Ein "edler Geist" sei der Geyer gewesen, der "kühnste Heerführer der Franken", "der schönste Held des ganzen Kampfes": So schrieb es der Historiker Wilhelm Zimmermann (1807-1878) im Jahr 1841 in seinem Standardwerk "Allgemeine Geschichte des Großen Bauernkrieges". Dieser Florian Geyer aus dem unterfränkischen Giebelstadt, der von etwa 1490 bis 1525 lebte, hatte seine adeligen Privilegien als Ritter aufgegeben und sich als Führer des "Schwarzen Haufens", einer Art frühem Elitekorps, auf die Seite der aufständischen Bauern geschlagen. Zimmermanns Analyse lautete: Florian Geyer "glaubte, wenn das Volk frei werden sollte, müssten der Adel wie die Pfaffen den Bauern gleichgemacht werden".

Doch Zimmermann war selbst ein Fürstengegner und Radikaldemokrat in den revolutionären 1840er-Jahren, er charakterisierte den Ritter nach seinem Geschmack und idealisierte ihn als Kämpfer für Gleichheit und Gerechtigkeit. Ganz anders schauen heutige Historiker auf die Figur: Ein Warlord sei der Geyer gewesen, ein Fehde-Unternehmer, ein Raubritter mit rohen Gesellen.

Kampf gegen Fürsten in Geyers eigenem Interesse?

Sicher ist, dass das späte 15. Jahrhundert eine Zeit des Umbruchs war. Das Heilige Römische Reich, ein Flickenteppich aus über 300 Klein- und Kleinststaaten, entwickelte laut dem Würzburger Historiker Matthias Stickler erstmals "eine moderne Staatlichkeit" mit staatlichem Gewaltmonopol. Das war schlecht fürs Geschäft der Ritter, die sich mit der Beute aus Raubzügen finanzierten. So lag der Kampf gegen die Fürsten wohl auch in Geyers eigenem Interesse, erläutert Stickler, der als Professor an der Uni Würzburg lehrt.

Über 300 Jahre lang war der Ritter für Historiker uninteressant, bis Wilhelm Zimmermann ihn 1841 durch die Aufnahme in sein 1.200-seitiges Werk adelte. Friedrich Engels (1820-1895) wiederum, mit Karl Marx (1818-1883) Vordenker des Kommunismus, nahm sich Zimmermann zur Vorlage für seine eigene, 1850 veröffentlichte Bauernkriegsgeschichte. Er beschrieb Florian Geyer nüchterner: als verlässlichen, harten, unnachgiebigen Kämpfer. Engels' "Der deutsche Bauernkrieg" gehörte 100 Jahre später zum geistigen Fundament der DDR. Der selbsterklärte Arbeiter- und Bauernstaat erhob damit die Geyer-Geschichte zu einem identitätsstiftenden Staatsmythos, schreibt der Potsdamer Historiker Matthias Asche, Professor für Allgemeine Geschichte der Frühen Neuzeit an der dortigen Uni.

Durch Zimmermanns und Engels' Werke - laut Asche in der DDR immer wieder nachgedruckt bis 1989 - war der unterfränkische Ritter so präsent, dass ein deutscher Großdichter ihn als Stoff entdeckte: Gerhart Hauptmann (1862-1946), der Literaturnobelpreisträger von 1912. Das Deutsche Theater in Berlin führte 1896 seine Tragödie "Florian Geyer" auf: Das Stück fiel bei Publikum und Kritik durch. Aber fortan blieb der idealisierte Geyer im Gespräch. Um 1920, in der jungen Demokratie, verschaffte die Bündische Jugend ihm den endgültigen Durchbruch. "Wir sind des Geyers Schwarzer Haufen" hieß der Hit. Die Melodie ist lagerfeuertauglich, das Lied bis heute in Gebrauch - auch bei Neonazis oder Reichsbürgern.

Wie die Nazis Geyer vereinnahmten

1924, ein Jahr nach dem Hitler-Putsch in München, schrieb der unterfränkische Mundartdichter Nikolaus Fey (1881-1956) schließlich das "Bauernfreiheitsspiel" mit dem Titel "Florian Geyer". In Giebelstadt, Geyers Herkunftsort, wurde es 1925 uraufgeführt. Das Stück - aus heutiger Sicht eine bräsige Blut-und-Boden-Sülze - war ein Erfolg. Bis 1938 wurde es alle Jahre gespielt, auf einer Bühne vor der Ruine des Geyer-Schlosses. Der Dichter hatte einen Geyer konstruiert, in den die Nazis einen Propheten Adolf Hitlers hineininterpretieren konnten.

Laut der Historikerin Catrin Müller von der Berliner Humboldt-Universität bekam das Geyer-Spiel deshalb "in ungewöhnlich hohem Maße Aufmerksamkeit und Unterstützung durch die Gauleitung der unterfränkischen NSDAP und wurde (...) zu einem der Hauptereignisse im Jahreslauf der nationalsozialistischen Veranstaltungen in Unterfranken." In der NS-Propaganda erschien Hitler als siegreicher Vollender des Geyer’schen Kampfes. Die NSDAP machte das Freilichtspiel zu einer Pflichtveranstaltung für Volksgenossinnen und -genossen und zum Ziel von "Kraft durch Freude"-Fahrten. Unter der Nazi-Prominenz, die alljährlich im Publikum saß, war im Jahr 1936 auch Heinrich Himmler, der "Reichsführer SS".

Auch als Namensgeber war Geyer gefragt - bei Nazis wie Kommunisten gleichermaßen: 1944 benannte die SS ihre 8. Kavalleriedivision nach Geyer, die unter anderem am Massaker an 23.000 Jüdinnen und Juden in Ungarn und Weißrussland beteiligt war. Die DDR taufte ihr Grenzregiment 3 "Florian Geyer". Historiker Asche berichtet, dass das Geyer-Lied zum offiziellen Liedgut der NVA gehörte - genauso, wie schon bei Wehrmacht und SS. "Universell vermittelbar" sei der Ritter gewesen. Auch zahlreiche Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) benannten sich nach ihm, zwei Siedlungen in Thüringen und je eine in Sachsen und Sachsen-Anhalt trugen seinen Namen. Heute gibt es rund 70 Florian-Geyer-Straßen in Deutschland, knapp zwei Drittel von ihnen auf dem Gebiet der früheren DDR.

Bizarrster Einsatz des Geyer-Mythos

Der bizarrste Einsatz des Geyer-Mythos stammt aber wohl aus Russland. Der Nahost-Experte Andreas Umland berichtet von einem Zirkel im rechtsextremen Intellektuellenmilieu, der 2011 den "Konzeptionellen Klub Florian Geyer" gründete. Angeführt wurde dieser Klub vom "berüchtigten Islamisten und bekennenden Antiwestler Gejdar Dshemal", so Umland. Aus Verlautbarungen des Klubs schließt der Nahost-Experte, dass "gezielt mit der doppelten historischen Referenz von 'Florian Geyer' gespielt wird" - mit dem Namen des Bauernkriegers und der SS-Division. Ob der Klub noch aktiv ist, weiß Umland nicht. Die Webseite jedenfalls gibt es nicht mehr.

In der Nacht auf den 10. Juni 1525 soll Florian Geyer im Gramschatzer Wald bei Würzburg ausgeraubt und erstochen worden sein. Sein Leichnam wurde angeblich nie gefunden, eine offizielle Grabstätte gibt es nicht.

Die Bauernkriege und der Ritter Geyer

DIE ERSTEN BAUERNAUFSTÄNDE gegen die weltliche und kirchliche Obrigkeit brachen 1524 aus, 1525 organisierte sich der Aufstand zunehmend. Schwerpunkte der Bauernkriege waren der süddeutsche Raum mit Schwaben, Franken, Sachsen, Hessen und Thüringen sowie Teilen der Schweiz und Österreichs. Im März 1525 formulierten Vertreter der aufständischen Bauern in Memmingen die "Zwölf Artikel", die heute neben der Magna Carta als früheste schriftliche Forderungen nach Freiheitsrechten gelten. Zentral war der Wunsch nach Religionsfreiheit, Befreiung aus der Leibeigenschaft, Rechtssicherheit und Gemeinwohl.

FLORIAN GEYER VON GIEBELSTADT war ein fränkischer Reichsritter, der während der Bauernkriege von 1525 als Anführer des "Schwarzen Haufens" mehrere unterfränkische Städte, darunter Rothenburg ob der Tauber, einnahm. Seine Männer hatte Geyer auf eigene Kosten mit schwarzen Uniformen ausgestattet, die der Truppe den Namen gaben. Schon 1517 war Geyer aufgrund eines Rechtsstreits mit dem Stift Neumünster aus der katholischen Kirche exkommuniziert worden; seitdem war er dem Klerus feindlich gesonnen.

Sein Ziel war eine Reichsreform, die die Privilegien von Adel und Klerus abschaffen und so "ein Reich der Gerechtigkeit" befördern sollte, schreibt das Literaturportal Bayern. Als "moralische Grundlage" dafür diente ihm die Lehre Martin Luthers, dem er 1523 in Wittenberg begegnet war. Geyers Bauernhaufen wurde 1525 vernichtend geschlagen. Auf seinem Rückzug soll der Ritter in der Nacht auf den 10. Juni im Gramschatzer Wald von Knechten seines Schwagers Wilhelm von Grumbach ermordet worden sein.

MIT DEN FLORIAN-GEYER-FESTSPIELEN erinnert das unterfränkische Giebelstadt seit 1980 jedes Jahr an seinen berühmt-berüchtigten Ahnen. An drei Wochenenden im Juli und August 2025 finden die Ritterspiele diesmal mit dem Titel "Mitten ins Herz" vor der Ruine des Geyer-Schlosses statt.

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