Künstliche Intelligenz (KI) soll Probleme lösen, die Menschen selbst nicht lösen können. Daran arbeitet der Informatiker Jürgen Schmidhuber mit seinem Institut. Der Direktor des Schweizer KI-Forschungsinstituts IDSIA, war als Redner beim 5. Evangelischen Medienkongresses in München zu Gast. Im exklusiven Interview erzählt Schmidhuber, warum er in einen KI-Industriepark investieren würde und wie man Ethik in die Algorithmen bringen kann.

 

Herr Schmidhuber, heute steckt Künstliche Intelligenz in fast jedem Smartphone. Woran arbeiten Sie gerade?

Schmidhuber: Ich möchte eine Künstliche Intelligenz bauen, die nicht nur das kann, was heute Smartphones können, sondern die lernt, alle Probleme zu lösen, die ich selbst nicht lösen kann. Und dann kann ich in Rente gehen.

Dieses Ziel verfolgen Sie auch mit ihrem eigenen Unternehmen?

Schmidhuber: Ja. Langfristig haben wir das Ziel, eine Maschine zu bauen, die nicht nur eine Sache lernt, und das war's. Nein! Sie soll hundert Berufe lernen, und dann schnell den 101. Beruf, und so weiter, und immer nutzen, was sie schon gelernt hat. Und sie soll lernen, immer schneller zu lernen. Unsere Firma ist angesiedelt zwischen Forschung und Industrie. Wir haben Verträge mit einigen der berühmtesten Firmen der Welt, die ich gar nicht alle nennen darf. Aber für Audi haben wir zum Beispiel kleine Autos konstruiert, die lernen, durch Erfahrung einzuparken, und zwar ohne dass ein Lehrer zeigt, wie das geht. Sie erleiden Schmerzen, wenn sie irgendwo anstoßen und bekommen eine positives Belohnungssignal, wenn sie es geschafft haben. Auf diese Weise lernen sie wie kleine Kinder - durch Versuch und Irrtum.

Was geschieht, wenn die Künstliche Intelligenz schlauer wird als der Mensch? Wird sie uns versklaven?

Schmidhuber: Eine fortgeschrittene Künstliche Intelligenz hat null Interesse daran, Menschen zu versklaven, wenn sie sich viel einfacher Roboter bauen kann, die alles viel besser können.

Die größte Gefahr für den Menschen geht immer noch von anderen Menschen aus. Künstliche Intelligenz wird in den Händen von manchen Menschen zum Kampfwerkzeug.

Das "Long Short-Term Memory" (kurz: LSTM, zu deutsch "langes Kurzzeitgedächtnis") meiner Teams in Bayern und der Schweiz wird nicht nur verwendet, um auf drei Milliarden Smartphones Sprachen zu übersetzen, oder Aktienkurse vorherzusagen, sondern es wird auch verwendet, um militärische Drohnen zu steuern.

Wie kommt die Ethik in die Algorithmen?

Schmidhuber: Die Wahl geeigneter Trainingsbeispiele für lernende KIs kann dazu beitragen, dass KIs keine Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen der Gesellschaft lernen. Insofern sind manche Aspekte menschengemachter Ethik leicht programmierbar.

Isaac Asimov hat schon vor 60 Jahren ethische Gesetze für Roboter formuliert. Wie wär's damit?

Schmidhuber: Das erste dieser Gesetze besagt, dass kein Roboter einem Menschen Schaden zufügen darf oder durch Unachtsamkeit zulassen darf, dass ein Mensch zu Schaden kommt. Dieses Gesetz ist nicht programmierbar. Es setzt zum Beispiel voraus, dass der Roboter perfekt Muster erkennen und stets unterscheiden kann, wer Roboter und wer Mensch ist. Außerdem müsste er alle Konsequenzen seines Tuns vorhersagen können, und weder KI noch Menschen sind hierzu in der Lage. Langfristig stellt sich die interessantere Frage: was passiert, wenn sich die KI selbst trainiert, indem sie wie ein kleiner Wissenschaftler oder ein Kind Experimente erfindet, um herauszufinden, wie die Welt funktioniert? Solche KIs haben wir schon im Labor.

 

Jürgen Schmidhuber über Künstliche Intelligenz (KI)

Was muss sich tun bei der KI-Forschung in Deutschland?

Schmidhuber: Die deutschen Großstädte müssen versuchen, mit chinesischen Städten mitzuhalten. Peking gibt 2 Milliarden aus für einen Industriepark für Künstliche Intelligenz. Shanghai will noch viel mehr investieren. München und Berlin müssen das auch machen, um die neue KI-Welle zu surfen, die gerade auf uns zurollt und sehr viel größer sein wird als die jetzige Welle. Der Kombination aus KI, Internet der Dinge, Robotik und Maschinenbau gehört die Zukunft. Es scheint mir offensichtlich, dass diese Kombination ein Alleinstellungsmerkmal des deutschsprachigen Raums werden muss. Glaubwürdigkeit im Doppelpack ergibt sich gerade aus unseren frühen Beiträgen zur heute massiv verwendeten KI sowie Deutschlands unbestrittener globaler Führerschaft im Bereich Maschinenbau und Mechatronik.

Es wird nicht mehr so lange dauern, bis die ersten neuronalen Roboter ein wenig wie Kinder durch reines Zuschauen und Zureden von Menschen lernen werden, alle möglichen komplizierten Arbeitsvorgänge zu imitieren.

Ich nenne das gerne "show-and-tell robotics" oder "watch-and-learn robotics" oder "see-and-do robotics." Dies wird sehr viele Berufe komplett transformieren. Und Deutschland wäre prädestiniert, hier die führende Rolle zu spielen.

Müssen die Menschen um ihre Arbeitsplätze fürchten?

Schmidhuber: Nein. Schon vor Jahrzehnten wurde vorhergesagt, dass Industrieroboter viele Jobs übernehmen werden. In der Tat, in den Autofabriken, wo früher Hunderte von Menschen standen, stehen heute Roboter und vielleicht drei Menschen, die schauen, was die Roboter tun. Aber in Ländern wie Deutschland, wo es viele Roboter pro Einwohner gibt, sind die Arbeitslosenquoten niedrig, weil lauter neue Jobs entstanden sind, die damals keiner vorhergesehen hat. Wer hätte vor 30 Jahren vorhergesehen, dass es heute Menschen gibt, die als Youtube-Blogger ihr Geld verdienen? 

Glauben Sie an einen Schöpfergott?

Schmidhuber: Vor zwei Jahrzehnten schrieb ich den Artikel "A computer scientist's view of life, the universe, and everything." Da ging es um den "Großen Programmierer." Bereits in den 1940er Jahren vermutete Konrad Zuse, der Erfinder des ersten funktionierenden Computers, dass unser Universum - ähnlich den virtuellen Welten der heutigen Videospiele - berechenbar sein könnte. Diese Hypothese verträgt sich erstaunlicherweise mit allen experimentellen Daten der Quantenphysik. Da berechenbare Universen viel einfacher als unberechenbare sind und man einfache Hypothesen den komplexen vorziehen sollte, wollen wir Zuses Hypothese akzeptieren, solange nichts dagegen spricht.

Das heißt?

Schmidhuber: Überraschenderweise muss es dann einen sehr kurzen und in gewissem Sinne optimal schnellen Algorithmus geben, der nicht nur die vollständige Geschichte unseres eigenen Universums berechnet, sondern auch diejenigen aller möglichen anderen Universen. Den habe ich 1997-2000 beschrieben und analysiert. Falls der unsere Welt berechnende Prozess in der Tat auf diesem optimalen Algorithmus beruht, lassen sich Vorhersagen über die Zukunft machen. Das hat etliche philosophische und theologische Konsequenzen. Andererseits: Woher kommen Logik und Berechenbarkeit? Diese Frage lässt sich wie die Frage nach Gott mit Logik und Berechenbarkeit alleine wohl nicht beantworten.