Leonard Cohens Song "Hallelujah" erreicht die Herzen vieler Menschen. Der Faszination des Welthits und des bewegenden Lebens des kanadischen Songpoeten Leonard Cohen geht ein neuer Kinofilm nach: "Hallelujah. Leonard Cohen. A Journey. A Song". Auf drei Festivals holte der Film bereits Preise. Nun ist er auch in deutschen Kinos zu sehen. Cohen-Biograf und Sonntagsblatt-Autor Uwe Birnstein hat ihn sich angeschaut.

Gebet, Flehen voller Hadern und Vertrauen

23. Dezember 2013, Auckland in Neuseeland: Ein alter Herr in schickem Zwirn singt vor großem Publikum "Hallelujah". Auf dem Kopf ein edler Hut, um das Handgelenk ein schlichtes Armband mit christlichen Heiligenbildern. Im Hintergrund spielt die Altherrenband, drei Sängerinnen hauchen das Hallelujah mit zurückgenommener Inbrunst in die Mikrofone. Sänger Leonard Cohen geht auf die Knie – der Song wird zum inständigen Gebet, zum Flehen voller Hadern und Vertrauen.

Mit diesem pophistorisch denkwürdigen Moment beginnt der neue Film über Leonard Cohens Leben: Es ist das letzte Konzert des Poeten und Liedermachers. 79 Jahre alt war er da, hatte in den fünf Jahren zuvor 379 Shows in den größten Hallen und Stadien der Welt gegeben. Das Publikum feierte ihn. Cohen nahm den Applaus stets sichtlich gerührt und ohne eitle Allüren an. Der "moderne Minnesäger", wie ihn Freundin Adrienne Clarkson nannte, fuhr seine Lebensernte ein. Die verdanke er nicht nur sich selbst, ließ er die Menschen wissen, sondern himmlischen Mächten. Hör- und spürbar ist das in "Hallelujah" und vielen anderen spirituellen Liedern. Cohens ganzes Leben war eine spirituelle Reise mit Höllenfahrten und Höhenflügen, wie sie wenige andere er- und überleben. Am 7. November 2016 starb er. Die Welt trauerte.

"Zwischen heil und geil"

Dass Cohens Leben filmreif war – davon ist auch das US-amerikanische Filmemacherduo Dayna Goldfine und Daniel Geller überzeugt. Sie haben sein Leben mit einer Mischung aus seltenem Archivmaterial und Interviews mit Weggefährten und Freundinnen Cohens verfilmt. Wie ein roter Faden zieht sich der Song "Hallelujah" durch den Film – jenes Lied, in dem Cohens Lebensthemen Glaube und Sexualität in poetisch tiefsinniger Weise vereint sind – so perfekt, dass es bis heute Menschen im Innersten berührt. "Zwischen Heiligkeit und Geilheit", unkte eine Zeitung und lag damit gar nicht so schief.

"Hallelujah" weckt große Gefühle, ohne oberflächlich zu sein.

"Es spricht einige der primitivsten menschlichen Begierden an und verbindet sie mit etwas, mit dem viele von uns ringen: Spiritualität",

sagt Singer-Songwriterin Brandi Carlile, 45 Jahre jünger als Cohen; der Song habe ihr dabei geholfen, "jung und gläubig zu sein".

Intelligent und geheimnisvoll

Es sind solche aktuellen Interviews, die den Film "Hallelujah" unwiderstehlich machen. Auch Judy Collins kommt zu Wort: Sie Folksängerin hatte Cohen 1967 dazu gebracht, bei einem Benefizkonzert mit ihr auf die Bühne zu gehen. Nach einer Strophe "Suzanne" verließ er panisch die Bühne, kam dann aber zurück und sang es mit Collins im Duett. Die Menschen waren begeistert von dem melancholischen Mann mit der sonoren Stimme.

"Er war intelligent, geheimnisvoll und gefährlich", erinnert sich Judy Collins im Film und beteuert, keine Affäre mit ihm gehabt zu haben. Der Ruf eines Frauenhelden eilte ihm voraus, Liebe und Besessenheit spielten in seinem Leben eine große Rolle – und gingen mit seinem Ruhm eine unselige Allianz ein. Starke Depressionen und Alkoholabhängigkeit waren die Folge. Ohne sein Glaubensfundament hätte Cohen sein Leben schwerlich in den Griff bekommen.

Aus wohlhabender jüdischer Familie

Der Film geht zurück in sein Elternhaus im feinen Montrealer Stadtteil Westmount, wo er 1934 in eine wohlhabende jüdische Familie geboren wurde. Der Vater starb früh, sein Großvater Lazarus wies Leonard in die Welt der Thora und der jüdischen Mystik ein. Die Rituale der Synagoge, besonders die liturgischen Worte und Gebete, faszinierten Leonard Cohen; in seinen Texten versucht er später, ähnlich "heilige" Worte für die Beschreibung des Heiligen zu finden.

"There is a crack in everything, that’s how the light gets in",

"In allem ist ein Riss, durch den das Licht in die Welt eintritt": Diese berühmte Zeile aus Cohens Song "Anthem" spiegelt mystische Motive der jüdischen "Kabbala". – Unendlich große Energie steckte Cohen in den Song "Hallelujah". Seinem Musikerkollegen Bob Dylan sagte er einmal, er habe sieben Jahre an dem Song gearbeitet – "Ich schämte mich, ihm zu sagen, wie lange ich wirklich gebraucht habe", ist Cohen in dem Film schmunzelnd zu hören.

Am Ende gab es mehr als 150 Strophen; in ihnen verbindet er die biblische Liebesgeschichte von König David und Batseba (2. Samuel 11) mit eigenen Erfahrungen von Liebe und Abhängigkeit. "Meine Songs brauchen lange bis zur Vollendung", sagt Cohen im Film, jeder Song sei "ein Geschenk, Gnade, er gehört einem nicht."

Was der Rabbi damit zu tun hatte

Das habe mit "Bath-Kol" zu tun, erklärt dazu Mordechai Finley, Rabbi der Synagoge in Los Angeles, der Cohen angehörte. "Bath-Kol" sei die "weibliche Stimme Gottes, die in Menschen widerhallt. Wenn man bereit ist, schreibt man auf, was sie sagt, dann geht sie wieder." Cohen habe sich der "Bath-Kol" geöffnet; in der ersten Strophe des Liedes "Hallelujah" findet sich diese Erfahrung: Der musikalische König David ist verblüfft darüber, dass er den geheimen AkkordAkkord gefunden hat. König David und Leonard Cohen: zwei fromme Komponisten mit Draht nach oben, die die Kunst der heilsamen Musik beherrschen.

Als Cohen unter großen Mühen "Hallelujah" fertiggeschrieben hat, nimmt er den Song und andere auf. Die Plattenfirma lehnt die fertige Produktion ab, sie sei furchtbar. So etwas würde sich nicht verkaufen. Cohen ist empört und reagierte sarkastisch:

"Ich habe das Gefühl, mir steht eine fantastische posthume Karriere bevor."

Die LP erscheint in einem kleinen Label und droht in Vergessenheit zu geraten. Bob Dylan entdeckt den Song "Hallelujah", spielt ihn einige Male auf Konzerten. Dann wählt der kultige Rockmusiker John Cale ihn aus, macht eine Piano-Ballade daraus. Die wiederum hört der 22-jährige Gitarrist Jeff Buckley; er überträgt sie auf seine E-Gitarre und singt sie als Suchender. In dieser Version wird der Song weltbekannt – und nur wenige wissen zunächst, dass er von Leonard Cohen stammt.

Cohen war derweil in eine tiefe Lebenskrise geraten. Er suchte und fand Heilung in einem Zen-Kloster in den Bergen vor Los Angeles. Der Film zeigt ihn als Mönch bei der Meditation und beim Auszug. Nach fünf Jahren kehrte er zurück in den Alltag und erfuhr: Seine Assistentin war mit seinem gesamten Vermögen durchgebrannt.

Eine bewegende Lebensreise

Cohen musste wieder Konzerte geben. Die Menschen hörten Halleluja und seine anderen alten Songs mit neuer Tiefe interpretiert. Cohen erlebte ein denkwürdiges Comeback. Und der Song "Hallelujah" ließ sich nicht mehr bremsen; als Musik im Hollywood-Familienfilm "Shrek" eingesetzt, wurde er noch bekannter und erhielt in der Version von Rufus Wainwright doppelten Platinstatus.

Seither wird er in unzähligen Versionen gespielt, gerne in Fernseh-Talentshows, bei Hochzeiten, in Kirchen und von Stars wie Bono. Angesichts der anfänglichen Ablehnung der Plattenfirma spüre er einen "Hauch von Genugtuung", gesteht Cohen lächelnd.

2013, nach seinem letzten Konzert, zieht sich Cohen aus der Öffentlichkeit zurück. Mit Nancy Bacal, seiner Freundin seit Schultagen, bleibt er in Kontakt, im Film liest sie einige humorvolle SMS vor, die er ihr geschrieben hat.

Cohens Leben "geht so tief und berührt die eigene spirituelle Reise so sehr, dass man von seiner Reise profitiert", sagt Judy Collins, "das ist das größte Kompliment für einen Dichter oder Songwriter". Diese Lebensreise stellt der neue Film bewegend und ohne Sensationsheischen dar: ein spirituelles Meisterwerk der Leinwand.

 

Hallelujah: Leonard Cohen. A Journey. A Song. USA 2021. 118 Minuten. Kinostart in Deutschland: 17. November