Herr Nuhr, Satiriker spitzen meistens Dinge zu – Sie dagegen versuchen in Ihrem neuen Buch, die allgemeine Hysterie in unserem Land zu glätten. Wie schwer fiel Ihnen dieser Rollentausch?

Dieter Nuhr: Gar nicht, Gelassenheit entspricht meinem Charakter. Ich habe Ruhepuls 49. Ich bin ein eher ausgleichender Mensch und neige zur Deeskalation. Allerdings lösen gerade Ruhe und Besonnenheit heutzutage besondere Aggression aus. Wer vor dem Sprechen nachdenkt und dann nicht ständig in Panik mitschreit, gilt als polarisierender Provokateur. Hysterische Zeiten halt.

Wann ist den Deutschen Ihrer Meinung nach das letzte bisschen Optimismus abhanden gekommen und hat sich zu dieser teils depressiven Stimmung verkehrt, die Sie beschreiben?

Nuhr: Das muss vor meiner Zeit gewesen sein. Man hat mir in meinem Leben eigentlich ständig irgendeinen Weltuntergang versprochen, der dann nie eintrat: Waldsterben, Ozonloch, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe sowie Pferd in der Lasagne und Bettwanzen. Irgendwie ging es dann doch immer weiter. Man kann als abwägender Mensch nicht mehr beurteilen, wann es wirklich eng wird, wenn einem jede Flatulenz als ultimative Katastrophe verkauft wird. Wie soll man da noch beurteilen, wie die Lage wirklich ist? Da Medien das Sensationelle gegenüber dem Alltäglichen bevorzugen, wird sich das auch nicht ändern.

In Ihrer ARD-Sendung "Nuhr im Ersten" haben Sie regelmäßig Gelegenheit, Positionen zu vertreten, die man auch als "politisch unkorrekt" ansehen kann. Wie empfinden Sie selbst Ihre Freiheit, das "Sagbare" vom "Unsagbaren" unterscheiden zu dürfen?

Nuhr: Ich hatte es immer für die Aufgabe des Satirikers gehalten, Standpunkte einzubringen, die nicht jeder hat. Das war offenbar ein Missverständnis. Das Recht auf Meinungsfreiheit galt bei Linken, Rechten und Religiösen schon immer nur für die eigene Meinung. Zweifler gelten heute wieder als Ketzer. Bin gespannt, wann die Inquisition wieder aufmacht. Dann werde ich wohl aufhören müssen. Bis dahin entscheide ich allein, was ich sage. Im Moment fühle ich mich also vollständig frei, nur häufig nicht verstanden.

Wovor muss man als Kabarettist mehr Angst haben – vor der Nazi-Keule, dem Shitstorm oder dass keiner lacht?

Nuhr: Erstens: Der Shitstorm, das habe ich indessen gelernt, ist egal, er bleibt ja meist innerhalb der Echokammer. Die Leute denken, dass ihr Proteststurm überall gehört wird, in Wirklichkeit wird er aber nur von denen wahrgenommen, die eh alle dieselbe Meinung haben. Zweitens: Als Nazi wurde ich auch schon beschimpft, und zwar von Erdogananhängern, die jeden Kritiker Erdogans für einen Türkenfeind, mithin also einen Nazi halten. Das ist einfach nur noch irre. Und drittens: Wenn keiner mehr lachen würde, wäre das ernsthaft Grund zur Sorge. Das ist aber nicht der Fall.

Sie sprechen an vielen Stellen den teils ambivalenten Umgang mit dem Begriff "Toleranz" gegenüber Muslimen an. Wieso tun wir uns so schwer damit, einen konsensfähigen Ton in der Islam-Kritik zu finden?

Nuhr: Weil viele Menschen sich weigern zu akzeptieren, dass es Probleme gibt, für die es keine Lösung gibt. Widersprüche werden nicht wahrgenommen, sondern ausgeblendet. Beispiel: Viele sind für Gleichberechtigung von Frauen und selbstverständlichen Umgang mit Transsexuellen, treten aber gleichzeitig für massenhafte Einwanderung von Fremden ein, obwohl sie wissen, dass eine nicht geringe Anzahl dieser Fremden auf Basis ihrer Kultur Schwule und Transsexuelle verachtet und Frauen für dem Manne untertan hält. Da platzt dann schon mal der Schädel. Alice Schwarzer hat schon vor 15 Jahren auf diesen Widerspruch hingewiesen und wird seitdem als Rechte beschimpft. Das ist einfacher, als Widersprüche im eigenen Denken zu erkennen.

Zwischendurch gibt’s dann sogar noch den Versuch eines Gottesbeweises – wie ernst ist der gemeint?

Nuhr: "Von nix kütt nix" sagt man im Rheinland. Das ist sehr naturwissenschaftlich gedacht. Den Urgrund, warum etwas ist, hat noch niemand ergründet. Deswegen geben viele dieser ersten Ursache den Namen Gott. Wie der aussieht, weiß allerdings keiner. Einige glauben aber, diesbezüglich Bescheid zu wissen und töten dann die, die das Ganze anders sehen. Der Mensch ist rätselhaft.

Sie waren in Ihrer Jugend ja auch mal Messdiener. Inwieweit hat Sie diese Zeit in Ihrer heutigen Sicht auf Religion und Christentum geprägt?

Nuhr: Männer in wallenden Gewändern, Qualm, Orgelmusik, pathetisches, symbolschwangeres Deklamieren. Mir war das irgendwie zu theatralisch. Das könnte insofern meinen minimalistischen Bühnenstil erklären.

Welche Lehren aus der Bibel fallen Ihnen ein für das "Überleben in hysterischen Zeiten"?

Nuhr: Schon in der Bibel gibt es das Gerede von Apokalypse und Jüngstem Gericht. Ich habe daraus gelernt, dass man nicht alles glauben soll, was gedruckt wird.

BUCH-TIPP

Dieter Nuhr: Gut für dich! Ein Leitfaden für das Überleben in hysterischen Zeiten. 
Bastei-Lübbe-Verlag Mülheim 2019, 272 Seiten, 15 Euro.