Seit 2014 wird einmal pro Monat im Spirituellen Zentrum St. Martin in München Sacred Harp gesungen. Von Anfang an dabei war Naomi Kaye-Honova. "Ich bin keine echte Sängerin mit einer super Stimme", sagt die 37-jährige Kalifornierin, die mit Mann und Kindern in der Landeshauptstadt lebt. Doch beim Sacred Harp Singing spielt das keine Rolle: "Es geht um den Spaß und Genuss, ohne Leistungsdruck."

Die erste deutsche Gruppe gründete sich 2011 in Bremen, weitere in Hamburg, Berlin, Köln und München folgten. Die jüngste Gruppe trifft sich monatlich in der Nürnberger St. Egidienkirche. Bei Sacred Harp gibt es weder Chorleiter noch Proben noch Publikum, im Zentrum steht das gemeinsame Singen als Gruppenerlebnis. Der archaische Klang, der dabei entsteht, ist eine Mischung aus Seeräuber-Shanty und Choral, Gänsehautfaktor garantiert.

Sacred Harp Singers in Hollywood

Das hat sich auch Hollywood schon zunutze gemacht: Bei Blockbustern wie "Cold Mountain" oder "Gangs of New York" liefern Sacred Harp Singers den rauen Grundton zum Film. Mit heiligen Gesängen hat Sacred Harp trotz der religiösen Texte eigentlich nichts zu tun: Mit der "Heiligen Harfe" ist die Stimme gemeint – das Instrument, das jedem Menschen in die Wiege gelegt wird. 

Wenn sich die Sängerinnen und Sänger der Münchner Gruppe treffen, teilt sich jeder selbst einer Stimmlage zu. Sopran und Tenor sind dabei häufig mit Männern und Frauen gemischt besetzt. Liederbuch der Gruppe ist das Standardwerk "Sacred Harp", 1844 in den USA erstmals veröffentlicht und seither immer fortgeschrieben. Alle Sänger sitzen sich in einem Quadrat, dem "Square" gegenüber. Wer sich ein Lied aussucht, leitet es – in der Mitte stehend – selbst an.

Gemeinsam die Tradition pflegen

Die Melodie ist mit "Shape Notes" notiert, die das Lesen vom Blatt erleichtern sollen. Ganz so einfach ist das aber auch nicht: "Chorsängern reichen zwei Treffen, aber ich habe etwa ein Jahr gebraucht, bis ich mich gut mit den Noten und Melodien zurechtgefunden habe", erzählt Naomi. Von 14 bis 17 Uhr dauert ein Treffen, bei nur einer Pause ergibt das einen Nachmittag voller Vibration und Klang. Neben dem Singen selbst ist es die Offenheit der "Singers", die Naomi beeindruckt. "Wir haben bei einer Reise von New York nach Kalifornien oft bei Sacred-Harp-Leuten übernachtet und miteinander gesungen." Zu größeren Events reisen Menschen aus vielen Nationen an, um gemeinsam diese Tradition zu pflegen.

Sacred Harp

Sacred Harp in St. Martin in München: In der Regel findet immer am ersten Sonntag im Monat um 14 Uhr ein Singen im Spirituellen Zentrum statt.

Die Nürnberger Gruppe trifft sich in der Regel am dritten Montag im Monat um 18.30 Uhr in St. Egidien.

An der Universität Würzburg bietet die Professorin für Ethnomusikologie Juniper Hill regelmäßig eine Übung in Shape Note Singing an, die auch für Nicht-Studierende offen ist. 

Der YouTube-Kanal von Sacred Harp Bremen bietet Eindrücke von großen und kleinen Singings in Deutschland: www.youtube.com/@sacredHarpBremen

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