Seit Anfang Oktober gastierte die Oper oder vielmehr das Performance-Spektakel "Sancta" in der Stuttgarter Staatsoper. Mit im Gepäck: ein Skandal rund um die Themen "Grenzen der Kunstfreiheit" und "Blasphemie auf der Bühne".

Die Regisseurin Florentina Holzinger, bekannt für ihre kontroversen Inszenierungen, erzählt eine Geschichte über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche, sexuelles Erwachen, Scham, Schuld und Spiritualität – und das auf eine Weise, die viele sprachlos zurücklässt.

Das ist "Sancta"

Das Stück, das ab 18 Jahren freigegeben ist und ausdrücklich und ausführlich vor grenzüberschreitenden Inhalten warnt, beginnt mit dem Operneinakter "Sancta Susanna" von Paul Hindemith, der schon zu seiner Zeit als skandalös und blasphemisch empfunden wurde. Es geht um die Nonne Susanna, der eine Geschichte erzählt wird. 

Die Nonne Beate habe sich vor langer Zeit versündigt, indem sie völlig nackt den gekreuzigten Jesus umarmt und geküsst habe. Zur Strafe wurde sie lebendig eingemauert und Jesus mit einem Lendenschurz versehen. Susanna ist fasziniert und tut es Beate gleich, woraufhin sie von den anderen Nonnen mit einem Bann belegt wird.

In den folgenden zweieinhalb Stunden hört man eine Mischung aus Metal, den Weather Girls und Stücken von Johann Sebastian Bach, während nackte Nonnen Rollschuh fahren, eine Performancekünstlerin kopfüber in einer Glocke hängt, ein lesbisches Liebespaar Jesus am Kreuz ersetzt und einer Frau die Haut vom Rücken geschnitten wird. Und das alles im Rahmen einer heiligen Messe.

Die Kritik der Kritiker

Die katholische Kirche reagiert mit scharfer Kritik. Stadtdechant Christian Hermes äußert zwar seinen "Respekt vor der künstlerischen Radikalität", kommentiert aber auch, dass religiöse Gefühle bewusst verletzt würden. Er stimmt einem Kritiker zu, der das Stück als "Katholiken-Bashing" bezeichnet. 

Das Stück schockiert, polarisiert und löst eine ewige Diskussion über Blasphemie in der Kunst aus. Auf Instagram ist die Empörung groß: "Unglaublich, wie unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit der christliche Glaube in den Dreck gezogen wird", "Was hat das mit Kunstfreiheit zu tun? Die Selbstverständlichkeit, mit der Gottes Sohn und seine Erlösungstat verhöhnt werden, zeigt, wie verloren die Welt ist und dass sie brennen wird wie einst Gomorrha". 

Eine andere Stimme hingegen weist völlig zu Recht darauf hin, dass es sich weder bei der Inszenierung noch bei den Reaktionen um etwas genuin Neues handelt: "Geschmacklose Inszenierungen hat es schon immer gegeben. Aber es gibt auch Grenzen der künstlerischen Freiheit. Ja, es gab schon immer geschmacklose Inszenierungen, aber es gab auch schon immer neue Theaterstücke, Opern, Bücher oder Kunstwerke, die sich genau diesem Vorwurf der Blasphemie stellen mussten und bei ihrer Veröffentlichung mit einer Salve des Hasses überzogen wurden."

Von Skandal zu Erfolg

Oscar Wildes "Salome" ist dafür ein gutes Beispiel. Das Stück wurde 1896 in Frankreich uraufgeführt, da es in England von der viktorianischen Zensur verboten wurde.  

Auch in der von Richard Strauss vertonten Opernfassung, vertont von Richard Strauss,cheiterte das Stück zunächst an der Zensur. Aus religiösen und sittlichen Gründen wurde die Darstellung der neutestamentlichen Geschichte verboten, weil sie die "perverse Sinnlichkeit, wie sie in der Gestalt der Salome verkörpert ist", zeige. So wurde die Oper in Wien verboten und in Dresden aufgeführt. Sie wurde ein großer Erfolg, Salome eine Kultfigur und Strauss danach so reich, dass er sich eine Villa kaufen konnte. Der große Erfolg also durch den Skandal.

 Nicht anders bei "Sancta". Seit der ersten Schmähkritik sind alle weiteren Aufführungen ausverkauft. 

Sex und Kirche

Auch Wagners Oper "Tannhäuser" musste sich bei ihrer Uraufführung und bis heute immer wieder gegen den Vorwurf der Blasphemie wehren. Sie wurde 1861 wegen ihrer Themen Erlösung, Sünde und heidnische Sexualität sehr kontrovers aufgenommen. Vor allem die Darstellung des Venusberges galt als blasphemisch. 

Und heute? Im russischen Nowosibirsk zum Beispiel wurden 2015 Intendant und Regisseur wegen Schändung religiöser Symbole angeklagt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.  

In Deutschland wurde 2013 die Dortmunder "Tannhäuser"-Inszenierung von Kay Voges als blasphemisch bezeichnet.  Die Verbindung einer christlichen Darstellung mit freizügigen Sexualpraktiken scheint dabei häufig im Zentrum der Vorwürfe zu stehen und die größte Empörung hervorzurufen. Doch genau mit diesem Umgang von Sexualität und Glaube wurde "Sancta" von Anfang an beworben. Es soll "Grenzen ausloten und lustvoll überschreiten" und über den verschämten Umgang mit der Sexualität von Frauen in der Kirche aufklären.

Zensur und Kunst-Kritik

Und um noch ein moderneres Beispiel zu nennen, ohne den sexuellen Aspekt, sei ein Blick auf "The Life of Brian" geworfen. Nach dem Erscheinen des Films gab es nicht nur heftige Vorwürfe und Protestaktionen verschiedener christlicher Gemeinschaften. In England blockierten 39 lokale Behörden die Ausstrahlung des Films oder verlangten zumindest eine Altersfreigabe ab 18 Jahren.

In Norwegen, Irland und ein paar amerikanische Staaten wurde der Film jahrelang ganz verboten. In Deutschland gehört er zu den insgesamt 700 Filmen, die an Karfreitag nicht im Fernsehen gezeigt werden dürfen. Bis heute zählt er zu den umstrittensten Filmen überhaupt, wird aber inzwischen nicht nur in Schulen, sondern besonders im Religionsunterricht gerne gezeigt. 

Um einige weitere bekannte Beispiele zu nennen, die alle mit genau denselben Einwänden konfrontiert wurden: Das Musical "Jesus Christ Superstar" (1971), der Roman "Der Name der Rose" (1980), "The Da Vinci Code" (2003), Martin Scorseses "Die letzte Versuchung Christi" (1988), "Der Exorzist" (1973) und viele mehr. Natürlich kann man all diese Werke nicht über einen Kamm scheren, und natürlich reicht das Spektrum von seriöser Kritik bis hin zu Drohbotschaften, Hass und Hetze, aber der Vorwurf der Blasphemie ist einfach ein immer wiederkehrendes Motiv der Kunstkritik – und wird es vermutlich auch weiterhin sein.  

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