Manche Begegnungen mit Kunstwerken sind folgenreich. Bei Helmut Braun, bei dem in Sachen Kirche und Kunst im evangelischen Bayern die Fäden zusammenlaufen, war es eine Biennale in Venedig 2005. Zwei gegenüber im Wasser liegende Ruderboote morsten sich über eine Lampe am Bug Botschaften zu. "Enamorados" war der Titel, Laura Belém die brasilianische Künstlerin, die diese "Verliebten" in die Kanäle der Lagunenstadt gesetzt hatte.
Eine in ähnlicher Weise vielschichtige und dabei hoch konzentrierte Arbeit, die ihre Umgebung aufnimmt und mit ihr spielerisch in Beziehung tritt, hat Laura Belém mit "The [...] Element" nun auch für die Evangelische Tagungsstätte Wildbad in Rothenburg ob der Tauber geschaffen.
Eine der bekanntesten deutschen Lyrikerinnen der Gegenwart
Stellt man sich neben die alte Pumpe, die Belém im Dorf Tauberzell bei Rothenburg aufgetrieben und ins Innere einer Grotte unterhalb des Eingangsbereichs gestellt hat, steht man im Zentrum einer quadrofonischen Klanginstallation. Man muss gewissermaßen an die Quelle gehen, dorthin, wo das Wasser aus der Pumpe käme (wäre hier denn Wasser), um richtig zu hören. Aus vier Lautsprechern an der Decke, die auf diesen Punkt ausgerichtet sind, erklingen Geräusche und Satzfragmente. Es plätschert und rauscht, Vögel zwitschern, und dazwischen ist die Stimme der Dichterin Nora-Eugenie Gomringer zu hören. Nora Gomringer ist die Tochter des Schweizer Dichters "konkreter Poesie" Eugen Gomringer und eine der bekanntesten deutschen Lyrikerinnen der Gegenwart. In Bamberg leitet sie das Künstlerhaus Villa Concordia. Für die brasilianische Künstlerin hat sie Verse verfasst, die diese in ihrer Installation verarbeitet hat.
Laura Belém, 1974 geboren in Belo Horizonte im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, war von Anfang an fasziniert vom Wasser im Taubertal – vom Flüsschen im Talgrund, aber auch von der Geschichte des seltsam-burgenartigen Wildbads aus dem 19. Jahrhundert mit seiner viel älteren Heilwasserquelle. Belém ist als Künstlerin in ihren Ausdrucksformen experimentierfreudig und hat schon etlich internationale Stipendien und Auszeichnungen erhalten. Brasilien-Fan Braun schlug die Künstlerin dem Wildbad Rothenburg als "artist in residence" für den Sommer 2019 vor. Sie wurde eingeladen (Künstler können sich für das mit 30 000 Euro dotierte Stipendium nicht selbst bewerben, sondern werden von einer Jury ausgewählt), und zusammen mit dem Nürnberger Tontechniker Rüdiger Sturm hat die Brasilianerin im Wildbad-Park an der Tauber Geräusche abgelauscht.
Da ist noch mehr ...
Wer in einer Grotte steht, bewegt sich in einem Zwischenraum zwischen innen und außen. In der Wildbad-Grotte mischen sich nun auch virtuelle und reale Geräusche. In all das sind die Gomringer-Verse eingewebt, die das Element des Lebens beschwören. Ist es das Wasser? Ja, aber da ist noch mehr ...
Mit ihrer Klanginstallation "The [...] Element" hat Laura Belém dem Wildbad einen ganz eigenen Akzent hinzugefügt. Im weitläufigen Park der Tagungsstätte gibt es nun drei Kunstwerke. Man darf sagen: Langsam wird erkennbar, was das Ganze soll. Und dass es durchaus faszinierend werden könnte.
Das Projekt "art residency wildbad" ist auf zehn Jahre angelegt – mindestens. Wenn auch in den kommenden Jahren Künstler Werke auf dem bisherigen Niveau hinterlassen, wird ein Skulpturenpark zeitgenössischer Kunst entstehen, der zumindest für den kirchlichen Bereich ohne Beispiel ist.
Führungen sind in Planung
Noch sind die verstörende "Reisegruppe" aus Epoxidharzfiguren des Nürnberger Duos Böhler & Orendt (2017), der Köhlerofen von Ulrike Mohr aus Berlin (2018) und die Klang-Grotte von Laura Belém zu verstreut im weitläufigen Park; aber je dichter sich das Netz der Kunst im idyllischen Hang am Taubertal künftig spinnt, desto stärker werden auch die einzelnen Arbeiten miteinander in einen Dialog treten. Und desto stärker könnte das Projekt Skulpturenpark zum Selbstläufer werden. Die Beschilderung müsste noch besser werden, damit zufällige Spaziergänger leichter Zugang zu den Kunstwerken finden. Vielleicht lässt sich so auch der Vandalismus bändigen: Schon mehrere Male mussten Böhler & Orendt ihre Figuren reparieren.
Und irgendwann wird das Wildbad auch Führungen anbieten müssen, um den Kunstpark im Park einem interessierteren Publikum zu erschließen. Das finden nicht nur Wildbad-Leiter Wolfgang Schuhmacher sowie Stephan Michels, der das Projekt "art residency" betreut. Noch ist das zwar Zukunftsmusik, aber man kann sie bereits hören. Nicht zuletzt wegen Laura Belém: Wer in der Wildbad-Grotte ihrer Installation "The [...] Element" lauscht, für den beginnen für einen Moment das Innen und das Außen die Grenzen zu verlieren. Fantasie und Realität fangen an zu schweben.
Das ist Kunst.