Der Eklat war geplant und perfekt. Im September 2010 besuchte Papst Benedikt XVI. England - und am Straßenrand seiner Autoroute hängen Werbeplakate einer italienischen Eisfirma. Darauf zu sehen: eine schwangere Nonne, die Eis löffelt und dazu der Titel »Immaculate Conception«, übersetzt »unbefleckte Empfängnis« oder wie die Firma lieber übersetzen möchte »tadellose Entwicklung, gute Idee«; die Sache mit dem Eis eben ist doch toll. Weniger toll fand dies der Werberat, der die Werbung wegen der Verletzung religiöser Gefühle verbot. Doch die Firma wollte sich an das Verbot nicht halten. Die Medien berichteten, der Werbeskandal war gelungen, die Werbestrategie ging auf.

So skurril und seltsam diese Kampagne auch aussehen mag, ein Einzelfall ist sie nicht. Religion hat in der Werbung einen hohen Stellenwert. Dabei ist die Strategie recht simpel. An religiöse Motive lässt sich leicht anknüpfen, um sie dann zu verfremden. Denn sie sind noch immer bekannt, gehören zum kollektiven Bildgedächtnis selbst einer säkularisierten Moderne. Urszenen wie der Sündenfall mit Adam und Eva, Baum und Schlange und vor allem dem Apfel eignen sich hervorragend für Werbung. Man muss nur an die zentrale Stelle des Apfels, Eis, Parfüm oder Lippenstift setzen, so ist Aufmerksamkeit garantiert.

Ähnliches gilt für die Abendmahlsszene. Am Tisch eine Gruppe von Leuten, in der Mitte Jesus - aus Jesus wird dann ein Meisterkoch inmitten seiner Bewunderer oder ein Mann unter halbnackten Frauen, die warum auch immer alle deutlich sichtbar Jeans tragen. Oder die Menschen werden zu Ratten mit einer Oberratte in der Mitte, dazu der Spruch »Das letzte Mahl« - eine mittlerweile verbotene Werbung für Rattengift.

Mönche und Nonnen

Aus der Fülle der religiösen Motive - neben den biblischen Urszenen sind es vor allem Engel und Teufel, mittlerweile auch dem multireligiösen Markt entsprechend Buddhafiguren oder griechische Göttinnen - ragt eine Motivgruppe besonders heraus: Mönche und Nonnen. Sie stehen für Tradition und werden gebraucht, um Bier oder Melissengeist zu verkaufen. Interessanter jedoch erscheint es den Werbefachleuten, das Motiv der Mönche und Nonnen zu verfremden. Dann stehen sie für all das, was auf den ersten Blick gerade nicht mit ihnen assoziiert wird: für Genuss und Sex. Hier soll Aufmerksamkeit für ein Produkt oder für ein Image einer Firma verdoppelt werden: Die Nonne zieht die Blicke an, das kennt man - reizvolle Nonne in Unterwäsche, das hat man ja immer schon geahnt. Der Tabubruch gehört zur Werbung. Der religiöse Tabubruch ist eine der kraftvollsten Werbestrategien.

Eine der ersten Tabu brechenden Werbungen mit Nonnen stammt aus den 68er-Jahren. Da wurden außerordentlich hübsche Nonnen ganz in Weiß um Afri-Cola-Flaschen herum versammelt. Selbst die Nonnen gehen mit der Zeit - oder: Afri-Cola ist so prickelnd, dass es sogar aus den verstaubten Klostermädchen Powergirls macht, alle im Afri-Cola-Rausch. Dies brachte der Brausefirma eine Rüge der Kirche ein.

Die Zeiten änderten sich, die Tabu brechende Werbung wurde »härter«. 1987 warb eine Eiscremefirma mit Nonnen am Strand, die sich entkleiden. (Dieselbe Firma setzte dies später fort, indem sie ihre Eiscreme mit den sieben Sünden assoziierte.) 1991 kam dann der berühmte Kuss zwischen einer Nonne und einem Priester - ein Teil der Schock- oder Crashwerbung der Firma Benetton. Ein Videoclip besonderer Art warb für eine Colamarke: Am Strand eine junge Frau, die sichtlich angezogen ist von einem gut gebauten jungen Mann; dieser entsteigt dem Wasser, kleidet sich an und wird als Priester erkennbar - sehr zur Enttäuschung der jungen Frau. Der Priester geht auf sie zu und segnet sie mit dem Kreuzzeichen, das vom Kondenswasser einer Coladose tropft: Segen, Sex und Cola…

Die Kirche verfügt nicht mehr alleine über ihre Symbole

In diese Richtung geht auch eine Werbung einer Unterwäsche-Firma, die einen ganzen Katalog mit Nonnen-Dessous herausgegeben hat. Und am vorläufig letzten Ende dieser Tabu brechenden Werbung stehen nun die Plakate der schwangeren, Eis essenden Nonne und auf einem anderen Plakat zwei Eis essende homosexuelle Priester.

Überblickt man diese Entwicklung, so fällt Doppeltes auf. Zum einen: Religion in der Werbung verkauft sich immer noch gut. Religiöse Motive sind lebendiger, als man oft annimmt, gerade auch in Kirchen. Sie besitzen eine erstaunliche Bild- und Symbolkraft, die sich aber eher außerhalb der Kirchen entwickelt als in ihr. Gerade eine weltlich gewordene Welt sucht, braucht und verbraucht religiöse Kraft. Verbunden ist damit ein Zweites: Wo religiöse Motive im säkularen Raum zu Hause sind, hat die Kirche auch immer weniger Macht über sie. Der immer schärfere Tabubruch ist ein Zeichen dafür.

Kirche hat das Deutemonopol nicht nur im ethischen, sondern auch im religiösen Bereich längst verloren. Sie ist eine Instanz unter anderen, die mit Religion arbeitet. Deswegen nützen alle kirchliche Kritik an religiöser Werbung, alle Rügen der Kirchenleitungen nichts - im Gegenteil, solche Reaktionen gehören zur verkaufsfördernden Werbestrategie.

Religion gehört nicht den Kirchen allein

Religion ist Teil der Gesellschaft - das ist keine neue Situation, sondern war schon immer so, nur die Einsicht ist überraschend neu und manchmal schmerzlich. Die eigentliche Kritik an religiöser Werbung wäre es, die simplen Werbestrategien transparent zu machen und auf die nicht selten schlechte Ästhetik hinzuweisen. Und umgekehrt: Es wäre an der Zeit, dass Kirche das eigene religiöse Bildgedächtnis stärker nutzt - nicht in eigener Sache, sondern als Werbung für die andere Seite, die Gottesseite des Lebens.

Dies ist eine andere Strategie als jene der beleidigten Kritik. Aber auch als jene, die in Russlands Kirche geübt wird. Dort ist Kirche selber zum Produzenten nicht nur kirchlicher Produkte geworden, sondern versieht diese Produkte mit verkaufsförderndem kirchlichem Segen und Label. Hier ist Religion der Kirche vorbehalten, die damit auch auf dem Markt sich Vorteile verschafft. Ob allerdings säkularer Tabubruch durch religiöse Werbung oder kirchliche Vermarktung des Religiösen der Religion auf Dauer mehr schadet, ist offen.

Bleibt am Ende die Frage, ob Religion in der Werbung, vor allem in der Tabu brechenden Werbung, religiöse Motive nicht nur braucht, sondern sie im Laufe der Zeit verbraucht, aushöhlt und damit letztlich auflöst. Auszuschließen ist es nicht. Auszuschließen ist aber auch nicht, dass auf diesem Weg religiöse Motive weiter vermittelt werden, in eine weltliche Welt, in die nächste Generation. Und dass sie dort zu Sehnsuchtsbildern für eine Welt jenseits von Markt und Werbung werden, dass in allem Sexgeschäft am Ende doch die Segensgesten gesucht werden.

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