"Dieser Auftrag ist für unsere Mitarbeiterinnen etwas ganz Besonderes", sagt Gruppenleiterin Susanne Linder. Oberammergau sei nicht weit entfernt und Regisseur Christian Stückl vielen aus Fernsehberichten bekannt. Und schließlich die Stoffreste von Passionskostümen, aus denen Schlüsselanhänger in einer schmalen und einer breiten Variante entstehen: "Von ganz leichter Baumwolle über grobes Leinen hin zu edlem, satingewirktem Material - unsere Schneiderinnen lieben das", erzählt Linder. Immer wieder werde bei der Arbeit darüber gesprochen, wer wohl in welchem Stoff steckt und worum es bei den Passionsspielen geht.
Normalerweise produzieren 22 Mitarbeitende in der Herzogsägmühler Weberei und Textilverarbeitung Baumwollteppiche, Dinkelspelzkissen, Röcke, Handstulpen oder Tischwäsche. Zwischen vier und sechs Frauen mit geistigen oder körperlichen Handicaps arbeiten nun an den Souvenirartikeln für die Passion. Die Anhänger seien auch handwerklich eine Herausforderung für die Schneiderinnen:
"Jeder Stoff hat eine andere Qualität, man muss auf den Fadenlauf und die Platzierung des Musters achten und eigenständig das passende Nähgarn für jedes Stück auswählen", beschreibt die Anleiterin.
Der Auftrag für die Passionsspielsouvenirs kommt aus einer unerwarteten Ecke: Die Oberammergauer Firma "Nitro", die angesagte Snowboards und Winterklamotten entwirft, produziert und in 36 Ländern der Welt vertreibt, hatte für ihr Merchandising-Konzept den Zuschlag der Passionsspiele-Vertriebs-GmbH bekommen. "Wir wollten weg von billigen Souvenirartikeln wie Tassen oder Schürzen", erläutert Geschäftsführer Andreas Aurhammer.
Stattdessen setze man auf nachhaltige und faire Produktion von Shirts, Fleece- und Regenjacken oder eben Schlüsselanhängern. Dazu gehört auch, dass "Nitro" zehn Prozent aus dem Gewinn durch das Passionsspiel-Merchandising an die Jugend-Initiative "Plant for the Planet" spenden will, die weltweit 1.000 Milliarden Bäume für den Klimaschutz pflanzen will.
Die Schlüsselanhänger seien ein typisches Beispiel für "Upcycling".
Aus den Stoffresten der Passionsspiel-Schneiderei entstünden in Herzogsägmühle individuelle Stücke, die "super ankommen, weil sie ein tolles Andenken aus extrem edlen Stoffen sind", wie Aurhammer sagt: "Mit so einem Schlüsselanhänger nimmt man ein Stück Passion mit nach Hause."
Die Diakonie-Werkstätten kannten der Unternehmer und sein Geschäftspartner Tommy de Lago schon von anderen Aufträgen: Immer wieder habe er dort Holz-Deko für "Nitro"-Läden fertigen lassen. Bei einem Besuch in Peiting sei er erstaunt gewesen über den Facettenreichtum: "Die können alles machen - also haben wir gefragt, ob sie dort auch unsere Schlüsselanhänger nähen könnten."
Konnten sie. Im Sommer 2019 übernahmen Susanne Linder und ihre Damen den Auftrag. "Wir haben aus den Stoffen eigene Muster gemacht, die Kosten kalkuliert und schließlich mit der Produktion begonnen", erinnert sich Hannes Heiß, Arbeitsvorbereiter der Herzogsägmühler Werkstätten. Produktionsdruck gebe es nicht: "Wenn 'Nitro' Anhänger braucht, müssen wir schon liefern, können aber die Herstellung auch mit Kräften aus anderen Arbeitsbereiche verstärken", sagt Heiß.
Nach dem wochenlangen Lockdown, der auch die Werkstätten zum Stillstand gezwungen hat, kehren jetzt langsam alle Angestellten wieder an ihre Arbeitsplätze zurück.
"Wir tragen in den Gebäuden Masken und haben Plexiglasscheiben aufgehängt, wo kein Abstand eingehalten werden kann", berichtet Hannes Heiß. Schwierigkeiten mit den Hygieneauflagen gebe es nicht: "Wir sind alle überrascht, wie diszipliniert sich die Mitarbeitenden an die Regeln halten", sagt Susanne Linder.
Doch was passiert jetzt eigentlich mit den schon produzierten Schlüsselanhängern mit dem veralteten Label? "Die verkaufen wir trotzdem - vielen ist es komplett egal, ob da 2020 oder 2022 draufsteht", sagt "Nitro"-Chef Aurhammer. Wer hat schließlich schon ein Schlüsselband, das aus dem Gewand eines Hohen Priesters gefertigt ist?
Vielleicht werden aus der 2020er Serie später sogar Sammelstücke, die an die virusbedingte Verschiebung der Passion erinnern.
"Wir nähen jedenfalls alle 2020er-Label fertig", sagt Hannes Heiß aus Herzogsägmühle. Und dann planen die Schneiderinnen ihren Ausflug nach Oberammergau. Die "Nitro"-Chefs de Lago und Aurhammer haben "ihren" Nähtrupp zu einem Besuch während der Spiele 2022 eingeladen. "Wir wollen eine Führung durch das Passionstheater machen", sagt Susanne Linder. Und anschließend vielleicht stolz an den Verkaufsständen vorbeischlendern, in deren Auslagen die Herzogsägmühler Schlüsselanhänger liegen.