Festjahr für den "Erfinder" der Reformation

Er ist der große Unbekannte der europäischen Reformationsgeschichte: Martin Bucer (1491-1551). Die evangelische Kirche im Elsass und in Lothringen würdigt den Reformator mit einem Festjahr: Nach seiner Flucht in die frühere Reichsstadt Straßburg im Jahr 1523 schuf er dort eine evangelische Kirchenordnung und führte die Reformation weiter. Die elsässische Metropole an der Ill gilt als ein kulturelles Zentrum und ein Motor der frühen Reformation in Europa.

In Deutschland hingegen fristet der in Sélestat (Schlettstadt) im Elsass geborene Theologe, der auch als "Erfinder" der Reformation gilt, noch immer ein Schattendasein. Ein Trauerspiel sei es, dass man stets aufs Neue erklären müsse, wie wichtig dieser für die evangelische Kirchengeschichte bis heute sei, findet der Heidelberger Kirchenhistoriker Johannes Ehmann. Bucer habe sich gerade in seiner Zeit in Straßburg als Vermittler zwischen lutherischer und reformierter Theologie für die protestantische Einheit hervorgetan, vor allem im Streit um die Bedeutung des Abendmahls.

Vergessen, verdrängt und verfolgt

Doch andere Reformatoren, allen voran Martin Luther (1483-1546), hätten Bucer im Laufe der Zeit aus dem Blick gedrängt, klagt Theologieprofessor Ehmann. Schon sehr früh sei die in religiösen Fragen tolerante Stadt Straßburg besonders durch den Einfluss des einstigen Dominikanermönches zur Reformation übergegangen. Die Zunft der Gärtner wählte Bucer 1524 zum Pfarrer - er blieb fast 25 Jahre. Dann musste er erneut fliehen, ins englische Exil nach Cambridge, wo er auch starb.

Wegen seiner Glaubensüberzeugungen verfolgt, führte Bucer ein rastloses Leben. Schon früh zog er als Priester in das westpfälzische Landstuhl, heiratete eine ehemalige Nonne, wurde daraufhin vom Speyerer Bischof exkommuniziert. Zuflucht fand er 1522 auf der Ebernburg an der Nahe und im elsässischen Wissembourg (Weißenburg), bevor er nach Straßburg kam.

Im Jahr 1539 handelte Bucer im nordhessischen Ziegenhain einen Kompromiss im Streit darüber aus, wann Protestanten getauft werden sollen: die Kindertaufe blieb, Heranwachsende sollten aber zusätzlich ein Taufbekenntnis ablegen - die Konfirmation war geboren.

Guter Redner, schlechter Schreiber

Als Reformator in Straßburg habe Bucer ein evangelisches Gemeindeleben aufgebaut, das durch Bibelarbeit und diakonische Hilfe für bedürftige Menschen geprägt gewesen sei, sagt der ehemalige elsässische Kirchenpräsident Marc Lienhard. Dass Bucer einem breiteren Publikum, besonders in Deutschland, kaum bekannt sei, führt der Straßburger Kirchenhistoriker Lienhard auch auf dessen wenig lesefreundlichen Schreibstil zurück. "Bucer war sehr gut im Reden, aber weniger gut im Schreiben."

Nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) habe die evangelische Welt den Vermittlungstheologen Bucer, der mit Reformatoren in ganz Europa im Briefwechsel stand, "nicht mehr gebraucht", sagt Kirchenhistoriker Ehmann. Straßburg mit seinem evangelischen Münster wurde schließlich um 1580 eine Hochburg der Lutheraner - bis zur Rekatholisierung 1681.

Erinnerung an "oberdeutschen Reformator" 

Erst spät, nach 1945, habe die Bucer-Forschung zaghaft eingesetzt, berichten Ehmann und Lienhard. Von dem "deutschen Reformator" Bucer aus Straßburg hätten viele Franzosen und Deutsche nach leidvollen Kriegserfahrungen lieber die Finger gelassen.

Auch heute würden dessen Schriften kaum gelesen, sagt Ehmann. Doch die Kirchen am Oberrhein - im Elsass, der Pfalz, Baden und in der Nordschweiz - sollten den aus dem Blick geratenen Grenzgänger in Ehren halten: als "oberdeutschen Reformator".

Wachsende Sprachbarrieren und auch eine politische Abkühlung zwischen Frankreich und Deutschland erschwerten ein gemeinsames Erinnern an Bucer, bemerkt Alt-Kirchenpräsident Lienhard. Der Mitverfasser der Leuenberger Konkordie, die vor 50 Jahren eine Kirchengemeinschaft zwischen den lutherischen, unierten und reformierten Kirchen Europas gründete, sagt: "Die Kirchen müssen ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit wachhalten."

Zur Person: Martin Bucer

  • 11. November 1491: Martin Bucer wird in der Freien Reichsstadt Schlettstadt (Sélestat) im Elsass geboren.
  • 1507: Er tritt als Novize ins Dominikanerkloster ein und legt 1508 das Mönchsgelübde ab.
  • 1510: Zulassung zum philosophischen Grundstudium, Diakonweihe.
  • 1515/16: Priesterweihe.
  • 1517: Zulassung zum Generalstudium und Immatrikulation in Heidelberg.
  • 1518: Erste Begegnung mit Martin Luther.
  • 1520: Entschluss, das Kloster zu verlassen.
  • 1521: Entbindung von seinen Ordensgelübden, Bucer wird Weltpriester.
  • 1522: Im Mai zieht Bucer nach Landstuhl, im Sommer heiratet er die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen, im November Umzug ins elsässische Weißenburg. Der Theologe wird vom Speyerer Bischof exkommuniziert.
  • 1523: Bucer zieht nach Straßburg, wo er 1524 Bürger wird und rund 25 Jahre als Pfarrer der Stadt angestellt ist.
  • 1525: Bucer beginnt, zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli im Abendmahlstreit zu vermitteln.
  • 1529: Marburger Religionsgespräch unter anderem über die Rolle des Abendmahls mit Luther und Zwingli.
  • 1536: Die Wittenberger Konkordie wird beschlossen und damit eine Einigung im Abendmahlstreit, an der die Schweiz und Konstanz nicht beteiligt sind.
  • 1539: "Geburt" der Konfirmation: Bucer erzielt im nordhessischen Ziegenhain im innerprotestantischen Streit um die Taufe einen Kompromiss: Die Kindertaufe bleibt, Heranwachsende sollen zusätzlich ein Taufbekenntnis ablegen.
  • 1540/41: Religionsgespräche zwischen Protestanten und Katholiken.
  • 1542: Bucer kommt nach Bonn, um Reformen im Kölner Erzbistum zu unterstützen.
  • 1546/47: Schmalkaldischer Krieg von Kaiser Karl V. gegen die protestantischen Reichsstände Hessen und Sachsen, die evangelische Seite verliert. 1548 erlässt Kaiser Karl V. das Augsburger Interim, das die Rekatholisierung protestantischer Gebiete vorbereitet.
  • 1547: Straßburg verweigert Bucer die Druckerlaubnis.
  • 1549: Bucer wird entlassen und geht ins Exil nach England.
  • Nacht zum 1. März 1551: Tod in Cambridge.

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