshalb fast leer, doch es steht noch. "Wir haben meistens von 5 Uhr nachmittags bis 8 Uhr morgens Strom" freut sie sich. Das Trinkwasser allerdings müssen sie noch kaufen.

Im Haus des Nachbarn stehen überall Malersachen, und es riecht nach frischen Farben, zwei Häuser weiter zeigt Mona, eine Frau im mittleren Alter, stolz ihren Gemischtwarenladen, den sie erst vor wenigen Tagen hier eröffnet hat. Nur ihre Tochter, die sich nicht fotografieren lassen möchte, meint: Es könnte besser laufen.

Irak, Ninive-Ebene: Checkpoint der kurdischen Peschmerga bei Telskuf 25 Kilometer nördlich von Mossul.
Irak, Ninive-Ebene: Checkpoint der kurdischen Peschmerga bei Telskuf 25 Kilometer nördlich von Mossul. Ab hier beginnt das dem »Islamischen Staat« zwei Mal abgerungene Gebiet.
Mona und ihr Laden: Christen kehren zurück in ihre vom Islamischen Staat befreiten Häuser in der irakischen Ninive-Ebene.
Mona und ihr Laden: Christen kehren zurück in ihre vom Islamischen Staat befreiten Häuser in der irakischen Ninive-Ebene.
Vom »Islamischen Staat« verbrannte Liturgische Schriften in der Kirche von Batnaya nördlich von Mossul.
Vom »Islamischen Staat« verbrannte Liturgische Schriften in der Kirche von Batnaya nördlich von Mossul.
Die chaldäische Kirche von Batnaya im Frühjahr 2017 nach der Befreiung vom IS.
Die chaldäische Kirche von Batnaya.
Graffito eines IS-Kämpfers mit Deutschkenntnissen in einer Seitenkapelle der Kirche von Batnaya: »Oh Ihr scheiss Kreuzsklaven wir töten euch alle. Dieses land ist Islamische land, Ihr Schmuzigen, das Ihr gehört nicht da hier«.
Graffito eines IS-Kämpfers mit Deutschkenntnissen in einer Seitenkapelle der Kirche von Batnaya: »Oh Ihr scheiss Kreuzsklaven wir töten euch alle. Dieses land ist Islamische land, Ihr Schmuzigen, das Ihr gehört nicht da hier«.
Beschossen und geschwärzt: ein christliches Bild an einer Hausfassade in Batnaya.
Beschossen und geschwärzt: ein christliches Bild an einer Hausfassade in Batnaya.
»Der Islamische Staat bleibt«: Graffiti mit Fahnen des IS an einem von Christen bewohnten Haus in der Ninive-Ebene.
»Der Islamische Staat bleibt«: Graffiti mit Fahnen des IS an einem von Christen bewohnten Haus in der Ninive-Ebene.
Vor wenigen Tagen sind Afra und ihr Mann Aziz in ihr Haus in Telskuf zurückgekehrt. Mit den Söhnen Andi (10) und Even (5) stellen sie sich unter dem Kreuz vor der Haustüre für ein Foto auf.
Vor wenigen Tagen sind Afra und ihr Mann Aziz in ihr Haus in Telskuf zurückgekehrt. Mit den Söhnen Andi (10) und Even (5) stellen sie sich unter dem Kreuz vor der Haustüre für ein Foto auf.
Ramin und Rani aus Mossul wollen das Land nicht verlassen. Aber in ihrer Heimatstadt sehen sie für Christen keine Zukunft.
Ramin und Rani aus Mossul wollen das Land nicht verlassen. Aber in ihrer Heimatstadt sehen sie für Christen keine Zukunft.
Karte der Ninive-Ebene im Nordirak.
Karte der Ninive-Ebene im Nordirak.
Blick vom nordirakischen Hormizd-Kloster hinunter auf die Ninive-Ebene.
Blick vom nordirakischen Hormizd-Kloster hinunter auf die Ninive-Ebene.
Hans-Martin Gloël, Referent für Ökumene und Weltverantwortung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und Sonntagsblatt-Autor, zusammen mit dem Direktor des christlichen irakischen Hilfswerks CAPNI, Emanuel Youkhana, in den Ruinen des zu 90 Prozent zerstörten christlichen Dorfs Batnaya.
Hans-Martin Gloël, Referent für Ökumene und Weltverantwortung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern und Sonntagsblatt-Autor, zusammen mit dem Direktor des christlichen irakischen Hilfswerks CAPNI, Emanuel Youkhana, in den Ruinen des zu 90 Prozent zerstörten christlichen Dorfs Batnaya.

Gedämpfte Töne eher auch bei Usama und seiner Mutter Khalida, die vor einer Woche wieder zurückgekommen sind. Auch hier wurde offensichtlich geplündert, was nicht niet- und nagelfest war. Doch Bilder von Jesus und Maria hängen bereits wieder in jedem Zimmer. "Bitte bete mit uns!" wird der Gast aus Bayern aufgefordert. Ihre Sorge gilt der Gesundheit von Khalida, die Diabetes hat. Es ist eine Zukunft zwischen Hoffen und Bangen in diesem von Christen besiedelten Dorf, während sich im wenige Kilometer entfernten Mossul der IS noch mit allen Mitteln gegen seine Niederlage aufbäumt.

Immerhin 165 Familien seien wieder zurückgekehrt nach Telskuf, weiß der für die Sicherheit in der Region zuständige Oberst Seravan Barushki, bevor er die Besucher in Begleitung von kurdischen Peschmerga und christlichen Milizionären der "Niniveh Plain Forces" ins nahe gelegene Batnaya entlässt, das bis vor Kurzem vom IS gehalten wurde.

Nach Batnaya ist noch niemand zurückgekehrt – außer den Minensuchkommandos, die die Ruinen durchkämmen. Die Wände hier halten Botschaften bereit, die eindeutig dem IS zuzuordnen sind. 90 Prozent des Orts sind zerstört, vor allem durch US-Luftangriffe im vergangenen Herbst, als es darum ging, den IS zu vertreiben.

Dokumente der IS-Ideologie

Die Schriftzüge auf den noch stehen gebliebenen Häusern und der baulich intakt gebliebenen, aber schlimm verwüsteten Kirche geben Auskunft über die Ideologie derer, die den Ort über zwei Jahre lang besetzten: "Der Islamische Staat bleibt" heißt es in Arabisch auf einem Haus neben dem Bild der schwarzen Flagge des IS. "Es gibt keinen Platz für das Kreuz auf islamischem Land" und "Haus der Ungläubigen" steht neben der mit einem Kreuz verzierten Eingangstür zu einem Hof.

In einer Seitenkapelle der Kirche haben offenbar aus Europa eingereiste, um Deutschsprachigkeit bemühte IS-Kämpfer ihre Botschaft hinterlassen: "Oh ihr scheiss Kreuzsklaven   Wir töten euch alle   Dieses land ist islamische land, Ihr Schmuzigen das Ihr gehört nicht da hier"

Im Altarraum, aus dem das Kreuz entfernt wurde, liest man islamische Glaubensaussagen: "Jesus ist unser Prophet". Das islamische Glaubensbekenntnis zieht sich quer über die Apsis, und im Altarraum einer Seitenkapelle wiederum heißt es: "Jesus wird am Ende der Zeiten kommen, um das Kreuz zu zerbrechen". Unter anderen Voraussetzungen könnte diese Aussage als Einladung zu einem theologischen Gespräch verstanden werden, wäre doch aus christlicher Sicht einiges dazu zu sagen. In der verwüsteten Kirche dagegen handelt es sich um das Gegenteil.

Das Ende der Christen in der Ninive-Ebene?

Ist die provozierende Schrift an der Wand ein Menetekel für den Untergang des Christentums in Ninive?

"Wenn es in diesem Sommer nicht entscheidende Aufbaumaßnahmen gibt, dann sind wir ernsthaft in Gefahr", sagt der syrisch-orthodoxe Pfarrer Daniel Behnam, der seine Gemeinde im inzwischen ebenfalls zerstörten Bashiqa in der Ninive-Ebene hatte. "Auf die Regierung können wir damit nicht warten", fügt er gleich noch hinzu.

Doch auf wen sonst? Die Ninive-Ebene ist umstrittenes Gebiet zwischen der kurdischen Autonomieregierung in Erbil und der irakischen Zentralregierung in Bagdad. Solange nicht klar ist, wer dieses Gebiet in Zukunft regiert, wird sich niemand für den Aufbau engagieren.

"Ihr habt am meisten für uns getan! Mehr als unsere Bischöfe, mehr als alle Politiker" – so hört man es in den Häusern der Rückkehrer in der Region um Mossul, und gemeint sind damit allen voran die bayerische Landeskirche, der Lutherische Weltdienst und kirchliche Hilfswerke. Im Lauf dieses Jahres werden viele Fördermittel von Nothilfe auf hoffnungsvolle Zukunftsprojekte umgestellt, die den Menschen den Neuanfang erleichtern sollen.

Doch zunächst bleibt unklar, wer den Schutt beiseite räumt in Dörfern und Städten, die aussehen wie Nürnberg 1945; wer für Wasser, Strom und was darüber hinaus an Infrastruktur nötig ist, sorgt. Die Lager für Inlandsflüchtlinge werden im Lauf des Jahres aufgelöst. Die Regierung in Bagdad will zum neuen Schuljahr ab September den Schulunterricht wieder aufnehmen, sagt man. Doch wer wird in die Orte zurückkehren, in denen eigentlich niemand leben kann?

Schleppender Wiederaufbau

Immerhin sind nur etwa 20 Prozent der Einwohner von Karakosch bei Mossul ins benachbarte Ausland geflohen. Karakosch war mit ca. 50.000 Einwohnern die größte christliche Stadt im Irak, "unser Rückgrat", wie einer der Pfarrer von dort sagt. "Wir erwarten, dass die Bewohner zurückkommen. Selbst mit einigen von denen, die in die Nachbarländer geflohen sind, rechnen wir." Doch das gelingt nur, wenn die Infrastruktur wiederhergestellt wird. Alles, was von staatlicher Seite in Karakosh derzeit gewährleistet werde, sei die Straßenreinigung, heißt es.

In der Metropole Mossul haben bis vor zweieinhalb Jahren noch etwa 50.000 Christen gelebt, doch bereits vor dem IS waren sie gefährdet, konnte von einer Akzeptanz der Minderheiten nicht die Rede sein.

"Wir sehen in Mossul keine Zukunft für Christen", sagen Rani und Ramin, die ihr Studium in ihrer Heimatstadt unterbrechen mussten, als der IS kam. "Aber wir hoffen, in der Nähe Wohnung und Arbeit zu finden", meint Ramin, die ihr Studium als Software-Ingenieurin immerhin auch nach der Flucht beenden konnte.

Gefragt nach ihrer Hoffnung für die Zukunft, sagt Rani: "Das einzige Zeichen von Hoffnung ist unsere Liebe", und nimmt die Hand seiner Braut Ramin. "Wir finden unsere Identität in der Kirche, im christlichen Leben. Wir wollen heiraten und Kinder haben. Wir wollen dieses Land nicht verlassen."

 

SPENDEN auf das Konto der bayerischen Landeskirche kommen direkt den Partnerorganisationen, die vor Ort Hilfe leisten, zugute. Evangelische Bank, Konto: DE57 5206 0410 0001 0101 07, Stichwort: "Christen helfen im Irak".