Seit über 40 Jahren führt Sabine Rogg Gäste durch ihre Heimatstadt Memmingen. Die 65-Jährige war als Kennerin der Historie auch am umfangreichen Programm beteiligt, mit dem in diesem Jahr dem 500-jährigen Jubiläum der 12 Artikel, der wichtigsten Schrift des Bauernkriegs, gedacht wird. Die erneute Beschäftigung mit den bekannten Themen hat die städtische Kulturreferentin zum Nachdenken angeregt.
Am 16. März wurde die Ausstellung "Projekt Freiheit – Memmingen 1525" des Hauses der Bayerischen Geschichte eröffnet, die bis zum 19. Oktober Besucherinnen und Besucher in die Stadt locken soll. "Das wird spannend. Vor allem, weil bundesweit in diesem Jahr an den Bauernkrieg erinnert wird und sich die Orte, an denen einschneidende Begebenheiten stattfanden oder Protagonisten lebten, mit Aktionen beteiligen", meint Rogg. Ein bisschen Wettbewerbscharakter hat es also anno 2025 schon, das Buhlen um die Aufmerksamkeit der Gäste.
Und doch hat Memmingen mit seinen 12 Artikeln, der bedeutenden, frühen Forderung nach bürgerlichen Freiheitsrechten, eben die zentrale Schrift zu bieten. Mit der Kramerzunft noch dazu die originale Versammlungsstätte der aufständischen Bauern am Memminger Weinmarkt.
Historischer Schauplatz der Bauernrechte
Das charakteristische Gebäude wird heute noch genutzt als Haus der Kreishandwerkerschaft. Innen fühlt man sich an ein gewöhnliches Bürogebäude erinnert. Und die Zunftstube, in der einst die 12 Artikel verhandelt wurden, erscheint auch eher unscheinbar, wäre da nicht die original erhaltene Kastendecke, die auf das Alter des Raums verweist. Die Stube wird als authentischer Ort ebenso Schauplatz der Landesausstellung wie das dem Dekanat gehörende Dietrich-Bonhoeffer-Haus.
Dass die Vertreter der oberschwäbischen Bauern zur Beratschlagung ihrer Anliegen und einer Stellungnahme gegenüber dem Schwäbischen Bund sich ausgerechnet hier zu einer"christlichen Vereinigung zusammenschlossen und neben den Artikeln auch noch die Bundesordnung verabschiedeten, hatte vor 500 Jahren einen ganz pragmatischen Grund: Es war der einzige Ort, an dem man die Bauern beraten ließ.
"Das Rathaus in seiner heutigen Form gab es noch nicht, und man hätte seitens der Stadt die Aufrührerischen dort ebenso wenig tagen lassen wie in den Klöstern der Umgebung", sagt Rogg. So fanden die Männer um den städtischen Pfarrer Christoph Schappeler und den Laienprediger Sebastian Lotzer hier geradeso Unterschlupf.
Von der Elite zum breiten Publikum
"Personen, die in der Geschichte einmalig auftauchten und dann wieder verschwanden", meint Rogg, die auch im Vorstand des Historischen Vereins der Stadt Memmingen aktiv ist. Deren Wirken anschaulich zu machen, habe sie sich mit Gleichgesinnten zur Aufgabe gemacht. Unter anderem mit der Histotainment-Führung "Die Magd und die Zwölf Artikel", für die Sabine Rogg in die Rolle von Lotzers Gehilfin schlüpft und szenisch Geschichte erzählen will.
Der Bauernkrieg und die Artike" – das seien über lange Zeit Themen gewesen, die einem eher elitären, wissenschaftlich interessierten Publikum vorbehalten waren. "Bis vor wenigen Jahren hat sich in Memmingen noch keine breite Öffentlichkeit dafür interessiert", sagt Rogg. Das habe sich erst ab dem Jahr 2000 geändert, als erstmals der Memminger Friedenspreis ausgelobt wurde.
Seitdem seien viele neue Gästeführer ausgebildet worden – alleine 14 im vergangenen Jahr, pünktlich zum Jubiläum. Das Jahresprogramm mit Führungen, Vorträgen und Ausstellungen trägt zum großen Teil auch Sabine Roggs Handschrift. "Man muss die Geschichte anschaulich erzählen. Und trotzdem der TikTokisierung der Gesellschaft entgegentreten", meint sie.
Wirtschaftliche Interessen hinter den Freiheitsrechten
Dazu gehöre auch, zu verdeutlichen, dass die Forderungen der Bauern damals keineswegs als reine Friedensbotschaften verklärt werden sollten. "Den meisten ging es in erster Linie darum, ihre persönliche, wirtschaftliche Lage zu verbessern", erklärt Rogg. Den sogenannten Zehnt abzuschaffen sei beispielsweise eine zentrale Forderung gewesen. Jedoch sei das soziale System der Stadt Memmingen nicht zuletzt auf diesen Zehnt mit aufgebaut gewesen. Oder das freie Roden von Wäldern rings um die Stadttore – "schon damals war Holz als Rohstoff knapp".
Wenn das Jubiläum vorbei ist, hofft Sabine Rogg auch, dass nicht nur die Bedeutung von Freiheitsrechten der Menschen den Gästen Memmingens klar geworden ist. "Aus der Geschichte kann man auch lernen, dass immer möglichst viele Interessen miteinander verbunden werden müssen, um länger anhaltenden Frieden zu erlangen."
Mehr zu den Veranstaltungen rund um das Jubiläum "500 Jahre Zwölf Artikel" findet ihr unter diesem Link.
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