Gäbe es evangelische Charts der deutschen Weihnachtslieder, "O du fröhliche" würde sicher auf Platz eins stehen. So reicht es zwar in einer repräsentativen Emnid-Umfrage in ganz Deutschland nur für Platz zwei (siehe Kasten). Doch das Lied wird in evangelischen und katholischen Familien unterm Christbaum gesungen, in evangelischen und katholischen Kirchen, und oft ist es das Abschlusslied im Heiligabend-Gottesdienst.

Die ergriffen-fröhliche Stimmung, mit der die Gottesdienst-Besucher an Heiligabend "O du fröhliche" singen, täuscht über den Hintergrund des Lieds hinweg: Der Dichter Johannes Daniel Falk (1768-1826) hatte in kurzer Zeit vier seiner Kinder verloren. Er schrieb das Lied für arme Waisenkinder. "Welt ging verloren", heißt es darin, doch weiter: "Christ ist geboren, freue Dich, O Christenheit."

Für das Waisenkind aus Sizilien

Falk, geboren am 28. Oktober 1768 in Danzig, wurde als Sohn eines Perückenmachers in ärmlichen Verhältnissen groß. Der Rat seiner Heimatstadt stiftete ihm ein Stipendium für ein Theologiestudium in Halle. Von den Danziger Stadträten soll der Stipendiat mit den Worten verabschiedet worden sein: "Wenn dereinst ein armes Kind an deine Tür klopft, dann wisse, dass wir es sind, die alten, grauen Bürgermeister von Danzig. Weise sie nicht von deiner Tür!"

Doch zunächst einmal widmete sich Falk der weltlichen Fröhlichkeit. Der Dichter Christoph Martin Wieland entdeckte sein poetisches Talent, woraufhin Falk das Theologie-Studium abbrach und bissige Satiren dichtete. Erfolg beim Publikum ermutigte ihn, künftig als freier Schriftsteller und Privatgelehrter der Altertumswissenschaften zu leben. Mit 28 Jahren zog er nach Weimar.

Kurz zuvor hatte er die erst 17-jährige Caroline Rosenfeld geheiratet. Die hübsche Tochter eines halleschen Zollbeamten hatte mütterlicherseits hugenottische Vorfahren. Die Familie wuchs rasch, insgesamt gebar Caroline zehn Kinder und überlebte ihren Mann um 15 Jahre.

Im Aufruhr der Napoleonzeit bewies Falk in Weimar diplomatisches Geschick. Als 1806 nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt französische Truppen plündernd durch die Residenzstadt ziehen wollten, soll ihnen Falk persönlich Einhalt geboten haben. Er sorgte für die Verpflegung der Truppen und bewahrte damit die Stadt vor weiterem Schaden. Der französische Stadtkommandant machte ihn daraufhin zum Dolmetscher und Sekretär. Herzog Carl August ernannte ihn später zum Legationsrat mit festem Jahresgehalt.

1813 jedoch war für Falk ein bitteres Jahr. Innerhalb weniger Wochen verlor er vier seiner damals sieben Kinder durch Typhus. Kurze Zeit später, so heißt es in der Legende, soll ein kleiner, zerlumpter Waisenjunge mit bittenden Augen vor seiner Tür gestanden haben. In diesem Moment habe er sich an die Worte des Danziger Stadtrats erinnert: Er nahm ihn auf und gab ihm Kleider und Spielzeug seiner verstorbenen Kinder.

Diese gute Tat sprach sich herum, und so kamen immer mehr Kriegswaisen in das Haus. Für sie dichtete er das heute so populäre Weihnachtslied "O du fröhliche" - allerdings nur die erste Strophe. Sein Gehilfe Heinrich Holzschuher schrieb später die beiden anderen heute bekannten Strophen.

Im Jahr 1816 soll Falk das "O du fröhliche" geschrieben haben, heißt es im Evangelischen Gesangbuch auf Seite 98 (EG Nummer 44). Doch im vergangenen Jahr gab der Vorsitzende des Johannes-Daniel-Falk-Vereins in Weimar, Paul Andreas Freyer, bekannt, dass das Lied offenbar schon älter ist. Der Kirchenhistoriker Herbert von Hintzenstern hatte recherchiert, dass Falk es vermutlich im Advent 1815 geschrieben hat, damit es dann im nächsten Jahr im Lehrkalender für die Zöglinge seiner Sonntagsschule erscheinen konnte.

In Falks Jahresbericht für 1816 zumindest war "O du fröhliche" schon in der Liste der Lieder erwähnt, die die Kinder auswendig können und singen mussten. Dass es vor 200 Jahren also gesungen wurde, scheint damit belegt.

Das Entstehungsjahr hingegen ist noch unsicher. Denn es fehle nach wie vor die Ur-Handschrift des Texts, sagt Freyer. Der Nachlass von Falk sei in großen Teilen noch gar nicht gesichtet. Es sei also durchaus möglich, dass ein Dokument gefunden werde, das noch genauere Auskünfte geben könnte.

Falk hatte 1813 in Weimar die "Gesellschaft der Freunde in der Not" für verwaiste und verwahrloste Kinder gegründet. Er kaufte später den "Lutherhof" und entwickelte hier eine für seine Zeit völlig neue Pädagogik. "Ohne Kette, ohne Zwang, ohne Schläge" sollten die Kinder aufwachsen, war der Diakonie-Pionier überzeugt. Falk: "Wir schmieden unsere Ketten inwendig und verschmähen die, die man außen anlegt." Er setzte auf eine Pädagogik der Freiheit: "Sie können davonlaufen, aber es läuft keiner davon." Am 14. Februar 1826 starb Falk mit 57 Jahren in Weimar.

Sein bekanntes Weihnachtslied überlebte ihn. Dabei sollte "O du fröhliche" ursprünglich gar nicht auf Weihnachten beschränkt bleiben.

Falk hatte es als Kirchenlied gedichtet, das auch zu Ostern und Pfingsten gesungen werden konnte. "Gnadenbringende Osterzeit", hieß es bei ihm in der zweiten Strophe, die mittlerweile nicht mehr in den Gesangbüchern steht: "Welt lag in Banden, Christ ist erstanden!"

Auch die Melodie hatte ursprünglich nichts mit Weihnachten zu tun. Der kleine Junge, den Falk aufnahm, war ein Waisenkind, das es aus Sizilien nach Deutschland verschlagen hatte. Ihm zuliebe soll Falk nach einem Lied aus seiner Heimat gesucht haben. Er fand es dann in der europäischen Volksliedersammlung von Johann Gottfried Herder: Als "O Sanctissima" sangen sizilianische Fischer die Melodie bei ihrer Arbeit.

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"O du fröhliche" auf Platz zwei

In einer aktuellen Rangliste der beliebtesten deutschen Weihnachtslieder kommt "O du fröhliche" im Jahr 2016 auf Platz zwei. Spitzenreiter ist "Stille Nacht, heilige Nacht", dessen Verse ebenfalls genau 200 Jahre alt sind. Wie das Institut Emnid im Auftrag der Fernsehzeitschrift auf einen Blick ermittelte, mögen 54,8 Prozent der Menschen in Deutschland das Anfang des 19. Jahrhunderts in Österreich entstandene Werk besonders. 43,6 Prozent nannten "O du fröhliche", knapp gefolgt von "O Tannenbaum" mit 43,3 Prozent.

Unter den Klassikern in den Top 10 findet sich als einzige moderne Komposition das Kinderlied "In der Weihnachtsbäckerei" von Rolf Zuckowski. Emnid hatte 1006 Frauen und Männer befragt. Mehrfachnennungen waren möglich. (epd)

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