Nach Ausgrabungen des Südtiroler Benediktiners Bargil Pixner im Jahr 1987 meinten viele, die Ruinen von Bethsaida seien endlich gefunden – unter dem Hügel et-Tell. Auf Deutsch bedeutet der Name des Dorfs, aus dem Petrus stammte, allerdings "Haus des (Fisch-)Fangs". Dass et-Tell zwei Kilometer vom See Genezareth entfernt liegt und noch dazu auf einem Hügel, wollte dazu nie so recht passen. Man behalf sich mit Hypothesen: Erdplattentektonik habe Bethsaida in den vergangenen 2000 Jahren angehoben, der Spiegel des Sees sei gesunken, das Jordandelta habe sich durch Ablagerungen nach Süden verschoben.
Mit derlei Theorien konnten sich andere Archäologen aber nie anfreunden. Zudem stieß man in et-Tell zwar auf eindrucksvolle eisenzeitliche Funde, aber auf wenig, was auf die Zeit der Römer hinweist. Sie favorisierten Orte wie el-Araj oder Massadye, die beide noch heute direkt am See liegen. Das Problem war nur: Probegrabungen ergaben dort kaum Funde vor der byzantinischen Zeit, also aus der Antike.
Nur eine Stadt hat eine Therme
Nach Ansicht der Historiker wurde jedoch das jüdische Fischerdorf Bethsaida zur römischen Stadt Julias ausgebaut – und zwar zu Jesu Lebzeiten von Herodes Philippos (gestorben 34 n. Chr.), Tetrarch der Gaulanitis und Sohn von Herodes dem Großen, jenem jüdischen König von Roms Gnaden, den auch Bibelleser gut kennen. Der jüdische Historiker Josephus Flavius (37/38-100) schrieb in seinem Geschichtswerk: "Philippus (...) erhob dann den Flecken Bethsaida, der am See Genezareth lag, zum Rang einer Stadt, verschaffte derselben Einwohner und Einnahmequellen und nannte sie nach des Caesars Tochter Julias." (Jüdische Altertümer; 18, 2) Die Ortsnamen-Schmeichelei galt Julia (39 v. Chr.-14 n. Chr.), Tochter des römischen Kaisers Augustus, die als schön, gebildet und trinkfest in die Geschichte eingegangen ist.
Der württembergisch-amerikanische Ingenieur und Amateurarchäologe Gottlieb Samuel Schumacher (1857-1925) war es, der el-Araj als Ort Bethsaidas als Erster vorschlug. Der Sohn Tübinger Amerika-Auswanderer war als Kind mit seinen Eltern in die pietistische Templer-Kolonie in Haifa gekommen. Schumachers Bethsaida-Vorschlag liegt heute in einem Naturschutzgebiet und ist wenig erforscht. Im "Majrase-Beteha (Bet Tsayda Valley) Nature Reserve" verbinden sich zahlreiche Bachläufe, die von den Golanhöhen herunterführen, mit dem Jordandelta zu einem Feuchtgebiet.
Die Hinweise des Willibald von Eichstätt
Genau hier sind nun die Archäologen Mordechai Aviam vom Kinneret College und Professor R. Steven Notley vom US-amerikanischen Nyack College zwei Meter unter einer byzantinischen Ebene auf eine reiche spätrömische Schicht gestoßen. Sie enthielt nicht nur Scherben und Münzen aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr., sondern auch das Heizsystem und den Mosaikboden einer luxuriösen Therme. Für die Archäologen ist das der schlagende Beweis: "Ein einfaches Dorf hätte kein aufwendiges Badehaus gehabt", argumentieren Aviam und Notley.
Auch zu weiteren Angaben des Josephus würde all das gut passen. In seiner Autobiografie beschreibt der jüdische Historiker, wie er im Verlauf des jüdischen Aufstands die Verteidigung von Bethsaida/Julias organisierte. Von einem befestigten Lager ein "Stadion" entfernt (rund 200 Meter) von der Stadt und in der Nähe des Jordan ist dabei die Rede. Von einem Hinterhalt in einem Flusslauf, in den er die Römer geführt habe, berichtet Josephus. Und wie sein Pferd im schlammigen Untergrund gestürzt sei und er sich die Hand gebrochen habe. Nur wenig später kam es mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels zur folgenreichsten Katastrophe für das antike Judentum.
Irreführende Schlagzeilen
"Home of Jesus’s Disciples Discoverd" – in ihren Schlagzeilen spielten HaAretz, Newsweek und andere Medien mit der Doppeldeutigkeit des englischen Worts "Home", das Heimat und Haus bedeuten kann. Auf ein jüdisches Fischerdorf gebe es in el-Araj aber bisher keine archäologischen Hinweise, betonte der et-Tell-Grabungsleiter Rami Arav. Dafür elektrisiert ein anderer Fund die Archäologen: Mauerwerk aus dem 5. Jahrhundert – und Mosaiken aus vergoldetem Glas. Ein Hinweis auf eine byzantinische Kirche, und zwar auf eine "bedeutende, kostbar ausgeschmückte", so Notley.
Das wiederum würde sich mit den Berichten des englisch-bayerischen Missionars Willibald von Eichstätt decken. Der bereiste um das Jahr 725 das Heilige Land und berichtete, in Bethsaida stehe eine Kirche genau dort, wo sich einst das Haus der Apostel Petrus und seines Bruders Andreas befunden habe.
Willibalds Bericht belegt, dass es vor der Zeit der Kreuzzüge und der Islamisierung noch eine lebendige Erinnerung an die Lage Bethsaidas und seine Verbindung mit der Jesusgeschichte gab. Aber entsprechen die neuen Funde dem Ort, den der spätere Bischof von Eichstätt einst besuchte? Das können – wenn überhaupt – erst weitere Grabungen und Funde ergeben. Aber die Chancen dafür scheinen nicht schlecht zu stehen.